24.09.2021 Freitag
Es zieht sich durch, das schlechte Wetter. Eiskalt hier in Stettin, dennoch alles voller Stechmücken. Das Zentrum ist sehr schlecht mit Rad erreichbar, wie wir erfahren. Tja .. wir sind es gewohnt, unterwegs schnelle Lösungen zu suchen, zu finden und umzusetzen. Daher „Segel streichen und Anker lichten“, Weiterreise, 140 km.
Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin.
Dank einer Brückenfahrt im Schritttempo durch ein irres Baustellengewühle mit anschließendem dichten Stadtverkehr erhaschen wir noch ein paar Blicke auf die Skyline von Stettin. Irgendwie ist das in den letzten Tagen eine Reise der Brücken-Bilder, bisschen wie in einem asiatischen Touri-Bus. Aber egal. Hauptsache zufrieden.
Knapp 50 km, und die Grenze zu Deutschland naht. Jetzt müssen wir dieses Ding loswerden, diese Maut-Box. Pfand haben wir dafür gezahlt. Die Mautgebühren der Hinreise wurden ordnungsgemäß abgerechnet und abgebucht. Also hoffen wir, dass es jetzt auch mit der Rückgabe funktioniert. Man hörte ja Übles von Mitcampern. Auf der ViaToll-Seite konnte ich eine Distributionsstelle mit Koordinaten ausfindig machen am Grenzübergang, wieder irgendwo auf einem LKW-Rastplatz. In der Nähe angekommen, entscheidet Wim, einfach an der nächsten Tankstelle rauszufahren. Und siehe da: ein verblasstes Schild „ViaToll“ .. toll! Nun hat sich ja seit Juli das System geändert, man hat wohl keine Box mehr, sondern muss via Internet die Anmeldung und Abrechnung machen. Hoffentlich nimmt hier einer das Ding zurück. Keine Frage, alles kann abgewickelt werden, restliches Guthaben und Kaution würde man zurück überweisen. Na, wer sagt‘s denn! Sehr erleichtert folgen wir der AB, die nahtlos in die deutsche AB übergeht, und das Heimatland hat uns wieder. Ich bin wirklich froh. Polen muss ich erstmal verdauen, jedenfalls was den auf der Rückreise durchfahrenen Teil anbelangt.
Sehr stürmisch ruckeln einzelne Böen am Concördchen und fegen über wellig bis zum Horizont dahin wogendes gepflügtes Ackerland, über das sich schon ein Hauch Grün, vermutlich das der Wintergerste, zieht. Schnell kommt das Ortsschild „Berlin“, was ich vor lauter Begeisterung nicht mehr knipsen kann. Ich war noch nie in Berlin, Schande!
Und jetzt doch recht plötzlich. Schön. Ich liebe Überraschungen, denke ich so, während links große Schrebergärten liegen und sich vor uns vermutlich der Prenzlauer Berg auftürmt. Bis zum SP in Berlin-Mitte ist es nicht weit, so dass uns sofort das großstädtische Gewusel aufnimmt. Ein Genuss ist es nochmal, alle möglichen Menschen aus allen Herren Länder zu sehen, zu hören, die Stadtluft mit all ihren passenden und unpassenden Gerüchen durchs Fenster strömen zu lassen. Ja, das Fenster kann sogar offen sein beim Fahren, die Außentemperatur erlaubt es, man glaubt es kann.
Am SP angekommen, finden wir den sozusagen fast leer vor. Etliche Lücken und Bereiche sind unbesetzt. Wir staunen nicht schlecht. Gut, es ist zwar erst Mittag, aber dennoch Freitag, Wochenendbesucher könnten schon unterwegs sein oder eben die seit Donnerstag herum dümpelnden Rentner, wie in den sozialen Netzwerken oft gespottet wird, was mich immer amüsiert, denn in die Situation kommt ja nun mal jeder, wenn‘s „normal“ läuft. Ein Mann mit strengem Blick kommt aus einem Container raus, schüttelt sein Haupt in unsere Richtung, es sei alles voll. Ach was … hier auf diesem Hinterhof ist doch gähnende Leere? Hier lassen sich doch zu dem satten Preis von 32 € noch Unmengen Womos reinquetschen. Ja ja, es sei aber alles reserviert, eine Großdemo fände ja statt und Sonntag der Marathon. Er verschwindet nochmal in seinem Bau, kommt mit gnädigerem Blick wieder vor, bis morgen früh um halb 11 dürfen wir bleiben. Alternativlos in Berlin-Mitte stehen wir nun in einer Lücke auf und zwischen Beton.
Im Zuge des leichten Schockzustands, nun mitten in Berlin zu sein und irgendwie doch nicht, Ideen gesprengt und Pläne vernichtet wurden von platzwärtiger Hand, begibt sich Wim sofort zur Heckgarage und macht Räder und Anhänger klar. Wir ziehen uns auf die Schnelle einen Kaffee rein, stopfen die Hunde in die Hänger und sitzen auch schon im Sattel, hoffnungsfroh bei stabilem Wetter unterm grauen Himmel, wild entschlossen, auf Jagd nach Eindrücken unserer Hauptstadt zu gehen. Dies wird nicht nur ein Sightseeing im Hau-Ruck-Verfahren, sondern eines in verschärfter Version, ein Ruck-Zuck-Hau-Ruck-Verfahren. Da werden sich die asiatischen Reisegruppen ‚ne Scheibe von abschneiden können. In der Gewissheit, gelesen zu haben, dass sich Berlin perfekt beradeln lässt, schwingen wir uns die Hochstraße hinab, dem Zentrum der Macht entgegen.
Schon sehr bald tauchen Polizeiwagen mit Besatzungen auf, man hört Durchsagen, sieht größere Gruppen, aus denen sich um die nächste Ecke schon vielköpfige Menschenansammlungen bilden. Plakate und Schilder, Menschen und Hunde, Räder und Bollerwagen, Hinz und Kunz und Kind und Kegel, fluten durch die Häuserzeilen und verstopfen Plätze und Wege. Aber ihr Grund ist an diesem Zukunftsfreitag ein guter: unser Klima. Stressfrei und ohne spürbare Aggression schiebt sich die Menge von hier nach da, und wir mittendurch, schließlich brennt uns die Zeit unter den Nägeln.
Unterdessen greife ich Durchgeimpfte sogar zum Mundschutz, puh, ein komisches Gefühl ist es schon, inmitten solch einer Masse plötzlich zu sein. Aber der Reichstag und die Lust, durch‘s Brandenburger Tor zu radeln, entwickeln eine derartige Sogkraft, dass wir gar nicht anders können. Manchmal bleibt einem nur die Gunst der Stunde, auch wenn diese einem nur von einem Platzwart gewährt wurde.
Nach Stärkung mit einer Currywurst, ganz stilecht, nehmen wir Fahrt auf Richtung „Tiergarten“. Unsere Tiere müssen doch mal dort eine Runde schnüffeln. Außerdem liegt ja das Schloss auf dem Weg. Evtl. schaffen wir es, bei unserem Bundespräsidenten zu klingeln. Vielleicht ist er ja zuhause, bietet uns einen Kaffee an, oder so.
Alles in allem, auch wenn Mr. Präsident nicht zugegen ist, erleben wir einen wunderbaren Nachmittag, saugen die Bilder auf, und beradeln letztlich entspannt diese eindrucksvolle Stadt von Highlight zu Highlight. Erwähnen wollen wir, dass wir vielfach „mit dem Verkehr“ geradelt sind, es zwar viele Radwege gibt, aber, wie es in großen Städten oft der Fall ist, diese direkt an der Fahrbahn verlaufen, dass Straßenbahnen und Gleisanlagen mitmischen, man auf parkende Autos mit sich öffnenden Autotüren und überholende Mitradler achten muss, was natürlich alles in allem den ein oder anderen Radfahrenden irritieren und verunsichern kann. Jedoch empfinden wir die Berliner Autofahrer als sehr zuvorkommend, gewohnt, dass Radfahrer berechtigterweise auch Verkehrsteilnehmer sind. Man spürt richtig, dass eine irgendwie geartete „Vorrangschaltung“ gewährt und Rücksicht genommen wird. Und falls einem Kräfte verloren gehen: ein türkischer Laden um die Ecke vom Womo-SP bietet einen „Grillteller“ vom Feinsten an, wirklich empfehlenswert und zu einem Preis, den man in ganz Köln nicht finden wird.
25.09.2021 Samstag
Gestern Abend berichtete die Tagesschau, dass große Menschenmengen an der friedlich verlaufenen Demonstration in Berlin teilgenommen haben. Aha. Vermutlich hätten wir uns auch nicht durch ein Demonstrationsgeschehen irgendwelcher Reichsbürger oder Querdenker gewurschtelt. Aber viele Gedanken können wir uns heute früh nicht machen, denn das Schwert des Platzwarts kreist ja über uns, wir haben kein Bleiberecht, machen uns daher flott vom Acker und wurschteln uns raus aus Berlin, was erstaunlicherweise flott geht. Der SP liegt wirklich total perfekt.
Es geht Richtung Potsdam. Soll ja schön sein. Nächste Schande über uns: auch Potsdam haben wir bisher nie besucht. Wir sind sehr gespannt, was uns erwartet in gut 40 km und werden schon zu Beginn beim Einlaufen überflutet mit baulicher Pracht.
Vermutlich waren unsere Münder bei Erreichen des SP unweit vom Zentrum gerade wieder geschlossen. Ja, meine Güte, da wartet ja einiges auf uns. Erstmal parken. Es gibt noch viele Lücken in den Bereichen eines großen Parkplatzes, der Womos zur Verfügung steht. Der SP ist zwar mitten im bebauten Umfeld, aber wirklich absolut zentral, dabei ruhig, und ein wenig Grün gibt es auch. Unmittelbar gegenüber ist sogar eine Tierarztpraxis, für den Fall der Fälle.
Der Tag ist noch jung, also rauf auf die Räder. Nur so viel: erlebens- und sehenswert, ein Erlebnis ganz besonderer Güte, das wir wirklich jedem ans Herz legen wollen - und mit Sicherheit auch zu einer anderen Jahreszeit nochmal erfahren werden. Lassen wir die Bilder sprechen. Hintergründe und Geschichten dazu finden sich genügend. Aber auch ohne Kenntnis ist man dem Rausch der Schönheiten erlegen, die man mit jedem Schritt - oder Tritt in die Pedale - entdeckt.
vorbei am „Italienischen Dorf“
das „Orangerieschloss“
„Belvedere Klausberg“ mit Weinberg und Blick zum „Drachenhaus“
das „Schloss Sanssouci“ mit den Weinbergterrassen
„Holländisches Viertel“
26.09.2021 Sonntag
Schade, weder Herrn Scholz, noch Frau Baerbock gestern getroffen. Und sie waren zur letzten Wahlkampfrunde hier in Potsdam. Die Tagesschau berichtete gestern Abend darüber. Am zentralen Markt sahen wir nämlich sehr viel Menschengewühle, in dem die beiden sicher steckten. Das wollten wir uns aber nach Berlin nicht schon wieder antun. Das war ein Fehler. Na ja, man kann nicht alles „mitnehmen“. So wird es uns auch in Potsdam generell ergehen, wobei wir heute eine große Runde drehen wollen um die angrenzenden Parks, die Seen und die Havel. Und es ist wieder herrlich, einfach einzigartig schön an diesem spätsommerlich warmen Herbstsonntag.
die „Russische Kolonie Alexandrowka“
die „Orangerie Neuer Garten“
das „Marmorpalais“
das „Schloss Cecilienhof“
am „Brandenburger Tor - Potsdam“, am „Nauener Tor“, am „Alter Markt“
kreuz und quer durch die Stadt
die „Glienicker Brücke“ mit den „Kolonnaden“
auf der „Freundschaftsinsel“
an der Havel, an den Seen und in den Parks mit „Borkenküche“, „Eremitage“ und „Meierei“
27.09.2021 Montag
Die Weiterreise steht an. Gehört solch ein PP auch nicht zu den begehrtesten Nachtplätzen, so braucht man ja eigentlich auch nicht mehr als möglichst ruhige Lage und vor allem zentral. Da liegt dieser hier dann wieder ganz weit vorne. Wir schieben das bei Einfahrt aus dem Automat entnommene Ticket in den Kassenautomat, zahlen pro Nacht 15 € und fahren ab Richtung Magdeburg, 160 km, also kaum der Rede wert.
Für diese kurze Strecke brauchen wir allerdings fast 3 1/2 Stunden, kaum zu glauben. Irgendwie war es auch dusselig, dass wir nicht „Autobahnen meiden“ unserem Rüdiger vorgegeben haben, ganz entgegen unserer sonstigen Art. So hängen wir bald in einer ellenlangen Blechlawine, die sich im Schneckentempo mit vielen Verschnaufpausen windet und wälzt und hinterm Horizont in einem Loch zu versinken scheint. Kurz vor knapp können wir uns noch von der linken Spur rüber in eine Ausfahrt hangeln und erreichen Magdeburg dann doch noch über ein paar Umwege. Ganz schön heftig, was hier so an Wahlplakaten hängt. Waren in Berlin in den Straßen, die wir befahren haben, alle Plakate der AfD schwarz besprüht, hängt hier alles „unversehrt“, und man kann sich die elenden Sprüche auf der Zunge zergehen lassen. Übel und unfassbar! Auch der Umstand, dass Gretas Gesicht für ihre schmutzigen Parolen herhalten muss, ist extrem verwerflich. Die sind sich doch für nix zu schade. Aber auch einige andere „Parteien“ lassen sich nicht lumpen. Da kann man ja froh sein, dass eine „Messe für Bildung“ stattfindet, die evtl. Geister erhellt.
Ein paar Brücken und schöne Ansichten hält Magdeburg aber auch bereit zwischen all dem Plakatgeschmiere, und wir hoffen, dass das Wetter hält und die Temperaturen ebenfalls, denn es ist ganz schön warm, fast schon gewittrig in der Luft.
Eine Großbaustelle erschwert die Zufahrt zum SP, den wir ausgesucht haben. Beinah drehen wir um, als die Streckenführung über Wege durch einen Park geht und Spaziergänger sich erschrocken mit gewagtem Sprung vom asphaltierten Spazierweg ins Gras retten. Darf ja wohl nicht wahr sein. Da hilft auch das „Willkommen“ eines riesigen Kirmesplatzes nix, der menschenleer im Matsch liegt.
Am Winterhafen angekommen, erwartet uns ein echt schönes Fleckchen mit einem echt freundlichen, jungen und total unkomplizierten Platzwärter. Freundlichkeit kostet ja nix, und man fragt sich oft, warum man gelegentlich auf solch bärbeißige Typen von „Wärtern“ stößt. Einige Lücken sind noch frei auf dem geschotterten Platz zum Winterhafen hin. Jede Parzelle, mit dickem Holzstamm begrenzt, hat eine Holzterrasse zum Wasser hin. Das ist ja mal etwas Tolles. Die Nischen sind zwar nicht breit, aber ausreichend, und der Freisitz ist allemal besser und schöner, als zwischen den Womos wie üblich zu klemmen. Außerdem sieht es ulkig aus, wenn die Mitcamper fein aufgereiht vor ihren Womo-Schnauzen sitzen und man kommt schnell ins Gespräch.
Daher unternehmen wir heute nichts mehr, schauen uns die Schiffchen und Ruderboote an und genießen das von hier aus wirklich tolle Panorama.
Später kommen die Mücken, keine Schwärme, aber sicherheitshalber sperren wir uns weg in die eigenen vier Wände. Und der Abend kann kommen.
28.09.2021 Dienstag
Blauer Himmel, ist ja schon was. Alle Lücken auf dem Platz sind belegt, sogar in zweiter Reihe stehen welche, nur wenige reisen ab. Einige Schwätzchen werden gehalten. Hier stehen wohl sehr kommunikative Menschen beisammen, was ja häufig nicht der Fall ist. Unsere Räder interessieren sehr, dazu gibt‘s oft viele Fragen. Natürlich zu Bazou und Chianga sowieso. Aber hat man Zeit, sind solche harmlosen Gespräche richtig schön und amüsant.
Irgendwann gegen Mittag spannen wir an zur Stadtrundfahrt. Nach kurzer Runde durch den Rotehorn-Park, in dem der SP liegt, erreichen wir am Elbufer entlang bei Postkartenwetter mit Postkartenaussichten die Neue Strombrücke, die ohne Baustellen mit Rad passiert werden kann. Es herrscht überall sehr wenig Verkehr, obwohl Magdeburg mit 250.000 Einwohnern eine große Stadt ist.
Hinüber über die Elbe geht‘s und weiter erstmal nach rechts rüber auf der Promenade bis zum SP am Elbufer, der auch schön liegt und gut besucht ist. Wunderschöne Beetanlagen und Skulpturen zieren die Promenade. Schade ist, dass Menschen der Meinung waren, man müsse z. B. die zahlreichen blauen Sitzmöglichkeiten ungelenk und sinnentleert besprayen. Diese stümperhaften Schmierereien werden es leider nicht in die Kategorie „StreetArt“ schaffen, die durchaus einen Platz in unserer heutigen Zeit einnehmen darf.
In Domnähe tauchen wir dann ein in Magdeburgs Straßen und Plätze. Der Rundumblick auf dem Domplatz ist sehr eindrucksvoll durch den mächtigen Dom natürlich und das markante Bauwerk des Landtages, das, von der Sonne angestrahlt, auf den vielen Wasserbögen der Springbrunnen zu schweben scheint.
Aber erst durch die „Grüne Zitadelle“ wird dieser Platz so richtig außergewöhnlich und in der Erinnerung des Betrachters bleiben. Allein die Baukosten mit 27 Mio Euro sind enorm und umstritten war es ohnehin, dieses letzte von Friedensreich Hundertwasser entworfene Gebäude, das 2005 fertiggestellt hier erblühte und von dem sicher auch heute noch gesagt wird, für diesen Preis hätte man auch gerade Wände erwarten dürfen. Es ist ein Schmuckstück und verdeutlicht nachhaltig, wie belebend außergewöhnliche Architektur durch ihre Vielfalt unsere Stadtbilder bereichert. Obwohl es bei einem „eckenlosen“ Hundertwasser-Bau schwer fällt, darf man ja anecken, aber letztlich steht die Verschiedenartigkeit hier harmonisch beisammen, keiner nimmt dem anderen etwas. Mir fallen die Wahlsprüche auf den Plakaten ein, die gerade der Andersartigkeit jeden guten Gedanken verwehren und jede Harmonie untersagen, nur blanken Hass säen. Und das in einer Stadt, die überdeutlich auf diesem Platz vor Augen führt, dass Verschiedenartigkeit geht, dass es „läuft“.
Hinter dem Dom im Gründerzeitviertel erschlägt einen fast die bauliche Pracht, im positiven Sinne. Unfassbar, welch aufwändige Fassaden sich hier aneinander reihen. Es herrscht eine schöne Stimmung, kaum Hektik, das Durchradeln entspannt total, weil man nur Augen für die wunderbaren Arbeiten hat und aus dem Staunen nicht heraus kommt.
Bevor wir uns der Hegelstraße hingeben, die jetzt in einem faszinierenden Licht liegt, das das letzte Laub richtig golden strahlen lässt, stärken wir uns mit einer leckeren Soljanka.
Über die südlich gelegene Sternbrücke geht‘s dann wieder zurück in den Stadtpark, der sich zwischen Elbe und Alter Elbe weit ausdehnt und auch schöne Plätzchen hat. Da die Menschen darin fehlen, wirkt vieles zwar sehr „verstaubt“, aber man kann ahnen, wie herrlich es hier an Sommertagen sein kann.
Im ganzen Stadtgebiet gibt es wohl Anleinpflicht für Hunde, worauf uns unser freundlicher Platzwart aufmerksam machte, und es würde wohl stark kontrolliert. Daher ist ein Freilauf eher nicht möglich, aber unten im Flussbett lassen wir unsere beiden doch mal frei, raus aus ihren Kisten. Auf den Sandbänken haben sie richtig Spaß, die Krähen auch, die vehement ihren Besitzanspruch klar machen nach dem Motto: Angriff ist die beste Verteidigung. Ein Paar mit einem kleinen Cocker gesellt sich dazu. Es sind Engländer, sie hatten auch einen Ridgeback, damals in Afrika, als sie noch dort lebten. Ohweia. „Tausche allerschönste deutsche Postkartenansichten gegen schöne Afrika-Bilder“ .. wo kann ich solch ein Inserat aufgeben? Und wann gehen wieder Fähren nach Marokko … wenigstens Marokko …
29.09.2021 Mittwoch
Wolkig mit leichtem Regen hin und wieder, und das lustige Entsorgen beginnt. Etliche Womos ziehen weiter, wir auch. Ein Schwein entsorgt seine Kassette über dem Grauwassereinlass. Der Platzwart erzählt, dies passiere öfter. Es ist einfach unglaublich und eine Unverfrorenheit, die ihresgleichen sucht. Denn alles ist perfekt vorgerichtet, groß und breit steht eine Sani-Station zur Verfügung, direkt im Blickfeld, unübersehbar. Nein, da lässt man doch lieber seine geknödelten braunen Hinterlassenschaften für Nachfolgende gerne auf dem Ablaufrost liegen zwischen aufgeweichten Klopapierfetzen und spart sich den Euro, den der Sani-Apparat haben möchte. Sollte ich jemals solch einen Schmiersack erwischen, dann Gnade Gott. Ich glaube, ich würde mich vergessen.
Ein paar schöne Blicke noch auf Magdeburg, und damit verlassen wir die östlichen Regionen.
Die Fahrt läuft gut Richtung Harz, vorbei am ehemaligen Grenzturm der DDR. Unterwegs klart es auf, und der Himmel zeigt sich von seiner besten Seite. Irgendwann tauchen die Hügelketten des Harzes auf, mittendrin der Brocken. Richtige Berge hatten wir schon lange nicht mehr.
Unser Ziel ist Lautenthal, das berühmte Lautenthal an der Innerste. Gut, bisher kannten wir es auch nicht. Aber, nach so vielen Schlössern und Palästen wünschen wir auch mal etwas Königliches, und da kam uns der „Harzer Schnitzelkönig“ gerade recht für einen Zwischenstopp. Und da Lautenthal auch noch über einen guten SP verfügt, gibt‘s doch nix mehr zu überlegen. Kurz vorm Ziel machen wir eine Pause auf einem Wanderparkplatz am Innerste-Stausee. Wetter scheint gut zu bleiben, obwohl es sich arg grau zusammenzieht am Himmel. Also Räder raus, Hänger raus, Hunde rein, und ab geht‘s zur Stauseeumrundung. Sportliche Betätigung schafft Raum für Einkehrschwünge in aristokratischen Speisesälen und beruhigt das Gewissen. Außerdem sind die Herbstwälder herrlich und bis zum durchnässenden Regenguss auf den letzten Metern der Rückkehr zum Womo voller Genuss.
Nach kurzem Trockenlegen fahren wir zum Harzer Schnitzelkönig, unangemeldet, es ist noch früh. Aber der Parkplatz ist schon gut gefüllt, Menschen strömen hinein ins Schnitzelparadies. Wir können auch noch Plätze ergattern. Eigentlich meiden wir solche Lokalitäten, aber heute muss es wohl mal sein. Und auf „Tellern“ in Serviertablettgröße werden uns riesige Schnitzellappen vor die Augen geschoben. Lecker, aber die Augen waren größer als der Appetit, und außerdem stellt sich bei der Nahrungsaufnahme eine gewisse Eintönigkeit ein, die langweilt. Aber der König hat „Container“, in die seine Dienerschaft die verschmähten Reste einbunkert und einem in die Hand drückt.
So gut gerüstet für morgen steuern wir den SP im Dorf neben der Feuerwehr an. An der Touristeninformation direkt am SP können wir die Gebühr in einen Umschlag stecken und einwerfen. Alles sehr perfekt und vorbildlich. Und morgen wartet die vorletzte Station unserer Reise auf uns.
30.09.2021 Donnerstag
Trübe Aussichten leider. Das sicher schöne Dörfchen liegt im düsteren Dunst. Aber wir wollen ohnehin möglichst flott weiter heute morgen und die vorletzte Station zeitig erreichen. Gut 200 km trennen uns davon, von Soest, das wir uns anschauen wollen, weil es sehr reizvoll sein soll und wir es immer schon mal tun wollten. Wir durchfahren das sicher besuchenswerte Städtchen Seesen, verabschieden uns vom Harz und ziehen weiter.
Durch sehr schöne Höhenlagen verläuft die Autobahn. Bei dem weiten und strahlenden Himmel zeigt sich wieder, wie wunderschön auch die Heimat ist. Verkehr ist rege, wie man so lustig sagt, etliche Baustellen ziehen sich ellenlang. Und Unmengen Womos sind unterwegs. Auf dieser kurzen Strecke sehen wir um ein Vielfaches mehr Womos als auf unserer wirklich weiten zurückliegenden Reise.
Rüdiger lotst uns vor Soest noch auf eine in einem Acker endende Extrarunde. Man ahnt es immer schon, weiß aber auch nicht wirklich, ob man gewisse Straßen wegen Gewichts- oder Höhenbeschränkung einfach nicht befahren darf bzw. kann. Aber alles in allem hat er auf den vielen Kilometern doch einen recht guten Job gemacht und darf nächstes Mal wieder mit. Ganz allein finden wir den SP. Gut, er liegt an einem Aqua-Park, und der ist gut ausgeschildert. Nach dem Ziehen des Tickets öffnet sich die Schranke, im Bad checkt man ein, bekommt einen Schlüssel gegen 50 € Pfand.
Hinter dem Bad sind ein paar Parklücken für Womos reserviert. Eine Lücke ist besetzt. Wir parken. Schön ist anders, aber wir wollen ja nur kurz eine Runde mit den Rädern drehen.
Und es lohnt sich. Ein alter, verträumter Stadtkern mit sehr viel Lebendigkeit der Bewohner in den Gassen macht Spaß, wirkt nicht so kulissenhaft und wie nur für Touristen hergerichtet.
Auf einem zentralen Platz findet eine Bierbörse statt. Noch sind Buden und Stände nicht eröffnet, aber die ersten Fässer rollen an, während wir genüsslich ein Bierchen zu uns nehmen und echt leckere Flammkuchen verzehren.
Am Womo zurück heizen wir erstmal ein, denn es ist trotz Sonne richtig kalt. Dieses recht laute, monotone Gebrumme irgendeiner Pumpe oder sonstwas, das wir bei Ankunft nur so am Rande wahrgenommen hatten, ist fast durchgängig da. Es ist echt störend und nervt. Aber wir werden es überleben.
01.10.2021 Freitag
Überlebt haben wir, war ja klar. Das Brummen ist auch schon wach, wir ebenfalls, dann kann die Weiterreise starten. Nach Rückgabe des Schlüssels und Auszahlung der Kaution öffnet sich die Schranke, und wir sind wieder in Freiheit. Trotz vieler Baustellen geraten wir glücklicherweise nicht in einen Stau und können zügig bei Sonnenschein unser nächstes Ziel ansteuern.
Mobile Elektronik Nähe Köln steht auf dem Navi. Ralf Kohl, der Fachmann unseres Vertrauens, müsste mal einen sach- und fachkundigen Blick auf die Solaranlage und die Gasversorgung werfen, da es insoweit ein paar Ungereimtheiten gibt. Dankenswerterweise schiebt er uns heute dazwischen, und er und seine Jungs regeln alles perfekt und total kulant. Daher an dieser Stelle nochmal die absolute Empfehlung von Ralf Kohl für die, die mal einen Spezi brauchen. Seit Jahren kümmert er sich um alles rund um unsere Vehikel mit absolutem Sachverstand und mit Herz und Leidenschaft, und nicht nur, weil auch er Camper ist, nein, weil er exakt am Bedarf planen und total zufriedene Kunden haben möchte.
Also: Mobile Elektronik Köln
Zufrieden und glücklich, weil soweit am Concördchen alles ok ist - dieses Gefühl kennt ja jeder -, machen wir uns auf zur nächsten Empfehlung: Düsseldorf Restaurant „5P Style“. Auch wenn der Übernachtungsplatz - zur Wiederherstellung der Fahrtüchtigkeit - auf einem Parkstreifen am Straßenrand liegt und von „stille Nacht, heilige Nacht“ recht entfernt, so ist das Essen sowas von lecker, die Musik hipp und hopp, die künstlerische Gestaltung einmalig, erlebenswert, empfehlenswert. Dabei dürfte die Tatsache, dass diese gastronomische Idee von unserem Sohn Timo initiiert und realisiert wurde und betrieben wird, nicht stören.
Also: 5P Style Düsseldorf
https://www.facebook.com/pages/category/Restaurant/5P-Style-110567181217996/
02.10.2021 Samstag
Früh morgens, wenn die Hähne kräh‘n .. oder besser: wenn der Straßenverkehr übers Kopfkissen saust, ziehen wir wieder los nach dem wunderschönen „letzten“ Abend dieser Reise und einer passablen Nachtruhe, der ein paar Cocktails den entscheidenden Kick gaben. Nun geht es aber wirklich dem Heimatdörfchen entgegen und einer Schlechtwetterfront.
Am heimischen Kirchturm vorbei beruhigt der Blick auf unser Zuhause in Höhenlage, es klebt noch am Hang. Auch beim Näherkommen ist alles wie immer, außer Moos nix los, und Gärtner Wim wird sehnlichst erwartet.
Spannend ist immer der Moment, wenn die Hunde aus dem Womo klettern und den Vorgarten betreten. Es war jetzt eine lange Abwesenheit, die scheinbar ein langes Abschnüffeln nötig macht. Nach einem ersten „Check“ verziehen sie sich wie gewohnt flott auf die Couch, an einer Runde durch Garten und Wald zeigen sie sich nicht interessiert, sie wird vermutlich wetterbedingt verschoben.
Und das war sie, unsere Rundreise Baltikum.
Ein Resümee findet der geneigte Leser auf der folgenden Seite.
Eine Routenliste mit Koordinaten wird es auch wieder geben.
Erstmal ankommen.
Ein paar Zahlen vorweg:
7.888 gefahrene Kilometer
74 Reisetage
52 Übernachtungsplätze
8.500 Fotos
5.658 Website-Besuche
Herzlichen Dank an all die vielen Mitcampenden,
die virtuell mitgereist sind
und sich für uns und unsere Tour interessiert
und uns auf vielfältige Art und Weise Rückmeldungen gegeben haben.
Das war wieder echte Spitzenklasse
!!! und uns ein wahres Vergnügen !!!
Und … was planen wir nun … nach der Reise ist ja vor der Reise ;-).
Wir halten Euch auf dem Laufenden.
Bis dahin bleibt gesund und munter !
Allerbeste Grüße
von den Tagpflückern
Wim & Eva & Bazou & Chianga