von Ichenheim nach Ulm

11.08.2024 Sonntag

Traurig gähnend leer steht das Festzelt da. Fest vorbei. So ist das nun mal. Da werden Andi und seine Crew noch Nachwirkungen spüren, zum einen Erleichterung, so was Tolles mit dem neuen Firmensitz auf die Beine gestellt und ein schönes Fest ausgerichtet zu haben, anderseits aber auch in dem „Loch“ strampeln müssen, das sich nach solchen Höchstleistungen unweigerlich auftut. Adrenalin adieu, hello Alltag. Wir verabschieden uns und machen uns vom Acker. Die Donau ruft. An Sonnenblumenfeldern geht‘s vorbei. Schwer hängen die Köpfe der Blüten. Die Kerne sind sicher schon bald reif. Durchzugsstarke Wasserpumpen lassen Wasserfontainen auf die Felder prasseln. Regen scheint nicht vorhergesagt. Wir werden weiter schwitzen müssen. 

Es geht nun auf die AB, erstmal wieder nach Norden. Querverbindungen sind hier schwierig, da liegt irgendwie der Schwarzwald im Weg. Aber Klettern müssen wir auch noch, was uns, da wir diese Strecke nie vorher befahren haben, nicht so bewusst ist. Ein Schild „Albaufstieg“ knipse ich noch locker flockig, merke an, dass ich bis dato nur den „Almabtrieb“ kannte, und dann schwingen wir uns in die Höhen. Echt stramm schnauft das Concördchen bergan. Waghalsige Brückenanlagen überspannen waldige Täler, gute Draufsicht auf kleine Dörfer hat man. Schwäbische Alp, jetzt wissen wir, worum es hier geht. Wir schaffen das Plateau, immerhin auf über 750 m ging es hinauf. Manch einer schafft das wohl nicht. Einer schon blau am Wegrand liegenden PKW-Leiche nicken wir bedauernd zu und wünschen an der nächsten Parkbucht dem dampfenden Zugfahrzeug mit Wowa im Vorbeifahren viel Glück.

Aha, schon erscheint Ulm, wobei ich mir das Ulmer Münster schon so ganz anders vorgestellt habe. Gut, der Turm ist riesig ;-), und natürlich fällt der Blick nach der nächsten Kurve auf die links liegende große gotische Kirche mit dem höchsten Kirchturm der Welt. Das klingt schon großartig, hinterlässt aber im Moment nicht besonders viel Staunen in uns. Im Gewirre der städtischen Anlagen und Bauten verliert sich der Reiz etwas. Es wird so sein, dass ein zweiter Blick Änderung bringen kann, Liebe auf den ersten Blick ist es jedenfalls nicht. So sind wir sehr gespannt, was uns stellplatzmäßig erwartet. Und das ist aus vielerlei Hinsicht klasse. Zum einen lässt sich der SP sehr problemlos erreichen, und zum anderen ist er zwar rappelvoll, aber, und jetzt kommt das große Aber: einige Concorde-Freunde Baden Württemberg sind gerade dabei, aufzusatteln und abzureisen. Das Concördchen wird sehr freudig und fürsorglich unter die Fittiche genommen, man sucht unter den 5 frei werdenden Lücken die beste für uns aus, auf handverlesenem Plätzchen können wir einfädeln. Die Freundesschar zieht nach vielen Schweden-Wochen weiter, und wir bleiben froh zurück. In der Mittagshitze sorgen wir erstmal für Schatten. Jetzt kann man wirklich nur so existieren. Bei brütender Hitze lümmeln wir unter der Markise herum, wirklich nicht mein Ding, aber ich ergebe mich meinem Schicksal. Da unser Nachbar, der nicht am Womo ist, seltsamerweise andersrum steht und so quasi Tür an Tür mit uns, ergibt sich zwischen unseren beiden Womos natürlich eine breite Freifläche. Und obwohl die Parzellen sehr deutlich abgegrenzt sind, versuchen im Laufe des Nachmittags zahlreiche Womos, diese Lücke zu belegen. Es ist nicht zu fassen. Man zweifelt echt am Verstand. Gegenüber gelingt das auch fast unbemerkt einem forschen Zeitgenossen. Er klemmt sich mitsamt Hänger in solch einen ja vom Mitcamper bezahlten Raum und erwidert einem anderen Camper, der ihn auf „Das-geht-aber-nicht“ anspricht, der andere könne ja später, wenn‘s ihm zu eng sei, einen halben Meter umparken. Wo leben wir? Eigentlich nicht mein Thema, diese SP-Eskalationen. 

So sind wir happy, uns bei etwas nachlassender Hitze am späteren Nachmittag auf die Räder schwingen zu können. Das ist noch die angenehmere Variante. Denn unsere Nachbarn haben auf der Anreise rund 150 km entfernt von Ulm ein Restaurant besucht und unterwegs auf der Weiterfahrt einen Anruf erhalten: die Handtasche wurde dort vergessen. Sie packen sich nun auf ihr Motorrad und reiten knapp 300 km hin und zurück zwecks Wiederinbesitznahme der Handtasche inkl. aller Papiere. Letztlich ist aber doch viel Glück im Spiel. Glück spürt man auch bei all den in der Sonne am Donauufer sich vergnügenden Menschen. Unzählige Bretter und Reifen dümpeln auf dem sehr schnell dahin fließenden Fluss. Ich bin echt perplex, dass man das hier so macht, gehen doch gerade die Warnungen massiv herum, wie gefährlich Flussbaden sei. Aber im Rhein ist das sicher auch durch den Schiffsverkehr eine ganz andere Nummer. Dennoch ist es wirklich verwunderlich, wie unbedarft hier gebadet und geschwommen wird in der sehr schnell dahinfließenden Donau. Aber Hauptsache, die Leute haben Spaß, freuen sich am nassen kühlen Sonntagsvergnügen und „gehen nicht baden“ auf Nimmerwiedersehen vor dieser wunderschönen Kulisse. 

Im Stadtkern stoßen wir fast direkt auf das wirklich sehr eindrucksvolle wunderschöne historische Rathaus, ein wirklicher Prachtbau, ein Schmuckstück. Ehemals um 1357 wurde es genutzt als Markthalle und Kaufhaus für Stoffe, später von Metzgereien und Sattlereien, ehe es überführt wurde in ein Gerichtshaus und ab 1419 zum Rathaus erklärt wurde, einem Zweck, dem es heute noch dient. Weiter geht es durch die alten Ulmer Gassen. Schöne Fassaden ragen hoch auf. Vieles ist aber auch sehr modern restauriert oder neu gebaut. Für uns ergibt sich ein verwirrendes Bild. Allerdings darf man nicht verkennen, dass wir keine Ahnung von den Hintergründen haben, was sich die Städteplaner und Architekten bei der Art und Weise ihrer Bauten gedacht haben. Oftmals erhellen solche Kenntnisse und machen das Besondere deutlich und verständlich. Aber so am Anfang einer Reise mit noch so vielen besonderen Punkten vor uns und bei dieser Hitze sind wir froh und zufrieden, wenigstens um ein paar Ulmer Ecken gucken zu können.

Wir lassen uns auf dem weitläufigen Platz vor der Pfarrkirche der Evangelischen Münstergemeinde Ulm, dem Ulmer Münster, auf einer Bank nieder mit Blick auf den Kirchenbau. Links und rechts ist der Turm eingerüstet. Wir klettern mit den Augen die einzelnen Etagen hinauf, schließen hinter uns die Leiterklappen, damit Nachfolgende nicht ins Loch fallen. Schon mutig sind die Arbeiter, die dort schuften. Kräftiges Glockengeläut beginnt. Eigentlich müsste der 1890 vollendete, hochaufgeschossene fast 162 m hohe Turm mitschwingen. Tut er aber nicht. Zu seinen Füßen schwingt nur ein Tauben-Schwarm die Flügel, um sich vor scheinbar hitzeresistenten herumjagenden Kleinkindern in Sicherheit zu bringen. Leider vergessen wir darüber die Zeit. Nur bis 18 Uhr ist das Münster für Besucher geöffnet, danach nur für den Gottesdienst, der gerade, wie gehört, eingeläutet wurde. Zu spät ist zu spät. Und auch ohne sicher zu wissen, was „das Besondere von Gold Ochsen“ wirklich ist, ob es nur ein Biergebräu oder sonst noch irgendwas ist, fahren wir zurück über die Donau und verlassen den Stadtkern. Im Nachhinein sehe ich, dass es noch ein schönes sehenswertes Fischer- und Gerberviertel gegeben hätte. Nun gut. Zu warm ist zu warm. So geht es uns an der Nase vorbei, und ich bereue es nicht. Es ist gut, sich zu gönnen und zu verzeihen, dass man etwas liegen oder fallen lassen kann. Der Luxus der Stunde. 

Aber jetzt in der schönen Abendstimmung kann ich Wim überreden, noch eine luxuriöse Aktion mitzumachen. Schnell zum Womo also, Klamottenwechsel, und zurück und ein paar Meter weiter Badestopp! Das Zischen beim Eintauchen in die Donaufluten muss man in Wien gehört haben. Was ist das eine Wohltat. Schmodderstufen und starke Strömung hin oder her, ein dick bemooster Felsbrocken sichert das Wegtreiben, im Gestein unten im Wasser findet sich eine sesselartig ausgeschwemmte Stelle, Flussbaden liebte ich schon immer, so als Kind aus dem Kylltal. Wir hängen eine Zeit ab, kühlen runter, fahren erfrischt zum Womo zurück, und die Erfrischung hält sogar über Nacht an.