von Neulengbach nach Altötting

26.08.2024 Montag

Nix mit blauem Montag. Der Wetterbericht kündigte gestern schon eine Gewitterfront speziell für den Südosten Österreichs an. Bei starker Bewölkung und sehr frischen Temperaturen ziehen wir aus unserem Laubunterschlupf in Neulengbach raus und verschwinden am goldigen Gehöft hinter der Schranke auf die Landstraße Richtung Westen. Schnell erreichen wir die Autobahn. Heute fahren wir nicht mautfrei, da 300 km anstehen. Wir wollen uns näher an München ranrobben. Und schon setzt das fröhliche Piepen unseres an der Frontscheibe klebenden orangefarbenen Kükens ein. Die Mautzentrale hat uns erfasst. Höher gelegen bietet die Fahrt über die AB tolle Ausblicke auf das Mostviertel mit seinen großen Höfen in sanft gewellter Landschaft. Uns hat diese österreichische Region sehr gut gefallen. Und es war eine Überraschung, da wir ja ohne wirkliches Wissen darin gelandet sind, weil wir „nur“ der Donau folgten. Gelegentlich flackern wieder toskanische Erinnerungen auf, wenn sich Birnbaumreihen über die Kuppen ziehen. Einfach schön. Plötzlich zieht etwas anderes über einen Höhenzug, das Kloster Melk. Die gewaltige Klosteranlage mit 70 Fenstern in einer Reihe, wenn ich mich nicht verzähle. Nun sehen wir sie auch noch in voller Pracht. Auf der Hinreise über die Landstraße sind wir ja nur im Besucherstrom an ihrem Fuße vorbei geschlichen. 

Die Fahrt verläuft total entspannt über die sehr verkehrsarme Autobahn. Einen Moment bleiben die Häuser noch goldgelb, aber schon naht Höhe Suben der Inn und damit die Grenze zu Deutschland. Unser heutiges Ziel ist Altötting, dort haben wir Gelegenheit, den berühmten Wallfahrtsort und die Schwarze Madonna zu besuchen und einen der beiden kostenlosen SP zu nutzen. Auf der B12 über Land überqueren wir erneut den milchig grünen Inn und laufen ein in Neuötting, dann in Altötting, finden den gut ausgeschilderten SP sofort und eine passende Lücke. Nur wenige Plätze sind belegt. Busse dürfen hier auch stehen, werden aber mittels Beschilderung gebeten, keine Motoren laufen zu lassen. Wir warten mit einem ersten Gang um die Ecken ab, bis es sich wettermäßig mehr und mehr zuzieht und nicht mehr freundlich lockt. Man müsste jetzt echt Socken anziehen, Kurz- gegen Langärmeliges tauschen, Jacke drüber ziehen. Wir wählen: im Womo bleiben, ganz bequem, schauen zu, wie sich der SP mehr und mehr füllt, und sehen abends mal wieder TV, einen ergreifenden Film mit dem wunderbaren Charly Hübner, der seine alten Eltern pflegt und dabei auf Spuren seiner Kindheit stößt. 

27.08.2024 Dienstag

In einem Wallfahrtsort schläft es sich gut, auch wenn schon früh morgens Busbetrieb mit Ein- und Ausparken herrscht. Und Kindheitserinnerungen kommen auch in mir auf, so wie bei Charly Hübner gestern Abend. Als Kind aus katholischem Hause, aufgewachsen in einem Eifeldorf, sind mir Wallfahrten schon ein Begriff. Man pilgerte zu verschiedenen Klöstern und Gedenkstätten oder einfach nur außerhalb des Dorfes im Rahmen von Prozessionen zu kleinen Bilderstöckchen oder Kapellen, meistens mit Marienstatuen. An größeren Pilgerreisen hat meine Familie nicht teilgenommen. Mit meiner geliebten Oma bin ich aber als kleines Mädchen liebend gerne mit den älteren Frauen meist im Mai „in der Prozession mitgegangen“, wie man das nannte. Ich mochte die Andacht, die Monotonie, wenn sie einträchtig den Rosenkranz beteten, die hölzernen Kügelchen durch ihre Finger gleiten ließen und in gleichem Tempo „auf Peten“ hoch hinauf aus dem Dorf wanderten zum kleinen Bilderstöckchen mit Maria und Jesuskind im Arm. Alles Traditionen, die, wenn es sie überhaupt noch geben sollte, nach und nach in Vergessenheit geraten. Wie komme ich nun darauf … von Hölzchen auf Stöckchen. Egal. Wim macht die Räder klar. Wir werden uns umsehen. Der Tag lockt mittlerweile in typisch bayrischem Blau-Weiß. Kurz um die Ecke am SP, das Kirchenschiff der Basilika erhebt sich schon hinter den ersten Häusern hervor, und wir stehen vor der Basilika. Fein reckt sich die weiß-lichtgraue Fassade gen Himmel. Innen setzt sich dieser „cleane“ Stil fort, was aber den Altarraum, die seitlichen Kapellen mit Kreuzweg und die Deckenbemalungen richtig zur Geltung bringt. Nur wenige Menschen sitzen in den Bänken, in den allerletzten, als traue man sich nicht weiter nach vorne. 

Nach Besuch im Schichtbetrieb radeln wir auf eine kleine Anhöhe im Ort. Dort tut sich ein großer Platz mit riesiger Rasenfläche auf, zur Rechten gerahmt von zwei altehrwürdigen massigen Gebäuden, eines ein Hotel, dessen Terrasse schon gut besucht ist und große Portionen Pommes eine Gruppe Ordensfrauen sichtlich freut. Etliche Kirchtürme sieht man, rundum Gebäude mit reichlich Devotionalien-Shops. Noch leere Zelte und verschlossene Buden sind aufgestellt, hier wird sicher ein Markt in den nächsten Tagen stattfinden. An Stelle des großen Brunnens könnte ebenso ein Kirmesfahrgeschäft stehen. Es herrscht aber eine ruhige Stimmung irgendwie, langsam schreiten oder radeln Menschen herum, viele in Tracht. Die Marktstände passen ebensowenig zu manch einem in sich gekehrten Gesichtsausdruck, wie zahlreiche alte Männer in hautengen kurzen Radrennfahrerhosen und entsprechendem Pflastergeklappere bei jedem Schritt, als hätte man ihnen Hufeisen verpasst. Etwas Unstimmiges wabert über den riesigen Platz. Er ergreift nicht so, wie es uns damals beim Anblick in Fatima ereilte. Unweigerlich ziehen wir Vergleiche. 

Zentraler Punkt hier in Altötting im bedeutendsten Marienwallfahrtsort im deutschsprachigen Raum, der 1782 von Papst Pius VI, 1980 von Johannes Paul II und 2006 vom im Nachbarort geborenen Papst Benedikt XVI besucht wurde, ist das kleinste Kirchengebäude am Platz: die Gnadenkapelle. Jährlich pilgern rund 1 Million Menschen nach Altötting und tragen ihre Sorgen und Nöte, aber auch ihren Dank zur Mutter Gottes, der weltberühmten Altöttinger Madonna, der sogenannten „Schwarzen Madonna“, in die Gnadenkapelle. Durch die alte Holztür betrete ich mit anderen, auch denen in knappsten Radlerhosen Steckenden, die winzige Kapelle. Hinter einem kleinen Bereich mit ein paar Kirchenbänken liegt ein noch kleineres Räumchen mit wenigen Gebetsnischen im Halbrund. Viel Platz ist nicht. Ein asiatischer Pfarrer liest eine Messe in englischer Sprache, ein paar Menschen beten andächtig mit. Aber eigentlich fällt sofort der Blick auf die in reich verziertem, strahlenden Goldrahmen stehende „Schwarze Madonna“. Die nur 66 cm große Statue wurde um 1330 am Oberrhein im Stil der Frühgotik aus Linden- oder Nadelholz geschnitzt und kam der Überlieferung nach über ein Zisterzienserkloster nach Altötting. Sie wird seit Ende des 15. Jahrhunderts in der Kapelle verehrt, da sich hier ein Marienwunder ereignet haben soll: Auf Flehen einer Mutter kehrte ihr bereits totes Kind ins Leben zurück. Viele Menschen suchen seither Schutz und Hilfe bei der „Schwarzen Madonna“. Zu damaliger Zeit waren Wallfahrten nämlich sehr beliebt, und die Gnadenkapelle wurde rasch zu einem Zentrum der Volksfrömmigkeit, das während der folgenden Jahrhunderte von den Wittelsbacher Fürsten intensiv gefördert wurde. So las ich, dass die Madonna immer wieder mal neu angekleidet wird, man für sie einige sehr edle und kostbare Gewänder habe, oft angefertigt aus Brautkleidern des Fürstenhauses. Ihren Namen „Schwarze Madonna“ hat sie übrigens wegen der natürlichen Nachdunklung des Holzes, aber vor allem verursacht durch den Kerzenruß der Jahrhunderte. 

Wir sitzen längere Zeit in einem Bogen des Kapellenumgangs. Verschiedene Leute nehmen sich ein ausliegendes großes Holzkreuz, das mich an den Berg der Kreuze im Baltikum erinnert, in den Arm und gehen damit einige Runden. Grund zu Freude und Dankbarkeit sowie Gründe für Sorgen und Nöte gibt es eigentlich bei jedem Menschen. Lesen kann man davon auf den mehr als 2.000 Votivtafeln, Zeugen der langen Tradition der Wallfahrt nach Altötting, die fast das komplette Gewölbe und die Säulen des Rundgangs füllen. 

Vor der Kapelle kann man in einem gläsernen Pavillon, der wie eine überdimensionale Laterne aussieht, Kerzen aufstellen. Für unsere Lieben brennen nun auch welche. Es wird nicht schaden. Auch der Besuch der Stiftskirche am Platz schadet nicht, obwohl sich der Tod persönlich makaber senseschwingend auf einer hohen Uhr gruselig zu schaffen macht, der Kirchenraum ansonsten aber schön ist. 

Nun aber genug vom Wallfahrtsort. Wir radeln etwas durch die Altöttinger Gassen, bis uns Durst überfällt und mir der Gedanke kommt, eine morgens bei Google entdeckte Brauerei mit Biergarten in der Nähe anzusteuern. Nach schöner Fahrt über Land ist zu lesen, dass man erst ab 17 Uhr öffnet. Schade. Jetzt aber biergartenmäßig angefixt, laufen wir den nächsten in Altötting an. Denkste, nur Faßverkauf, also etwas zu viel des Guten. Aber eine Brauerei hätten wir noch in Neuötting. Nix wie hin an einem urigen Mühlbach mit wunderschöner sehr aktiv klappernder Mühle entlang. Aber trotz lobender Erwähnung bei Google und Angabe der Öffnungszeiten ist diese Kaschemme vermutlich auf ewig geschlossen. 

So scheitert auch unser dritter Brauerei-Versuch, und wir schlagen uns entmutigt ins Zentrum von Neuötting, das eigentlich so gar nicht im Plan war. Es fängt schon damit an, dass wir durch ein schönes altes Tor hindurch radeln müssen. Was sich dann dahinter auftut, ist wirklich wiedermal sehenswert. Eine schöne Fassade reiht sich an die andere, jeder freundlichen Farbe folgt eine nächste. Das hätten wir nie und nimmer in Neuötting erwartet, niemals gedacht, dass Neuötting so alt und farbenfroh daher kommt. Einen Biergarten finden wir hier zwar nicht, aber eine schöne Bäckerei mit Außenterrasse, in der wir uns Leberkäs mit Bretzel und ein Bierchen servieren lassen. Nur mal so am Rande: der Teller mit 2 großen Scheiben Leberkäs + Spiegelei + Salat + Bretzel kostete 7,80 €. Also da darf aber keiner meckern. 

Gut gestärkt radeln wir jetzt noch, wo wir schon mal da sind, wenigstens ein Stückchen am Inn entlang, bevor wir uns auf den Rückweg zum CP machen und darüber nachdenken, wie die Reise fortgesetzt wird.