Hamburg ~ Aabenraa ~ Mariager ~ Hobro ~ Egense
18.10.2020 Sonntag
Gegen Mittag sind wir startklar. Die neue Kühlbox ist befüllt, weniger aus dem Grund, dass wir unterwegs so wenig wie möglich einkaufen wollen, sondern so wenig wie nötig einkaufen müssen. Die Corona-Sorge nimmt auch ungefragt dick und fett Platz und reist mit. Natürlich wäre hinter eigener, geschlossener Haustür vermutlich der sicherste Ort, aber wir wollen uns im Rahmen der Möglichkeiten und unter Beachtung der Regeln schon mal einleben ins neu zu strickende Reiseleben, denn in bisher gewohnter, geliebter Form wird es über viele viele Monate hinweg gewiss nicht mehr funktionieren. Und das erleben wir gerade, da von einem Tag auf den anderen Beherbergungsverbote für Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern gelten, d. h. Rügen und die Ostseeküste können wir als unser geplantes Reiseziel vergessen, Schleswig-Holstein darf nur durchfahren werden. Meine Güte, darüber nachdenken darf man auch nicht. Aber angesichts der hochschnellenden Zahlen der Neuinfizierungen bleibt einem jeder Groll im Halse stecken. Und um diesen Kloß wegzufegen, muss Frischluft her. „Dänemark, Du mein geliebtes Land, Du liegst hinter Schleswig-Holstein, wenn wir diese Querung schaffen, besuchen wir Dich, versprochen.“ Diesen Schwur sende ich am heimischen Kirchturm gen Himmel, bevor uns die Eifelautobahn schluckt und auf dem Kölner Ring in einen Stau stellt. Wie üblich, verlässlich wie der Dom, so auch das Stauen um Köln, berühmt berüchtigt, obwohl Sonntag ist. Die weitere Fahrt verläuft aber ohne Störungen. Der Regen hält sich sehr in Grenzen, Grau wechselt häufig zu Gunsten schöner Herbst- und Regenbogenfarben.
Spanische Reisegefühle kommen auf angesichts der nicht enden wollenden weißen Blechlawine, hier aber nicht zusammen gesetzt aus vollbeladenen Apfelsinen-LKW, sondern aus sogenannten Freizeitfahrzeugen. Eine Unmenge Womos, Wowa, Vans, Pickups mit Kabinen, Jeeps mit Dachzelten sind unterwegs. Unfassbar. Unzählig. Da merkt man deutlich den gewaltigen Anstieg der Verkaufszahlen in dem Segment. Hoffen wir, dass alle gesund und zufrieden unterwegs sind.
Die ersten Hamburger Hafenanlagen zeigen sich. Wir sind froh, so weit heute zu kommen und melden uns nochmal bei dem sehr freundlichen Platzwart eines kleinen SP im Historischen Hafen, nachdem wir, wie das dort erbeten wird, unser Ankommen vor ein paar Stunden telefonisch angekündigt hatten. Alles kein Problem, er werde warten und uns einweisen, es sei gut, dass wir nun erst kämen, denn es sei noch leichtes Hochwasser, was aber bis 20 Uhr zurück gehe. Oh, ob wir nun nachts im Badedress schlafen müssen für den Fall einer ungeplanten Notwasserung? Da sind wir aber gespannt, wo wir da landen, aber zunächst erst mal im Elbtunnel.
Hinter dem Elbtunnel verlassen wir die AB7 und werden vom Navi durch ein paar Straßen und um ein paar Ecken über die Elbchaussee in eine Sackgasse mit Wendehammer gelotst. Unterhalb führt eine kurze Pflasterrampe auf einen schmalen Streifen, von Elbwellen umtost. Na ja, nicht gerade, aber alles mögliche dümpelt im Wasser, wiegt und wogt, Kähne und Altertümchen wanken und schaukeln vor unserer Nase, nachdem der schon bereit stehende Platzwart die Absperrkette geöffnet und die Zufahrt nach unten an die verwässerte Hafenkante ermöglicht hat. Wir sollen uns zunächst an die Mauer klemmen, wäre unproblematisch, ggf. auf einen der 3 Womo-Plätze umparken, sobald sie wasserfrei würden. Wir zahlen für die Nacht bis morgens um 9 Uhr 9,00€. Außer einer Möwe sind wir die einzigen Gäste, die sich für die Nacht hier einnisten.
Spektakulär, würde ich mal sagen, so haben wir noch niemals gestanden. Hier lässt sich Corona ausblenden, denn tausende Lichter und bunte Farben müssen verarbeitet werden. Lockt auch das Restaurantschiff im Elbwasser, Gäste sieht man kaum. Freude über diesen herrlichen Nachtplatz wechselt mit großer Betroffenheit über dieses unsäglich grauenvolle Virus, dessen Ende man nicht sehen kann, den Umgang damit aber gehörig üben muss.
19.10.2020 Montag
Früh schon aus den Federn sind wir heilfroh, es gestern noch durch den Elbtunnel geschafft zu haben. So können wir heute morgen nach einem kurzen Fotorundgang entspannt starten.
Vorbei an kleineren und größeren hochherrschaftlichen Anwesen mit und ohne Elbeblick kurven wir auf den baumbestandenen Alleen, auf denen sogar Strandkörbe spazieren geführt werden, Richtung Autobahn.
Das Wetter ist passabel. Es regnet nicht. Was wollen wir mehr. Aber mehr geht immer, denn schon bald klart es auf, wird blauer, und die Sonne scheint. Bei lockerer Bewölkung und Verkehrslage rollen wir über die Förde hinweg und ein klein wenig gespannt der dänischen Grenze entgegen. Ganz aktuell gäbe es keine Beeinträchtigungen oder gar Sperren, sagen die berufenen Stellen. Und so ist es auch. Am Grenzposten winkt uns ein Zollbeamter ohne Weiteres durch. Ein großes Zelt sieht man, in dem sich etliche Polizisten zu schaffen machen, stichprobenartig könnte man zu Tests gebeten werden, so war zu lesen. Wir können jedenfalls durch, hätten aber auch nichts gegen einen Test einzuwenden gehabt. Im Verlauf weisen mehrere Straßenschilder sogar auf Teststellen hin.
Knapp 200 km hinter Hamburg fahren wir den ersten dänischen SP an. Es ist erst Mittag, das Wetter toll. Daher legen wir einen Stopp ein und rennen nicht gleich bis zu den Fjorden in den Norden hinauf. Nicht sehr weit von der AB entfernt soll ein Bauernhof an einem See liegen mit guten Stehmöglichkeiten. Die asphaltierte schmale Straße endet bald, in DK häufiger anzutreffen, und über einen fest geschotterten Weg geht es den kleinen Womo-Hinweisschildern folgend durch ein Wäldchen und zur Einfahrt zum Gehöft.
Wirklich ganz phantastisch breitet sich eine total gepflegte Rasenfläche rund um ein rot geklinkertes Anwesen bis zum Seeufer hin aus. Alles leuchtet, satt grün der Rasenteppich, blitzeblau der runde See. Ein einzelner schneeweißer Schwan wirkt darauf wie ein vom Himmel gefallenes Wölkchen. Stille. Schön. Für alles ist hier gesorgt, V+E, Toiletten+Dusche, frische Eier kann man bekommen, Wifi ohne Störung, 14€ kassiert der sehr freundliche Hausbesitzer später ein.
Ein schöner Nachmittag im wechselnden immer wieder faszinierenden dänischen Licht ist sicher, eine Seeumrundung ebenfalls.
Sicher ist auch, und das hatte ich fast vergessen (aber nur fast): das Kristalllicht. Es wird gewiss überboten vom druckvollen Polarlicht, das wir leider noch nicht kennengelernt haben, aber sehr gespannt darauf sind. Aber jetzt hier und heute in Dänemark taucht der Abend, verlässlich wie der Stau auf dem Kölner Ring, die Landschaft in beinah glitzernden pastelligen und immer farbintensiver werdenden Schein, und den Betrachter in eine versöhnlich-dankbare Stimmung, die Wichtigkeiten verschiebt und manches im Inneren gerade rückt. Vielleicht sollte man Dänemark allein deswegen lieben.
20.10.2020 Dienstag
In dieser himmlischen Ruhe lässt sich gut ruhen. Auch die Hunde liegen wie Brote im warmen Backofen. Chianga, die mit uns hinten in der sehr komfortablen Besucherritze nächtigt, muss nur mehrfach nachts zugedeckt werden. Verrutscht ihre Decke, jammert sie kläglich leise und herzerweichend vor sich hin, wie ein Säugling, verwöhnt, was will man machen? Nix. Das Kleinchen halt zudecken, ordentlich, Decke überall am Körper und vor allem auch den Kopf drunter, unbedingtes Muss, sonst kommen Beschwerden, das Jammern wird energischer. Sie weiß sich zu helfen, hat es faustdick hinter den Ohren. Bazou hat nachts die Sitzlandschaft im Wohnzimmer für sich alleine, aber auch zugedeckt und eingemoppelt. Allerdings beschwert er sich nachts nie. Eben ein Mann, pflanzt sich hin und zack weg, schnarcht. Aber morgens, wenn er merkt, dass ich langsam wach werde, merke ich manchmal noch nicht mal selber, dann schleicht er nach hinten, stubst an meiner Matratze richtig heftig und mich am Bein an, ich hebe meine Bettdecke und schwupp, verschwinden durchtrainiert gestählte 45 kg laut- und spurlos unter den Federn und kleben sich an mich. Man hört meist noch einen wonnig-wohligen Seufzer, und das Tier fällt in tiefsten Schlummer. Ach, was denken nun weniger hundeverliebte Menschen, egal, sollten Sie bis hierher gelesen und tapfer durchgehalten haben: verzeihen Sie uns.
Hinterm Womo probt unter leichtem Himmelsgrau die Hühnerschar für‘s nächste Konzert. Jede Menge gackernde schöne Hühner im ridgebackfarbenen Federkleid haben sich im Gehege versammelt. Sie laufen direkt ohne Scheu zusammen, sobald sich jemand zeigt, sind Publikum gewohnt. Einfach idyllisch ist hier alles in beeindruckender Ordnung. Zum Wohlfühlen schön. Dennoch steht heute die Weiterreise an. So am Beginn einer Reise hat man ja noch viel vor. Wir hatten uns zwar offen gehalten, bei sehr schönem Wetter noch zu bleiben, die Räder auszupacken, aber heute ist eher Reisewetter. Wir entsorgen mit viel Platz und fahren ab.
Ein schönes Plätzchen für eine Mittagspause plane ich ein. Wir haben zum nächsten Ziel, dem Mariager-Fjord, gelegen zwischen Aarhus und Aalborg, ca. 220 km. Da kann man schon ein Päuschen einlegen. Und welch schönes Fleckchen wir da erwischen. Unweit der E45 Höhe Skanderborg erstreckt sich ein Seenhochland, vor 10.000 Jahren während der letzten Eiszeit entstanden. Der große Mosso See ist der drittgrößte Süßwassersee Dänemarks. Zwischen recht hügeligem Ackerland mit riesigen Möwen- und Krähenschwärmen geht es abwärts auf einen kleinen Parkplatz unmittelbar am Seeufer. Der schmale sandige Streifen lädt Bazou und Chianga natürlich ein zum sofortigen „5 Minuten“-Anfall. Herbstliche Temperaturen schrecken die Weicheier nicht ab. Glasklares Wasser, leuchtende Herbstfarben, diese Weite, welch ein Genuss.
Wir lassen uns ein paar Wurstbrote schmecken, und weiter geht‘s über die sehr wenig befahrene Autobahn Richtung Norden. Hobro, ein Städtchen am Ende des Mariager Fjords, lassen wir links liegen, Mariager soll Ziel sein. Im Hafen sind die Womo-Plätze belegt mit Booten. Der Winter naht, die Eigner haben sie auf‘s Trockene geschleppt. Ringsum ist „Camping verboten“.
Also wird erstmal nichts mit nah am Rosenstädtchen Mariager lagern, sondern wir ziehen brav weiter. Nächster Hafen, neues Glück. Und siehe da, ein paar Kilometer weiter Richtung Ostsee hin tut
sich Kongsdal auf und über einen Holperpfad ein himmlisches Plätzchen zwischen Booten mit vollem Fjordblick direkt vor der Haustür des Leuchtturmwärters, der aber nicht zugegen ist und seinen
Turm der Verwitterung preis gibt. Meine Güte, malerisch. Perfekt, wie die Bezahlmethode am Automat per Guthabenkarte, die beim Verlassen abgerechnet wird. Dreisprachig führt einen der Automat
durchs Programm, alles funktioniert, auch das kostenlose Wifi. Die Dänen sind schon klasse.
Die Boote im kleinen Hafenbecken werden gut besucht. Die Besitzer schleppen sackweise die Klamotten raus, man rüstet alles für die kältere Jahreszeit. Aber bald kehrt Stille ein. Kein Auto knistert mehr über den Kies. Einfach still. Nicht mal der nachmittags noch kräftige Wind fegt dazwischen.
Die Nacht kommt und lässt ein paar Lichtchen auf dem Wasser tanzen. Grüne und rote Leuchten warnen an der Hafenöffnung. Komisch, auch als Nichtseefahrer verschaffen sie einem ein gutes beruhigendes Gefühl.
21.10.2020 Mittwoch
Die Nacht unter dem einzigen Leuchtturm hier am Fjord, der von der Nordseeküste hierher verschleppt wurde, war ruhig. Kein Plätschern hörbar, kein Regen. Dann können wir radeln und den angeblich schönsten und längsten Fjord Dänemarks mal nah erleben. Sicher wird er sich im dänischen Sommer wie ein blau schimmerndes Band durch die sanft hügelige Landschaft ziehen, jetzt fließt etwas wie wässrige Milch in seinem Bett. Aber es herbstet eben hier im Himmerland, dem südlichsten Teil Nordjütlands, von daher ist alles stimmig, und wir sind froh und zufrieden, auf einsameren Pfaden und Wegen herum gondeln zu können. Wim macht also alles startklar. Knappe 10 km sind es bis Mariager, das man auch liebevoll „Stadt der Rosen“ nennt.
Zunächst radeln wir durch Dania, vorbei an Direktorenvillen und eine kleine Siedlung aus gelb gestrichenen hutzeligen Fachwerkhäuschen mit aussichtsreichen Gartenparzellen zum Fjord hin, die früher von Arbeitern der einzigen Salzfabrik Nordeuropas bewohnt wurden, heute eher zu Cafes und Restaurants umfunktioniert. Die Fabrik gibt es aber immer noch. Ihr Geschäft ist es, das in der Nähe 200 m tief unter der Erde lagernde Salz zu heben, das dann als Salzwasser durch eine Pipeline bis zu der Fabrikanlage auf Dania weitergeleitet und hier zu Speise- und Straßensalz vorverarbeitet wird.
Auf der weiteren Strecke glaubt man, an großformatigen Werken alter Meister vorbei zu radeln. Vor herbstlich gefärbtem Hintergrund der Wälder folgt ein Stilleben dem anderen, obwohl eigentlich nichts typisch unbeweglich ist, aber alles im Stillstand verharrt. Oder gaukelt mir der vernebelte Blick auf Ufer und Wasser dies nur vor. Jedenfalls lässt sich träumerisch hier radeln, auch wenn intensive Schwaden von Algen- und Wassergetiergerüchen dazwischen fetzen und gelegentlich das Kreischen einer vom Uferstein abhebenden Möwe die Stille zerreißt. Das schafft auch Chianga hinten im Hänger, die nämlich im Vorbeifahren die Ponyherde, die wirklich nichts gemacht hat, wüst anblafft. Manchmal ist sie eine richtige Zicke.
Mariager ist wirklich ein hübsches Städtchen. Es gehört zu den kleinsten des Landes, und die Bewohner kümmern sich sehr und erfolgreich um die Erhaltung. Man fühlt sich schnell zurückversetzt in alte Zeiten, erahnt ein wenig das Leben der Fischer von damals, wenn man so über das Kopfsteinpflaster an den alten schiefen Häuschen vorbei rumpelt. Der Rosenschmuck ist allgegenwärtig, aber natürlich sind nur noch vereinzelt Blüten zu sehen.
Die alte Klosterkirche auf dem Hügel, dem Marien Acker, aus dem 15. Jahrhundert strahlt mit ihren weißen Mauern durch die alten Bäume und das bunt werdende Grün auf dem Friedhof. Ein Grabstein springt uns ins Auge. Bemerkenswert ist, dass dieser Mann sein Fischerdorf hier damals verlassen hat, nach New York gegangen und dort Jahrzehnte später gestorben ist, aber offenbar doch hier, in der Heimat, begraben sein wollte. Es ist sicher nicht pietätlos, es im Bild festzuhalten, eher fügt es sich in Nachdenklichkeit und Erinnerungen, die uns auf diesem friedlichen Stückchen Erde ergreifen.
Gut, dass wir noch an einer Bank vorbei kommen, denn Dänische Kronen müssen her. Und etwas vom Bäcker ebenfalls. Am Hafen wirkt wetterbedingt alles wenig einladend. Zum Einkehren haben wir daher wenig Lust. Hier könnte man noch ein Salzmuseum und einen Verladekran besichtigen und sich in einem Salzwasserpool mit Salzkonzentration wie im Toten Meer vergnügen. Es fällt auf, dass die Menschen hier im Ort keinen Mundschutz tragen, allerdings schon überall Desinfektionsmittel stehen und Hinweistafeln für Abstandsregeln.
Nach einem kurzen Einkauf im Supermarkt treten wir in die Pedale und den Heimweg an. Inzwischen ist wirklich alles stark vernebelt. Es regnet nicht, sprüht aber irgendwie ringsum, ohne dass wir wirklich nass würden. Am Womo schafft Wim es gerade noch so, Räder und Hänger zu verstauen, da prasselt es auch schon nieder. Glück hatten wir und jetzt den vollen Genuss der Gemütlichkeit im warmen Womo. Wim kramt den Moppel aus dem Womo-Bauch, wir stehen hier so alleine, da könnten wir ihn mal betreiben wegen aufkommender Unterversorgung mangels Sonne heute. Danach liest Wim, die Hunde dösen, ich plane, was sonst.
22.10.2020 Donnerstag
Ein sehr unfreundliches deutsches Mitcamperpaar, das sich gestern noch zu uns auf den Platz gesellte, packt zusammen. Ich weiß wirklich nicht, warum es so schwer zu sein scheint, einfach nur einen Gruß zu erwidern, sondern stattdessen fast wie erstarrt aus der Wäsche zu glotzen, als hätte man gefragt, ob sie einem 100 € leihen könnten. Na ja, ändern kann man daran nichts, ich sollte aufhören, mich von solchen Banalitäten beeindrucken zu lassen. Hatten wir auch erst überlegt, noch eine Nacht an diesem schönen Fleck zu bleiben, so zerfließt dieser Plan im einsetzenden Regen. Ortswechsel angesagt, ganze 20 km. Mal sehn, was da so am Ende des Fjords in Hobro geht. Wim entsorgt, wir stecken die Chipkarte zur Endabrechnung in den Automat, klappt alles perfekt. Sehr praktisch gelöst hier alles.
Das Navi lotst uns über eine Nebenstrecke durch kleine Örtchen, verstehen muss man das zwar nicht, eine Hauptroute hätte es auch gegeben, aber so sehen wir noch ein wenig mehr vom Hinterland hier im Himmerland. Über viele Hügel ziehen sich riesige Felder, immer mal kleinere Seen dazwischen. Unterwegs wechselt der Himmel rasant die Farbe, mal hell und freundlich, ja sogar blau, dann wieder tief dunkel und bedrohlich.
In Hobro steuern wir bei immer besser werdendem Wetter, vorbei an hübschen Häuschen mit Fjordblick, den Lysthavn an, hier gibt es ein paar Stellplätze für Womos. Direkt am Hafenbecken kommen wir auf einem kleinen, sehr tragfähigen Wiesenstück zum Stehen. Boote schaukeln vor uns, der stramme Wind pfeift ordentlich um die Masten. Etliche Segler kommen, auch hier wird emsig winterfest gemacht, man schleppt Schaumstoffmatratzen und keilt sie in Kofferräume, man lässt Boote schweben und pfropft sie in Anhängergestelle.
Es klart weiter auf, so dass Wim die Räder parat macht. Es soll eine sehr besondere Kirke, also Kirche, hier im Ort geben. Und eine kurze Fahrradtour tut uns immer gut. Bei heiterem Wetter, aber frischem Wind, fahren wir am Fjord entlang und zum Ortskern hin meist über Kopfsteinpflaster immer Richtung Kirchturm. Die Einkaufsstraße ist wenig besucht, Mundschutz nicht zu sehen. Hin und wieder nimmt man Blickkontakt auf, nickt oder grüßt freundlich.
Auf einem kleinen Hügel und einem mit dicken runden Steinen eingefassten knallgrünen dichten Rasenteppich liegt die Kirche, die für Dänemark untypisch eher an eine Burg erinnert und nicht in propperem Weiß gestrichen ist.
Da sind wir nun aber gespannt. Und wir öffnen einen Flügel der schweren, hellgrau gestrichenen Holztür am schwarzem Eisengriff in Nasenhöhe. Jetzt in diesem kleinen Vorraum ist das gerade noch schwach hörbare Orgelspiel sehr viel deutlicher. Eine nächste Tür wird geöffnet ... und der Kirchenraum erstrahlt. Blitzgedanken an Portugal schießen mir durch den Kopf, obwohl der Anblick weniger beladen wirkt, eben nordisch reduziert, aber nicht weniger blau.
Hinweise darauf, von wem diese Ausführung stammt, was der Grund war, ob es schon immer so war, finden wir leider nicht. Da muss mal gegoogelt werden. Der Organist probt weiter unbeirrt seine Stücke, während unsere Blicke vom himmelblauen Kirchenholz und der Vierung nach oben wandern und sich im Himmelblau der Gewölbedecken verlieren. Beeindruckend ist es, diese Farbgebung, sicher auch unvergesslich. Sollte man mal wieder Portugal bereisen können, werden wir nochmal die übervoll mit Azulejos geschmückte Kirche besuchen, und dann werden wir darin stehen und uns an diese Kirche hier in Hobro erinnern. Ziele muss man haben.
Unser Ziel ist jetzt aber erstmal unser Womo, denn es nieselt. Wir schaffen den Rückweg gerade noch so halbtrocken. Aber, auch das ist kennzeichnend für Dänemark, häufig wandelt sich die Wetterlage flott und kurz darauf strahlt wieder die Sonne. Ein Regenbogen zieht auf, etliche Autos kommen, andere Männer räumen an ihren Booten herum. Alles glänzt und strahlt über den Fjord hinweg, Bilder zum durchatmen.
Die braucht man in diesen Zeiten, in denen sich tagtäglich etwas ändern kann. Denn heute wurde in Dänemark beschlossen, dass ab Samstag keine Deutschen mehr ins Land gelassen werden, Deutschland wurde zum Risikogebiet erklärt. Wie sieht die aktuelle Infektionslage hier in DK aus? Bisher war es beschränkt auf Kopenhagen und einen kleineren Umkreis, also ein Gebiet, das wir ohnehin nicht besuchen wollten. Und welche Bedeutung hat der Grenzschluss nun für uns als Reisende? Ja, geschockt sind wir schon, auch wenn wir mit allem gerechnet haben. So ist das eben, auch das, was man bedenkt und einkalkuliert, kann, wenn es denn kommt, Verunsicherung bringen. Diese Corona-Misere im ganz Großen betrachtet, führt bei uns dazu, zuhause zu bleiben, Decke über den Kopf, und erst wieder vorkommen, wenn die Luft rein ist. Aber in der Realität ist das auch kein Plan. Was kann uns hier auf unseren abgeschiedeneren Wegen passieren. Eigentlich nichts. Wir könnten jederzeit die Rückreise antreten, ein Aussetzen von Fähren, wie im Frühjahr in Marokko, brauchen wir nicht fürchten. Gut, Schleswig-Holstein ist mit einem Beherbergungsverbot belegt, aber das war auf der Hinreise schon der Fall. Das ist planbar alles. Die Dänen selber dürfen nach wie vor im Land reisen. Unser rollendes Wohnmobil dürfte demnach keinen dänischen Groll auf sich ziehen. Denn das würde uns schon sehr zusetzen, zu wissen, die Bevölkerung hier darf eigentlich nichts mehr, und wir gondeln locker flockig herum. Das wäre das Aus für diese Reise und würde die sofortige Rückreise bedeuten. Ob wir nun in irgendeiner Weise Anfeindungen erleben werden, bleibt abzuwarten. Es dauert etwas, ehe Beruhigung in uns eintritt. Hilfreich dabei ist ein Glas Wein, Ablenkung verschafft die Landkarte, Umplanungen der Reiseroute laufen, da gerade die größeren Städte Aalborg und Aarhus, in deren Nähe wir uns aufhalten, zu Hotspots erklärt wurden. Ein Besuch war zwar keineswegs geplant, aber die angedachte Besichtigung einer alten Wickingersiedlung mit Museum in Aalborg werden wir mal tunlichst vertagen. Statt Hals über Kopf nach Hause zu rennen, werden wir die Fahrt in Ruhe und mit noch mehr Überlegung und Vorsicht fortsetzen. Besseren Schutz als diese fast menschenleere Gegend mit Seeluft und Wohnmobil bietet uns auch unser Zuhause im Moment nicht. Dennoch fällt das Einschlafen heute sehr schwer.
23.10.2020 Freitag
Der Morgen bringt schon mal reichlich Sonne und einen blauen Fjord. Ein Geschenk.
Statt auf direktem Weg zum Limfjord, werden wir am Mariager Fjord entlang zur Ostsee fahren. Das Wetter ist herrlich, und sicher warten tolle Aussichten. Nach V+E verlassen wir Hobro und fahren am Südufer des Fjords entlang. Hier verläuft die Straße zum Teil dicht am Ufer. Und die Ausblicke sind phantastisch. Der Herbstwald leuchtet in der Sonne, weiße Möwen und Schwäne blitzen auf dem blauen Wasser, große Gehöfte liegen verstreut und verträumt in der wunderschönen Landschaft, hartgesottene, von Wim bewunderte Angler stehen im hüfthohen Fjordwasser, sicher Adrenalin pur, wie sonst sollten sie sich so untenrum nicht total verkühlen. Aber in dem Dänen an sich pulsiert gewiss noch echtes Wickingerblut, da kommen nicht die Harten in den Garten, sondern in den Fjord.
In Hadsund endet die Straße, es geht weiter links über den Fjord hinüber ans andere Ufer und Richtung Als zur Ostsee.
Glücklicherweise verpassen wir in Als nicht den Wegweiser nach Als Odde, dem Punkt, wo der Fjord in die Ostsee mündet. 6 km geht‘s über ein schmales Sträßchen durch Kiefern- und Laubwälder bis zum Ende ans Ostseeufer durch weite sumpfige Wiesen. Parken darf man hier, allerdings dürfte nicht übernachtet werden, was auch nicht unser Plan ist. Wir schauen uns etwas um, wie ein paar andere Besucher und Angler auch.
Die Fahrt an der Ostseeküste gen Norden wird nach dem kurzen Rundgang fortgesetzt. Viele Ferienhäuschen liegen rechts und links der Straße, im größeren Örtchen Oster Hurup spazieren ein paar Leute herum, fast alle Läden sind geschlossen, vielleicht nur Mittagspause, vielleicht generell, man weiß es nicht. Die Straße führt schnurgerade an Naturschutzflächen mit Ponys und Rindern am Ostseeufer entlang.
Das Örtchen Egense ist unser Ziel für heute. Falls man im Segelhafen, den man über einen Schotterweg erreicht, nächtigen darf und es schön dort ist, bleiben wir. Und das ist so. Irgendwo auf den Wiesen sollen wir uns hinstellen, einen Zettel ausfüllen mit unseren Daten, den mit 17 € in einen Postkasten werfen, der Hafenmeister würde ihn dann später finden. Ja prima, toll, Platz am Wasser, näher geht wiedermal nicht. Hinter Heckenrosenbüschen stehen wir nun auf einem sattgrünen Wiesenstreifen, der an einem Wall aus dicken Kieselsteinen endet, gegen den ganz still und sacht die Ostseewellen schwappen. Zur Linken liegen die Boote und die Mündung des Limfjord. Ein paar Boote tuckern herum.
Der Platz wurde von Mitcampern erwähnt, weil man hier so gut die vielen Kreuzfahrtschiffe vorbei ziehen sieht. Tja, es wird keins kommen.
24.10.2020 Samstag
Wird man früher wach und steht man demzufolge auch früher auf, dann hält der frühe Tag hin und wieder eine Überraschung bereit: einen Sonnenaufgang, Postkarten tauglich.
Auf einer Tafel lese ich, dass diese Hafenanlage hier noch gar nicht so alt ist. 2005 wurde sie mit riesigen Sandmengen angelegt, die in der Nähe der Insel Laeso hochgepumpt wurden, und gehört seitdem zu einem großen internationalen Schutzgebiet für seltene Vogel- und Naturarten. Lustig ist auch der Hinweis, dass die beiden Leuchttürme, die man in der See sieht, „Salt og Peber“, also „Salz und Pfeffer“ heißen und die Einfahrt zum Limfjord markieren.
Es ist sehr mild heute morgen, nicht mal zu frisch, um 5 m von der Womo-Schnauze entfernt im Nachthemd an der Ostsee zu stehen, laue Luft, die Hunde rennen, Bazou beschäftigt sich mit Wonne und irrsinniger Kraft mit Ausgrabungsarbeiten. Purer Luxus, pures Glücksgefühl.
Das legt sich allerdings sofort, als Wim einen Ölfleck im Staukasten unter der Hubstützenpumpe entdeckt. Keine Ahnung, was das nun ist. Erstmal nicht mehr auf künftigen SP nutzen und Werkstattbesuch in Kürze. Gut, wir sind noch in der Garantie, aber es ist extrem ärgerlich, macht Sorgen und versaut die Stimmung. Alt genug, zu wissen, wie man das stimmungsmäßig wieder hinbekommt, und in der Erkenntnis, heute noch an diesem schönen Platz zu bleiben, sattelt Wim die Räder. Wir werden eine Runde drehen. Hier bringt einen eine Fähre vom einen zum anderen Fjordufer, eine Brücke gibt es nicht. Gegenüber liegt das kleine Städtchen Hals. Wir zahlen 40 DK für hin und zurück und legen mit Mundschutz ab.
Drüben angekommen, locken uns drei große eindrucksvolle Skulpturen im Hafen. Beim Näherkommen sieht man, dass sie auch als Boote genutzt werden können. Dank Google wissen wir nun, dass sie von der Künstlerin Marit Benthe Norheim geschaffen und „Life-boats“ genannten werden. Sie tragen auch entsprechende Aufschriften. Sie nahmen 2016 an der Aalborg Regatta teil und waren Botschafter für Aarhus Kulturhauptstadt 2017.
Hier auf dem Hafengelände herrscht sicher morgens viel Betrieb. Viele Fischerhütten sieht man, Boote und Schiffe aller Art dümpeln im Hafenbecken. Ein paar Geschäfte haben geöffnet, aber alles ist mehr oder weniger menschenleer.
Lediglich die Poelserbude im Ort wird stark frequentiert, wir genehmigen uns auch eine. Sie oder er, die oder der Poelser, gilt ja, lt. Informationen eines DK-Kenners, quasi als Nationalgericht, jeder Däne gönnt sich wohl täglich mindestens einen Poelser, so im Vorbeigehen, wenn der kleine Hunger kommt. Ich hab dies auf Wahrheitsgehalt noch nicht prüfen können, mein Dänisch ist schlecht bis gar nicht vorhanden. Aber die Tatsache, dass an allen Poelserbuden immer Menschen stehen, spricht schon für die Verlässlichkeit meiner „Quelle“.
Wir radeln durch die Gassen im Ort. Typische Antik-Lädchen fallen auf, oft betrieben von Hilfsorganisationen hier in DK. Vor einem Haus hat man zwei riesige Walfischknochen zu einem Bogen aufgestellt. Die Namen mehrerer Gönner sind in eine Metallplatte eingraviert. Wohl auch etwas Wichtiges und Bedeutungsvolles für dieses Örtchen, wie die große Holzskulptur eines Wickingers, an der wir vorbei kommen. Sie stellt Guld-Harald dar, ein Königssohn. Irgendeinen Kampf hat dieser Gold-Harald an diesem Fleck mal geführt, bevor er kurze Zeit danach selbst erhängt wurde.
In der Kirche im Ort findet gerade eine Beerdigung statt. Besichtigen wollen wir daher natürlich nicht, kaufen stattdessen beim Bäcker Leckeres ein, um uns den Tag nach der Öl-Entdeckung heute morgen etwas zu versüßen und radeln zum Hafen zurück.
Die etwas dunklere Bewölkung hat sich inzwischen verzogen, und es ist blauer, die Ausblicke bei der Überfahrt und im Hafen um uns herum damit auch wieder herrlich.
Ein schöner Tag am Meer geht zu Ende.
Ende Oktober? Dänemark? Was?
Ja, es geht, und es ist sehr sehr schön.
25.10.2020 Sonntag
In der Nacht werden wir gehörig von Stürmen gebeutelt. Der Wind pfeift und heult, hat zwar am Womo wenig „Grip“, da es auf Hubstützen steht und dadurch auf dem Gummi der Reifen nicht noch besonders in Schwingungen geraten kann. Aber es ist äußerst ungemütlich, obwohl es den Hunden rein gar nix ausmacht. Wir denken über Weiterreise nach. Es regnet, dichte graue Wolkendecke, sehr stürmisch. Drei "Wahnsinnige" kommen angesaust, werfen ihre Klamotten auf den Steinwall am Ostseeufer und, ja, kaum zu glauben, stürzen sich in die Fluten. Ihnen war wohl nach "taufrisch wie der junge Morgen".
Laut Wetterbericht ist die nächsten Tage keine Änderung in Sicht, eher wird aus Regenschauer Dauerregen mit aufgeblähtem Windhosen-Symbol. Tja, was machen?
Wie geplant am Limfjord stehen, zwei Mal täglich nass werden, nicht wirklich raus können? Vorstellungen, die uns ziemlich wenig behagen. Für Norddeutschland scheint die Prognose besser. Hinzu kommt ja noch dieses Corona-Dilemma mit der Frage, wie wirkt es sich auf unsere weitere Reise aus, und was macht Deutschland angesichts der extrem steigenden Zahlen, und welche Bundesländer fahren wieder alles runter?
Ach, weißte was ?
Zwar ist schon später Vormittag, aber es ist Sonntag, die Straßen sind frei, es sind zwar gut 500 km, aber wir könnten es bis hinter Hamburg schaffen. Gesagt getan. Schade schade ist es. Aber bei den Vorhersagen melden sich die Weicheier in uns zu Wort und wollen näher ran ans heimische Kaminfeuer und die Sauna. Außerdem müssen wir auch an unsere Hunde denken, die mögen überhaupt nicht dieses Schiet-Wetter, die sind dafür einfach nicht gemacht, die Armen.
Also fertig machen zum Ablegen und Abdampfen.