05.06.2024 Mittwoch
Obwohl sich abends uns direkt gegenüber pausenlos junge tollkühne Männer in ihren fliegenden Kisten am Hafenbecken treffen, zu extrem lauter Musikbeschallung noch lautere Unterhaltungen führen, und ihre Karren präsentieren, verliefen die beiden Nächte auf dem SP in Charleville sehr ruhig und angenehm. Die Burschen hängen hier wohl nur für Momente ab und verbringen die Nächte in ihren Betten irgendwo. Unter den Womos herrscht Aufbruchstimmung. Die ersten ziehen weiter, wir ebenfalls, nachdem es Wim gelungen ist, dem fahrenden Bäcker ein Baguette abzukaufen und zu frühstücken. 20 km entfernt liegt unser heutiges Ziel, ein unter Denkmalschutz stehender Burgrest in Montcornet und ein Gallisches Dorf. Die Fahrt dorthin führt über eine waldreiche schmale Route auf ein Plateau. Die Wiesen wurden noch nicht gemäht. Leider liegt heute alles im Regengrau, so dass die vielen Wildblumen wenig strahlen. Ein paar Dörfchen durchfahren wir. Auch hier, wie schon auf den zurückliegenden Routen, fallen extrem schmale alte Wohnhäuschen auf, meist mit nur einem Fenster an der Schmalseite. Sie wirken wie Bauklötzchen. Nach einem Rauf und Runter erreichen wir den kleinen Ort Montcornet. Ein Felsvorsprung des Mont Cornu mit einem Teil einer Ruine wirken wenig interessant. Es nieselt, und die Zufahrt zum Parkplatz, die Wim vorsichtshalber zu Fuß erkundet, ist sehr steil, grenzt an eine Handvoll Hütten des wohl gallischen Dorfs, das aber erst am Nachmittag geöffnet ist. Schnell ist klar, dass wir weiterziehen zum nächsten Punkt: Rocroi.
Die mittelalterliche Stadt trägt den Namen „Sternen-Stadt“, galt und gilt als Juwel einer befestigten Stadt und als Hüterin des Königreichs von Frankreich, nachdem hier im 17. Jahrhundert während des Dreißigjährigen Krieges die für Frankreich alles entscheidende Schlacht von Rocroi gegen die spanische Armee ausgetragen und mit einem französischen Sieg beendet wurde. Damals verteidigte der junge, erst 20-jährige Militärgeneral, der Graf von Enghien, die Stadt gegenüber der zahlenmäßig weit überlegenen spanischen Wehrmacht und sicherte so das Königreich Frankreich gegenüber einem möglichen Ansturm auf die Hauptstadt Paris. Nach einem Jahrhundert der Niederlagen markiert diese Schlacht die Rückkehr Frankreichs in den Mittelpunkt und ebnete den Weg für die Regentschaft des damals erst vierjährigen König Ludwig des Vierzehnten. Später gab Ludwig der Vierzehnte, der Sonnenkönig, den Bau von über 300 Zitadellen entlang der natürlichen Grenzen seines Herrschaftsgebietes in Auftrag an den nicht minder bekannten Architekten Vauban, der bereits zu Lebzeiten den Ehrentitel „Ingenieur von Frankreich“ trug. Vauban war es, der der „Sternen-Stadt“ Rocroi sein unverkennbares Aussehen gab. Von allen Seiten ist die militärische Befestigungsanlage rund um den kleinen mittelalterlichen Stadtkern ein imposantes Landschaftsmerkmal in den französischen Ardennen.
Und direkt an einer Sternenspitze am schützenden Wall finden wir auf einem großen geschotterten PP ein Plätzchen unmittelbar vorm Eingang zum Stadtkern. Perfekt, Alleinstellung, kein anderer Mitcamper in Sicht, wobei uns das wundert an diesem geschichtsträchtigen Ort. Es nieselt immer noch. Blick voraus geht über tiefe Gräben hin zu einer alten Brücke. Bunte Fahnen flattern. Wir werden das erstmal aussitzen. Programmlos tut auch mal gut.
Einzigartigkeit wird der Stadt Rocroi nachgesagt. Neben Palmanova in Italien ist es die einzige Stadt Europas, der es gelungen ist, ihre Befestigungsanlagen und ihre Stadtplanung so zu erhalten, wie sie ursprünglich waren. Ausgehend vom zentralen Platz trennen sich zehn Straßen zu einem vom Himmel aus gesehenen Stern. Geprägt von der Geschichte Frankreichs und berühmt für ihre sternförmigen Befestigungsanlagen, versetzt diese als uneinnehmbar geltende Stadt die Besucher in eine andere Epoche, in die Anfänge der Renaissance, so kann man es irgendwo im Netz nachlesen. Wir sind gespannt und begeben uns auf eine Entdeckungsrunde, denn es lichtet sich am Himmel und nieselt nicht mehr. Über die Brücke gelangen wir über eine der 10 Sträßchen zum zentralen Platz. Ziemlich irritiert sind wir über die vielen PKWs, die schon parken, vieles zustellen oder noch herumkreisen. So hätte ich das nicht erwartet an diesem denkwürdigen Fleck. Alte Gebäude mit schönen Fassaden gibt‘s reichlich, aber auch jede Menge Leerstand. Die Kirche ist verschlossen, und wir spazieren wieder an den äußeren Ring.
Hier kann man dem Städtchen allerdings etwas Positives abgewinnen, nämlich hervorragend spazieren gehen. Einige französische Bulldogen sind unterwegs. Auf der „Promenade des chiens“, wie uns eine lustige Französin erzählt, kann Chianga leinenlos laufen und laufen. Ein schmaler Pfad führt an Ruinen der Befestigungsanlagen und Wall und Wällen vorbei mitten durch Blumenwiesen. Friedlich grasen Schafe in tiefen Burggräben. Die Natur wirft über all das Grausame, was sich Menschen hier angetan haben, eine grüne Decke. Irgendwie ist über Schlachtfelder gehen heute nicht so mein Ding, all die schönen Blümchen und der schöne Abendhimmel stimmen aber versöhnlich.