Salisbury und Umgebung

30.06.2024 Sonntag

Der Plan ist, heute abzureisen aus Burley und dem New Forest. Das „Wohin“ beschäftigt mich schon einige Zeit, quasi schon zuhause. Ein wenig vorsortiert hatte ich, so was SP-Möglichkeiten angeht, aber eigentlich nur bis jetzt in diese Region. Wie so oft, ist - zumindest mir - diese trockene Schreibtischplanerei mit Laptop und Reiseführern irgendwann zu viel und ich klappe alles zu. Man kennt das Land nicht, weiß nicht, wie es einem an welcher Stelle geht, gut gefällt oder nicht, welche Region plötzlich mehr reizt als die andere, was das Wetter so vorgibt, und überhaupt, ich mache mich so ungern zum Sklaven eines Plans. Mit anderen Worten: heute sollten wir entscheiden, ob es nach rechts hoch ins Land Richtung Stonehenge und Bristol oder weiter an der Küste entlang Richtung Plymouth gehen soll. Da sprüht es vom Himmel, ohnehin ist der heute sehr zugeknöpft und dezent grau. Auch bei Landlords gegenüber, eher ja die Sonnenseite des Lebens ;-), ist es nicht besser. Unter diesen Umständen ist uns eher nach Sightseeing Stadt als nach Klippenwanderung Meer. Entscheidung steht: Salisbury wird angesteuert. Zur Wahl steht auch Winchester. Aber die Engländer sagten, Salisbury sei schöner. Daher quälen wir das Concördchen nun über das Wildtiergitterbodenrost und zwängen uns durch die enge Zufahrt zur Gasse, die sich mit ihrem sofort aufbäumenden verkehrsberuhigenden Asphaltwulst wenig kooperativ zeigt. Die pechschwarzen Kühe bleiben unbeeindruckt und grasen seelenruhig weiter, nur das junge Rindvieh, das sich wohl auf der Straße ein wenig die Füße vertreten hat, zwinkert uns noch zum Abschied zu. Am Pub um die Ecke brennt die Lichterkette, duster genug ist es noch. Und moosgrün wird es. Ein süßes Fohlen macht im Heidegebiet von seinem Recht auf Vorfahrt Gebrauch, überquert stressfrei die Straße und wird von seiner Mama begrüßt. Im Städtchen Lyndhurst herrscht wieder Chaos. Momentelang geht nichts mehr. Aber das erzählte uns hier jeder, und jeder riet, einen großen Bogen um den Ort zu machen, auch mit Rad. 

Wir müssen noch irgendwo Wasser auftreiben. Fährt man keine CP an, muss man schon mal erfinderisch sein. An einer größeren Tankstelle halten wir an, fragen nach. Klar, das sei kein Problem, water for cars sei um die Ecke, for free. Perfekt, wir tanken voll. Auffüllen ist auch nach problemloser Fahrt durch hügelige Landschaft im ersten großen Supermarkt in Salisbury angesagt. Da herrscht ein Betrieb, Parkplatz voll, massenweise Menschen nutzen den Sonntag mittag, um in den ellenlangen Supermarktgängen von hier nach da zu sausen. Ebenfalls flitzen viele junge Leute mit Supermarktkittel herum mit mehreren Plastikkisten auf Wagen, Scanner oder ähnlichem in der Hand, sehr konzentriert bei der Arbeit. Aber welcher? Zunächst denke ich, sie füllen Regale auf, dann sehe ich, sie greifen zu unterschiedlichen Lebensmitteln und Haushaltsartikeln, packen sie in diese Kisten. Nachgefragt erfahre ich, sie suchen Bestellungen von Kunden zusammen, arbeiten also Einkaufszettel ab. Der Kunde muss dann nur abholen. Gut, gibt es ja auch bei uns. Aber in solch einer Masse habe ich bei uns nie Einkaufshelfer gesehen. Besonders finde ich auch, dass Glühwein im Angebot ist und eine gigantische Chipsauswahl, und da dann die irren Abpackungen, mal in Säcken, groß wie Grillkohle, oder in großen Kartons. Besonders ist auch, dass an den Kassen zig Geräte zum Selbstscannen stehen, eine ganze doppelte Reihe, und sie werden durchgängig genutzt, völlig normal. Am Ausgang stehen fahrbare Untersätze für Menschen mit Gehproblemen bereit, auch etwas sehr Sinnvolles. Tja, so waren der Kartoffeleinkauf und anderes zwar nicht so interessant, aber die Erkenntnisse nebenher schon.

Quer durch die Stadt mit sehr dichtem Verkehr kommen wir an auf dem PP an einem Rugby-Club, auf dem man übernachten darf. Nun muss ich sagen, dass wir an solchen Orten unser Womo nicht so gerne unbeaufsichtigt lassen. Und da für morgen natürlich Sightseeing angesagt ist, müssten wir es ja tun. Um die Ecke liegt ein CP. Wim schaut sich den mal an. Es ist so einer, der, ist man kein Mitglied, sehr teuer ist, da reden wir mal schnell über 45 £ und aufwärts. Wird man Member (53 £ Jahresgebühr), kostet uns (mit ü60 Rabatt) ein Wiesenplatz ohne Strom 23 £. Hin und her überlege ich, erwähnte ich nicht schon häufiger, dass ich CPs nicht mag. Wim ist nicht abgeneigt, er geht auch gerne etwas mehr auf Sicherheit. Also wir nehmen letztlich den CP, regeln die Mitgliedschaft online, zahlen den reduzierten Betrag, werden auf dem Gelände in eine Ecke gelotst und stehen. Prickelnd finde ich es nicht, aber es gibt Schlimmeres, im Moment aber eben nicht ;-). Sinn wird das Ganze aber machen auf unserer Weiterreise. Denn in den Portalen finden sich sehr viele CPs, kaum SP, viele PP, die aber oft für uns nicht erreichbar sind, nicht passen von der Lage oder an einem Pub liegen, und wir aber nicht dauernd auswärts essen wollen. Und als Mitglied in diesem Verein hat man viele Möglichkeiten, CPs zu wählen zu angemessenem Preis. Wir werden hinterher wissen, ob es gut war, es so zu machen, oder eben nicht. Jedenfalls werden wir ggf. mit ein paar Tagen Vorlauf auf CPs reservieren. Es scheint nämlich so, als würde alles voller und voller. Und Cornwall kommt ja erst noch. Willkommen im Club. 

Viel hat der heutige Tage nicht geboten, da kommt das Plakat, dass im Lokal im Rugby-Vereinshaus um die Ecke England - Slowakei geguckt werden kann, sehr gelegen. Da gehn wir mal hin, ist zwar kein Pub, aber einfach mal bisschen schauen. Angekommen grinst man uns freundlich an, Tische sind alle besetzt, aber nur wenige Leute gucken auf 2 großen Bildschirmen. Am Nachbartisch wird ein Stuhl, der für einen Moment frei wird, sofort von einem süßen kleinen schwarzen Cocker besetzt, der dafür von seinem Frauchen umgehend mit einem Leckerchen für seine Aktion belohnt wird. Wenn das Onkel Rütter wüsste! Der TV-Kommentator kommentiert, klar, was sonst, aber sehr emotionslos. Ggf. hat er auch schon keine Lust mehr, über den englischen Football zu reden, so wie viele, die wir darauf ansprachen. Plötzlich steht‘s 1:0 für die Slowaken. Enttäuschung im Clubheim hält sich in Grenzen. Wir gehn vor der Nachspielzeit, nachdem England endlich einen Treffer zum 1:1 landen konnte, und dieser auch sehr bejubelt wurde im Club. Da waren dann doch Freude und Erleichterung spürbar. Und für die Engländer lief es weiter gut. Sie haben den Sieg im Sack und ihren Platz im Viertelfinale sicher. Und wir dürfen gegen Spanien unser Bestes geben. Na denn … 

01.07.2024 Montag

Letzte Woche Montag war ein blauer Montag. Und wider Erwarten lässt sich der heutige auch nicht lumpen. Schnell schnappe ich mir meine Kamera. So ein CP sieht einfach mit etwas Blau um Längen besser aus als in Grüntönen. 

Meine Laune erheitert sich, obwohl mein Sohn mir gerade mitteilt, dass Stonehenge nicht mit Hund besucht werden darf. Scheibenkleister! Liegen da auf freiem Feld ein paar Wackermänner herum und Dogs dürfen nicht mit. Das verstehe wer will. Gut, der Eintrittspreis ist mit rund 25 £ pro Nase auch weit oben angesiedelt, dennoch hätten wir den Besuch unternommen … wenn man schon mal hier ist. Jetzt aber steht der Plan für morgen, dass wir mit Womo hinfahren, schauen, was es mit Abstand zu schauen gibt, drum herum pirschen und versuchen werden, mit Teleobjektiv das Objekt irgendwie zu bannen. Und dann wär‘s das dann eben mit dem Stonehenge. Ersatzweise ist heute schon mal Old Sarum Castle dran. Es liegt sehr günstig am CP, 3 km nördlich vom Zentrum. Unsere Aussicht von der Parzelle aus ist auf den höher gelegenen ringförmigen Befestigungswall des Castels gerichtet. Was sich dahinter verbirgt, werden wir gleich sehen, wenn wir aufgesattelt haben. Davor liegt jedenfalls eine riesige Grasfläche. Hundeauslauf am CP? Kann sofort mit einem „Ja“ zugesichert werden, aber sowas von sicher. Im Radwege-Entwicklungsland England fahren wir stadtauswärts leicht bergan, werden vom Radwegschild in die Büsche auf einen schmalen, ausgegurkten Staubweg nach oben geleitet, erreichen einen Parkplatz und folgend den Eingang. 

Auf glatt gemähter Wiese können wir den kompletten Ring um die Wallgräben befahren und landen auf einem flachen sehr gepflegten Ruinenfeld mit Fundamentsfragmenten einer Kathedrale, das übrigens Ken Follett zu seinem Bestseller „Säulen der Erde“ inspirierte. Diese hier oben im Dornröschenschlaf liegende Sehenswürdigkeit gilt als die Wiege der heutigen Stadt Salisbury. Burg und Kathedrale, weltliche und geistliche Macht, Burgherr und Bischof, das ging nicht lange gut. Der Klerus verzog sich 1219 nach unten an den River Avon, baute eine neue Kathedrale im damit neu begründeten New Sarum, das bald Salisbury genannt wurde und sich zur Stadt entwickelte, da viele Bewohner von Old Sarum angezogen wurden, die neue Stadt mit aufbauten und Old Sarum dem Verfall preisgaben. Wir genießen die schöne Aussicht auf die hügelige Landschaft und den CP. 

Old Sarum kehren wir nun den Rücken zu und wenden uns bergab New Sarum zu, wie die Menschen damals. „The Gold Way“ nennt sich der Radweg, scheint partiell auch schon von den Leuten damals angelegt worden zu sein. Aber da es immer bergab geht, können wir uns nicht wirklich verfransen und irgendwie klappt es durch Park, über Schnellstraßen- und Bahnüberführung, an Mauern entlang und um zig Ecken mit etlichen Small Talks mit Passanten über Flat coated Retriever und Arbeitsjahre in Mönchengladbach. 

Wir kommen dem im Tal, in dem sich vier Flüsse treffen, liegenden Zentrum näher und stehen bald auf dem Marktplatz. Das mittelalterliche Stadtzentrum hat fast vollständig die Zeit überdauert und empfängt uns mit wirklich reizenden Ansichten. 

Die Gassen sind an Vielfältigkeit der Baustile der Häuserreihen kaum zu überbieten und gut besucht. Verkehr herrscht auch. Mehrstöckige Busse cruisen herum. Aber es umgibt einen eine angenehme Gelassenheit, fernab jeder Hektik, selbst in den traditionellen Einkaufsstraßen. 

Irgendwie wirkt alles friedlich und fröhlich. Kann sein, dass die Cottages mit ihrem Fachwerk, die Häuser aus Backstein und Kieseln und die historischen Pubs das angenehme Gefühl zu verantworten haben. Der Kontrast gefällt uns einzigartig gut, und es macht mehr als Spaß, um die nächste Ecke zu gucken und etwas zu erwarten.

Der schlanke Turm der Kathedrale bildet den Mittelpunkt. An vielen Stellen sieht man ihn hervorragen. Wir sind sehr gespannt auf die sich sicher gleich auftuende Vollansicht auf die Kathedrale. Und da ist sie schon: The Cathedral Church of the Blessed Virgin Mary, die Kathedrale von Salisbury. 600.000 Besucher zählt man pro Jahr. Das mittelalterliche Gotteshaus in Form eines Kreuzes weist sozusagen nur einen einzigen Baustil auf, ist ein Meisterwerk der English Gothic und wurde 1280 nach nur knapp 40 Jahren Bauzeit fertiggestellt. 60.000 to Steine, 2.800 to Eiche und 420 to Blei verschlang der Bau. Allein die 123 m hohe Kirchturmspitze wiegt 6.500 to und ist damit die größte Großbritanniens. Man muss das alles nicht wissen, merken können wir uns das sowieso nicht, aber wenn man hier steht, dann ist es für uns interessant und wichtig, wenigstens um einige Details zu wissen, um ermessen zu können, vor welcher Pracht man steht. 

Da Chianga wieder leicht humpelt, sie hat vermutlich Arthrose lt. unserer Hausärztin, bleibt Wim mit ihr draußen im Park auf einer Bank. Sie dürfte tatsächlich mit hinein, wohlerzogene Hunde dürfen angeleint mit. Der Wahnsinn wieder mal, denke ich so an Stonehenge. Ich schreite dann mal los. 12 £ sind für das Ticket fällig. Bei Fragen soll ich mich jederzeit an einen der vielen ehrenamtlichen Fremdenführer wenden, es sind ältere, sehr konservativ gekleidete Herrschaften mit dunkelgrüner Schärpe, von denen sich auch gleich drei extrem freundlich anbieten. Ich ziehe aber den Alleingang vor, muss aber bisschen schmunzeln über die Grünbandoldies, seh ich sie doch schon beim Tea zusammen sitzen und sich gegenseitig von ihren Begegnungen mit Touris und dienlichen Ausführungen berichten. Ich lästere schon wieder, und das in diesen heiligen Hallen, die mich sofort in den Bann ziehen. Unfassbar wunderschön ist dieser Kirchenraum, die Augen laufen über. Ich habe niemals zuvor in solch einer imposanten strahlend schönen Kirche gestanden. 

Pracht und Kraft der Fenster sind unbeschreiblich. Die Fächergewölbedecke scheint endlos. Irgendwo zwischen all dem Aufstrebenden und den mächtigen Säulen in den Kirchenschiffen ziehen einen der Hochaltar und die blaue Weite dahinter magisch an. Dazwischen in der Vierung passiert man das sehr modern gestaltete Taufbecken, auf dessen ruhig glatter Wasseroberfläche sich das Kirchenschiff spiegelt. 

Es folgt der lange Chor. Einfach nur sehenswert und erlebenswert ist es, sich das prachtvoll gearbeitete und mit kunstvollem Schnitzwerk versehene Chorgestühl, das aus der Zeit um 1236 stammt, anzuschauen bzw. anzustaunen. Da fällt einem kein Wort mehr ein, außer der draußen von einer Schwäbin aufgeschnappte Satz: „Ich schau mir in dem Shop die Bücher mit den Bildern von innen an, dann brauch ich da nicht rein und muss keinen Eintritt zahlen.“. Na denn, so viel zur noblen Kulturreise nach Südengland, mit der man sich ja so schön wichtig machen kann. Ich verpasste es, ihr Google anzuraten, dann hätte sie sich nämlich die Kosten der gesamten Reise sparen können, weil man alle Bilder dort findet. 

An einem Modell der Kathedrale komme ich vorbei. Es ist sehr schön dargestellt, wie rundum die Baumaßnahmen liefen. Einen Schritt weiter steht man vor der womöglich ältesten noch funktionierenden mechanischen Uhr der Welt. Eine Superlative nach der anderen. 

Zum Schluss schaue ich mir noch das Chapter House an. Ehemals ein Versammlungsort des Domkapitels, befindet sich heute in diesem Kapitelhaus eine von 4 Ur-Versionen der „Magna Carta“ aus dem Jahr 1215. Diese außergewöhnliche Urkunde wird in einem dunklen Raum präsentiert, darf nicht fotografiert werden. Mit ihr wurden erstmals Rechte und Pflichten zwischen König und Volk festgeschrieben, die Machtbefugnisse des Königs und seine Beschränkungen festgelegt. Ihre Grundsätze der Freiheit und Gerechtigkeit sind bis in unsere Zeit relevant. 

Durch den herrlichen, mit Vogelgezwitscher leise beschallten Kreuzgang, dem größten aller englischen Kathedralen, was sonst, in dessen Mitte zwei vor mehr als 150 Jahren zur Feier der Thronbesteigung von Queen Victoria im Jahr 1837 gepflanzte Zedern wachsen, verlasse ich die Kathedrale. Der Moment des Innehaltens ist vorüber, wie bei allen Menschen, die in den letzten 800 Jahren durch diese Türen getreten sind.

Wir sitzen noch eine ganze Weile auf der Parkbank, schauen uns die englischen Münzen an, ziemlich genau, so genau, dass ich lachen muss. Wie zwei Obdachlose zählen und zählen wir, was da wohl so zusammen kommt, ob es für irgendwas reicht. Ein Ehepaar steht plötzlich interessiert an unseren Räder. Ich denke, sie sehen nach dem Anhänger, da sie einen kleinen Hund dabei haben. Nein, nein, die Räder, der Mann habe auch so eines. Ja sag mal, auch ein MobiFun? Ja, es sind Schweizer, stellt sich raus. Und auf meine Frage, ob ihnen etwa das Schweizer Womo auf dem CP gehöre, bejahen sie. So ein Zufall. Und eines von vielen lockeren Gesprächen an diesem herrlichen Tag, der uns noch um ein paar lauschige Ecken am Flüsschen und die aktuelle Hutmode, passend zu Streublumenkleidchen, vor die Augen bringt.

Rückweg wird eingeleitet. Und trotz verzwickter Streckenführung bei der Einreise finden wir tatsächlich ohne Zwischenfall die richtige Route für die Ausreise aus der sehr gemütlichen und beeindruckenden Domstadt Salisbury mit ihrer faszinierend schönen und lebendigen Kathedrale, die wir als Haus für alle wahrgenommen haben, in der u. a. Musikkonzerte stattfinden, Workshops für kreative Kinder, Kunstausstellungen, Blütenfeste usw. usw., und nicht erwartet wird, dass man nur still und leise und in Ehrfurcht versunken durch die Bänke schleicht, sondern den Raum mit Leben füllen und in sein Leben - und das seiner Hunde - integrieren darf.

02.07.2024 Dienstag

Heute muss ich nachtragend sein … 

und habe leider kein Foto für Dich.

Oder doch ?

Ja, genau: Da liegt ein fremder Mann mit Arbeitshose unter unserem Concördchen. Das verheißt nichts Gutes. Morgens fahrbereit zur Abfahrt Richtung Stonehenge lässt sich die Luftfederung vorne nicht aktivieren bzw. der Kompressor pumpt und bläst wie gewohnt, aber im Balg bleibt nichts. Balg geplatzt. Es könnte einem doch sonstwas noch dazu platzen. Vor Abreise war unser Womo in 2 Werkstätten zur Brems- und Stoßdämpfer-Kontrolle. Alles ok. Tja … Mist. So ist es nun nicht wirklich fahrbereit bzw. sind wir nicht sicher, so unsere Reise fortsetzen zu können. Glücklicherweise stehen wir auf einem CP. Hilfe wird schnell herbei geholt. Ein Fachmann für Womo-Defekte fährt vor, kann aber auch nur den schadhaften Balg feststellen, verweist ansonsten an eine LKW-Werkstatt. Die kümmern sich aber nur um schwere Mehrtonner, geben uns aber einen weiteren Kontakt. Während ich so nachdenke, fällt mir unsere Gold-Plus-Premium-Jahrzehntelange ADAC-Mitgliedschaft ein. Dort rufe ich an. Nachmittags drei Stunden später kommt ein Transporter vorgefahren. Er kommt auf Veranlassung des englischen Automobilclubs AA von einer Werkstatt und will mal schauen. Ja, eindeutig: der Balg. Er telefoniert etwas herum mit dem Ergebnis, dass sie zwar reparieren könnten, aber die Ersatzteilbeschaffung wegen Betriebsferien des Zulieferers dauern wird. Beim ADAC kann man helfen, im Rahmen der Mitgliedschaft besteht ein Anspruch auf Beschaffung nötiger Ersatzteile, aber dazu braucht man die Artikelnummer. Ja, Herzchen, wo soll Ehepaar Grimbergen die nun herbekommen? Und nein, ein Gespräch mit dem Mechaniker direkt sei für sie zu wenig, wir müssten den Ersatzteilauftrag verbindlich schriftlich selber erteilen, und zwar wie gesagt mit exakten Artikelnummern. Internet-Recherche ist angesagt in Verbindung mit Mobilmachung in den sozialen Netzwerken, wozu hat man die denn!? Die Recherche ist nicht erfolgreich. Das System von Goldschmitt lässt sich nicht finden bzw. Teile nicht zuordnen. Goldschmitt ist, aus unserer Erfahrung wie immer, telefonisch nicht erreichbar, Mailanfrage bleibt ohne Antwort bis auf diese Automatenmail, die einem mitteilt, wie beschäftigt man sei und man warten müsse. Unterdessen purzeln die Hilfsangebote unserer Mitcamper in der Facebook Concorde-Gruppe rein. Diese Mitglieder sind einfach durchweg unbeschreiblich hilfsbereit, total sachlich, extrem sachkundig. Unzählige Male haben Tipps dieser Gemeinschaft den Mitgliedern unterwegs geholfen und Miseren kleineren und größeren Ausmaßes abgestellt. Es ist einfach einzigartig, man muss es so sagen. So bietet man an, da man gerade bei Concorde in Aschbach stünde, dort direkt zu klären. Man teilt mit, sich gleich unter das eigene Womo zu schieben, um nach einer Nummer zu suchen. Man sucht sein Handbuch Zusatzluftfederung raus und verlinkt es. Man kramt seinen alten Balg raus, fotografiert ihn und fragt, ob er so aussehen könnte. Man informiert, dass man solch ein Problem unterwegs mal dadurch behoben habe, eine bestimmte Drehstange zu aktivieren und den Balg lahmzulegen. Und dann kommt dieser, wie sich rausstellt, entscheidende Tipp: die Kontaktdaten des Werkstattmeisters bei Goldschmitt Polch, also direkt seine Mailadresse und seine Durchwahl. Nachts habe ich ihm noch unser Problem per Mail geschildert. Morgens um halb 8 seine Antwort mit den ultimativen Angaben. Nicht zu glauben! Die Weitergabe dieser Mail an Herrn Herkner vom ADAC in München lässt selbigen jubeln. Das sei ja einmalig, alles perfekt, nun könne er auf die Suche gehen bzw. über die vom Goldschmitt-Meister direkt mitgeteilten Kontaktdaten seiner Kollegen im Ersatzteillager das Nötige ordern. Eil-UPS wird alles nun nach München zum ADAC schaffen, der dann nach England. Drückt die Daumen! Man braucht sowas alles nicht, aber wenn‘s so ist, muss man dadurch. Und es wird Nacht …

03.07.2024 Mittwoch

Was sich heute in Bezug auf „Platz-Balg“ tut, hatte ich gestern schon geschildert. Im Tagesverlauf scheint sich zu bestätigen, dass alles auf dem Weg ist bzw. auf selbigen gebracht wird. So können wir nach dem Nackenschlag und der darauf folgenden Schockstarre mit Erledigungsdrang, die uns logischerweise gestern ereilte, heute das Womo verlassen und uns auf die Räder schwingen. Es geht in die Umgebung nach Wilton. Ein stattliches Herrenhaus soll dort in der grünen Grafschaft Wiltshire in einem sehr eleganten Park liegen. Seit 400 Jahren ist es Sitz der Earls of Pembroke und wird bis jetzt auch von ihnen bewohnt. Leider dürfen hier keine Hunde rein, nicht mal in die Gärten. Das ist schade, aber wir hoffen, wenigstens einen Blick auf das Anwesen werfen zu können. Ein Ziel muss man ja haben. Über eine andere Route als vorgestern fahren wir Richtung Zentrum Salisbury. Bei Erreichen der Fußgängerbrücke über die Schnellstraße treffen wir doch tatsächlich wieder die Frau mit den beiden Flat coated Retriever. Na das ist ein „Hallo“ oder besser „Hello“. Sie spricht dann plötzlich ein paar deutsche Brocken und erzählt, sie sei in Berlin geboren, ihre Eltern seien beruflich bei der Royal Air Force angestellt gewesen, ihre Mutter schwärme bis heute vom so schönen Deutschland. Eine nette Begegnung wiedermal, auch davon leben unsere Reiseeindrücke. Wir radeln an der wunderbaren Kathedrale vorbei. Trotz stark bewölktem Himmel und nur 15 Grad sitzen viele Menschen auf den Rasenflächen, und große Gruppen strömen Richtung Eingang. Da kommt wieder Leben in die Bude. Im Gebiet hinter der Kathedrale geraten wir auf eine wirklich zuckersüße Gasse, gesäumt von voll aufgeblühten Stockrosen. Erinnerungen an Dänemark flackern auf. In den vielen Sommerferienwochen vor vielen vielen Jahren in diesem auch herrlichen Land begleiteten sie uns quasi in jedem Örtchen. Auch hier dürfen sie einfach wild vor sich hin wachsen, was sie dankbar tun zur Freude der Vorbeieilenden. Wir überqueren eines der vier Flüsschen in Salisbury und radeln noch verhältnismäßig gut aus der Stadt heraus. Eine zeitlang geht es über den Bürgersteig, wird schlecht und schlechter und wieder besser, ein Auf und Ab. Wir müssen gewaltig aufpassen, und es ist unfassbar, wie schlampig an vielen Stellen gearbeitet wurde. Es passt einfach nicht zum Bild, das ich von England hatte und vor allem nicht zu den ausgesprochen pompös und hyper gepflegten Privatgärten. Allerdings sehen wir auch zunehmend recht viele Häuser, die in keinem guten Zustand sind. Viele PKW quetschen sich in wenig Parkraum vor den Grundstücken, die Vorgärten sind ein Trauerspiel und fristen ein liebloses Dasein. Wir sind uns aber auch im Klaren darüber, dass das nur Momentaufnahmen sind, aus denen sich unser bisheriger Eindruck zusammensetzt. Uns fehlt dazu erhebliches Hintergrundwissen, was man als Reisender auch mal außen vor lassen muss. 

Am ersten, neu aufpolierten Prachtzugang zu den gräflichen Parkanlagen ist für uns erstmal Ende. Komoot und Maps behaupten, der „Radweg“ ginge hier weiter. Ja, wäre praktisch, tut er aber nicht. Wir müssen die wieder rappelvolle Landstraße nehmen mit dem Gleichmut eines sehr ignoranten Esels, erwidern das ein oder andere Anhupen eines verblödeten Verkehrsteilnehmers mit einem „freundlichen“ Zuruf und entsprechendem Handgruß. Gut ist, dass es uns nicht mehr solch einen Schrecken versetzt wie am Anfang. Da hat es mich fast aus dem Sattel geschmissen, einerseits vor Schreck, klar, aber andererseits aus Wut. Denkt der Engländer eigentlich, öffentliche Straßen gehören nur dem Autofahrer? Lieber Himmel, von mal Abwarten und einem Miteinander sind wir da weit entfernt, sehr weit. Aber wo sind die Engländer, denen man nachsagt, sie würden so geduldig warten, sich niemals vordrängeln, immer höfliche Distanz wahren. Den nächsten, der mir beim Vorbeifahren die Klamotte vom Leib reißt, werde ich danach fragen, sofern ich ihn einholen kann. Nun gut damit, letztlich macht es uns doch irgendwie Spaß, sonst würden wir es nicht tun. Schwungvoll erreichen wir dennoch die selbstverständlich baumbestandene breite Einfahrt zum Herrenhaus hin, flankiert von einem Earl in Bronze. Der Blick fällt auf das Einfahrtsportal. Rom lässt grüßen und auch die nächste Enttäuschung. Bei Grafens sind nämlich gerade die Maler zugange, die Gerüstbauer wohl gerade weg, und die Gärtnerriege mit Traktor setzt sich in Bewegung. Da wurde wohl ein Sack Geld aus den Tiefen der Schatztruhen hervor gekramt, um alles mal wieder etwas aufzuhübschen. „Sesam öffne Dich“, ein schwerer Land Rover mit abgedunkelten Scheiben, aus dem uns ein stattlicher Mann ganz bewusst galant zuwinkt, verlässt das Gelände und gibt für einen Moment einen unvergitterten Blick auf den Vorgarten frei. Das war‘s. 

Zum Ortskern von Wilton geht die Fahrt, den wir auch unmittelbar erreichen. Dort lockt ein schöner Pub, „Greyhound Inn“, klingt freundlich, und wir dürfen mit Hund in den Innenhof. Puuuh, da staunen wir aber. Was ist das herrlich hier zwischen den alten Mauern und dem üppig blühenden Lawendel. Da rastet man doch gerne mal ein Stündchen. Die Küche hat leider Pause, aber ein Bierchen und obligatorische Chips gehen immer. Der Border Terrier aus der Nachbarlaube steht fast stocksteif da, er sei schon so alt, habe irgendwie keine Orientierung mehr. Sein sehr feines Frauchen mit doppelreihiger Perlenkette berichtet, sie habe 10 Jahre lang in Hannover gearbeitet. Dann wendet sie sich wieder ihrem erheblich älteren Begleiter und den Teetässchen zu. Im Lokal begleiten einen Greyhound-Darstellungen überall, sehr sympathisch. Erwähnen sollte ich, dass für Chianga sofort ein Napf mit frischem Wasser serviert wurde, noch bevor wir unser Bier hatten. 

Der Rückweg gestaltet sich über längere Strecke mal richtig schön. Dörflich ist es, an schönen Ecken geht es vorbei und durch Grasland, auf dem Kühe und Schafe weiden. An einem Bahnübergang, durch uralte enge Drängelgitter für Fahrräder absolut unpassierbar, obwohl Komoot und Maps diese Route vorgeben, müssen wir umdenken und einen recht weiten Umweg mit einigen Steigungen fahren, aber auch eine Abfahrt von einem „Hill“, der ein Gefälle von 12 % zu bieten hat, nehmen. Läuft bei uns … denn diese Steigung hätte uns auch andersrum ereilen können. Am CP wieder angekommen, sind aus den eigentlich nur knapp 15 km über 30 km geworden, aber da kräht kein Hahn nach, solange Akku-Ladung reicht. 

04.07.2024 Donnerstag 

Der Wetterbericht stimmt schon mal. Die Sonne lacht. Wir satteln auf. Großes, Gewaltiges steht heute zum Abhaken bereit auf unserem Plan. Unter dem Motto „Wenn man schon mal in der Gegend ist …“ schauen wir, wie erwähnt, in Stonehenge vorbei. Eigentlich wollten wir das von einem näher gelegenen Pub aus tun. Da dieser Plan ja aus erwähnten Gründen nicht aufgeht, quasi „geplatzt“ ist, muss das Rad her, wozu hat man es erfunden?! Gut 16 km ein Weg mit „moderaten Steigungen“ sagt Komoot, wobei die erstmal unser Vertrauen wiedergewinnen müssen nach den Pleiten, die ihre Routenvorschläge uns beschert haben. Über das riesige Hudson’s Field, die Hundewiese, rollen wir auf die Strecke „Beech Walk“. Dies ist ein Tipp, ein sehr guter, vom Hundepapa von Robby, der sich mittlerweile als Spielfreund von Chianga ranrobben konnte, und auf den Wim bei der Morgenrunde ein paar Mal zufällig traf. 

Unterdessen nach Passieren der ersten schönen Häuschen, die wir gestern nur bei grauem Himmel erleben konnten, meldet Herr Herkner vom ADAC München erfreut, dass seine Ersatzteilbeschaffung auf dem Weg ist von Goldschmitt nach München und die Weiterleitung an uns auf den CP sofort erledigt würde, der Postlauf aber sicher auch wegen der Zollabwicklung dauern könnte. Er ist ein netter lösungsorientierter Mensch, nur zur Frage „Und wie finden wir eine Werkstatt?“ muss er uns an die „normale“ Pannenstelle des ADAC verweisen. Darum müssen wir uns später kümmern. Wenigstens etwas, blitzartig wird sich nichts lösen lassen. Das Leben lehrt: „Wenn Dir nix fehlt, kotzt Dir Dein Hund auf die Füße!“. So sage ich öfter mal, denn es ist mir tatsächlich so passiert vor Jahren, manch ein Leser erinnert sich ;-). Aber neue Bilder auf unserer laufenden Runde lassen uns heiter in die Pedale treten. Eine klein wie eine Playmobil-Schubkarre wirkende Schubkarre auf einer wie ein dichter, samtiger Seidenteppich wirkenden Rasenfläche hat schon etwas. Staunen vertreibt Trübnis, ganz klar, und ist es dann noch an wonniges sattes Grün geknüpft, dann kann das nur hoffnungsfroh machen. Und grün bleibt es, auf und ab geht es auf dem sehr verkehrsarmen schmalen Sträßchen, eine Wohltat. Die Luft riecht, wie schon auf vielen Strecken hier, sehr würzig. Und bei diesem Wetter muss man nicht mehr viel über Naturschönheit schreiben, vor allem wenn es durch Flusslandschaften, wie hier am Avon entlang geht. 

Wir erreichen eine Brücke und wechseln zum anderen Ufer. Zwei Reiterinnen strahlen uns an, freuen sich und nicken bei meiner Frage nach einem Foto. Gegenüber liegt ein sehr einladend wirkender Pub. Leckerer Duft zieht schon um die Ecken, die Wirtsleute wischen die Tische und gießen die Blumen. Ein großes Zelt steht in wunderbarer Lage auf der Wiese am Fluss, sehr gemütlich möbliert. Besucher gibt‘s noch keine, aber für den Rückweg planen wir einen Einkehrschwung ein, jetzt geht‘s erstmal weiter.

Bald schon zeigt ein Schild, dass wir in der Region Stonehenge sind. Aus dem dichten Gebüsch blitzt ein Kirchturm, was natürlich zur Vollbremsung führt. Wir schauen uns die uralte St. Michaels Church, von der noch einige Elemente aus dem 12. Jahrhundert erhalten sind, an und den Friedhof, auf dem auch Gräber jüngeren Datums zu finden sind. Es ist ein stilles Fleckchen hier, wobei die Kirche geöffnet ist und wohl nach wie vor ihrem Sinn entsprechend genutzt wird, also nicht der Nutzlosigkeit preisgegeben ist. 

Die weiteren Entdeckungen sind wirklich unsagbar schön. Alle Arten von Cottages liegen mal freier, mal versteckter in den Wäldern. Einzigartig märchenhaft sehen sie aus. Irgendwie ist es phantastisch, dass man alte Substanz erhält und keine hochgestylten Domizile hier in die Landschaft glotzt. Allerdings ist uns nun auch klar, wo all die Limousinen der oberen Oberklasse bzw. der High-End-Stufe wohnen, die uns begegnet sind in und um Salisbury herum. Bentley, Lotus, Jaguar, da sind Boliden aus dem Hause Mercedes, Rover, BMW und Audi, die man auch zuhauf sieht, wohl eher fahrbare Untersätze für Werktage, allesamt aber chromblitzend und mit dem unnachahmlichen Schnurren eines sich wohlig räkelnden Stubenkaters.

Hier lohnen sich Fahrten ins Blaue und damit auch direkt die entsprechende Gestaltung der Umgebung. Sie zwingt uns jedenfalls zu einem Zwischenstopp.

Jetzt aber mal Butter bei die Fische - oder besser: Steine vor die Linse. Das Landsträßchen müssen wir verlassen und können über einen Streifen Asphalt an der sehr stark frequentierten A303 ein Stück hinunter radeln. Von weitem erblicken wir zur Rechten leicht erhöht dieses Megalith-Gebilde der Jungsteinzeit: Stonehenge. Knapp 4.000 Jahre, nachdem der Steinkreis in seiner heutigen Form errichtet wurde, stehen wir nun hier und horchen in uns hinein. Superlativen werden genannt wie überwältigend, Faszination, umwittert von Geheimnissen, Unerschütterlichkeit ausstrahlend, magische Aura. Kaum ein anderer Ort auf der ganzen Welt soll solch eine Kraft ausstrahlen. Stonehenge gilt als Symbol des mystischen Englands, ist Inbegriff aller Mythen und Legenden, die England zu jenem faszinierenden Reiseziel machten, das es heute ist, so liest man. Seit Jahrtausenden schon begeistert Stonehenge seine Besucher, viele versuchten, das gewaltige neolithische Monument zu deuten. Ratlos und still stehen wir nun etwas abseits. Unübersehbar fluten Menschengruppen in weitem Bogen drum herum, wie Katzen um den heißen Brei. Manche Besucher heben die Arme, breiten sie weit aus, es wird fotografiert, Ergebnis soll sicher die Illusion sein, man halte einen dieser bis zu 40 to schweren Wackermänner über dem Kopf hoch. Gut, ein Erlebnis ist es ganz gewiss, ihnen so nah wie möglich zu kommen. Da werde ich mich jetzt auch nicht gegenteilig äußern. Nur für Wim und mich bleibt es ein Geheimnis, die nachgesagte außergewöhnliche Aura erreicht uns nicht. Mit großer Achtung, Respekt und Gedanken an die Menschen, die damals Mittel und Wege gefunden haben (oder finden mussten), diese von weit hergeholten Brocken hier aufzustellen, zu welchem Zweck auch immer, kehren wir um und verlassen unseren Aussichtspunkt, aber selbstverständlich nicht ohne etliche Fotos, die natürlich immer nur die eine Perspektive zeigen. 

Auf der Rückfahrt sehe ich gerade noch so, dass eines der vielen pompösen Einfahrtstore weit offen und ein Plakat am Straßenrand steht. „Open Garden“ am Sonntag. Ich beweg mich ein paar Schritte hinein in den Privatgrund, blicke von oben aus einem Wäldchen nach unten auf einen wunderbaren Seerosenteich und umher wuselnde Gärtner mit schwerem Gerät. Einer kommt strahlend auf mich zu, ja ja, Sonntag sei der Garten offen, man könne gerne kommen, alles anschauen, es gäbe Kaffee und Tee, leckeren Kuchen, es sei eine Charity-Veranstaltung. Wir planen das ein. Das muss ich sehen, das muss ich erleben. Zum einen den Garten, das Areal, die Latifundien, und zum anderen natürlich die Gesellschaft, welche Leute so zu Gast sein werden, was man plaudert oder auch nicht, was aufgetischt wird. 12 km sind es bis hierher, also ein Katzensprung, sofern das Wetter mitspielt. Hoffen wir das Beste wiedermal, und weiter geht die Reise.

Der nächste Stopp folgt. Pappalapapp Pub. The Bridge Inn. Also hinein durchs Zelt auf ein Bänkchen am Fluss. Gut besucht ist es hier, im Pub innen auf der anderen Straßenseite total voll, wie Wim berichtet. Meistens muss man sein Getränk selber bestellen an der Theke, so haben wir es kennen gelernt, so auch hier. Fein und lässig gekleidete junge Männer schieben sich dicke Sandwiches in den Mund und anschließend sich selbst in ebenso dicke Landrover. Freundlich sind alle ringsum. Man fühlt sich, schaut man hinüber in die Flussauen auf die urige Landschaft oder unter den steinernen Bögen der alten Brücke über den Avon hindurch auf die dahin ziehenden Schwäne, wie in einem Gemälde eines alten Meisters. Man könnte bei genauem Hinsehen eine Jagdgesellschaft aus dem Wald hervor kommen sehen, voraus eine dahin eilende große Meute wichtigtuerischer Beagle. Auch das ließe Chianga unbeeindruckt, sie schaut sich lieber etwas an zum Thema Wasservögel, denn ein älterer Mann erscheint mit einem Beutel Toastbrot und füttert die ihn schon herbeisehnende Entenmutter mit Gefolge. Hier nimmt alles seinen Lauf. Dazu gehört auch, dass unsere Platten serviert werden. Chicken Sandwich mit Salat und Chips, dazu ganz leckere Sößchen aus den Tütchen und Bierchen. 

Nach diesem tollen, genussreichen Päuschen gehts weiter mit schönen Aussichten auf das Ackerland, die Höhen und Täler von Middle und Upper Woodford. Auch die 12-%-Gefälle-Strecke, die wir gestern runter gesaust sind, kann man erkennen, ebenso die hoch aufragende Turmspitze der Kathedrale in Salisbury. 

Beinah schon am CP müssen wir einfach Halt machen an diesem irren Landhaus mit dem noch irreren Garten und dem total wahnsinnigen Rasen, auf dem heute morgen diese schnöden Schubkarren parkten. Ohne sich bücken zu müssen, streicht Wim fast andächtig über die erhöht liegende Rasenfläche. Ich seh ein fassungslos strahlendes Gesicht. Hier ist der Mörder nicht der Gärtner, nein nein, der Gärtner hat hier wahrhaftig anderes zu tun. Und das erklärt er uns in einem so lustigen Gespräch gleich selber. Es ist ja nicht nur der Pflegezustand, die landschaftliche Gestaltung des Grundstücks mit seinen sanften Wölbungen und Senken, es ist auch das faszinierende Arrangement, die Auswahl und Anordnung der blühenden Stauden und Gehölze, die verschiedenen Farben und Blattformen und Düfte, die miteinander eine unglaubliche Harmonie bilden und den Betrachter in den Bann ziehen. „Ein schöner Garten muss täglich seine Herrin sehen“, so sagt meine Mama immer. Ich bemühe den Englisch-Übersetzer in mir, Wims englischer Kollege versteht, lacht sich schlapp, als ich vollende mit: „But it is better, you have a gardener!“. Wie schön, wenn‘s schön ist. Und das Tor schließt sich, und das Schild mahnt: „Beware Dobermann Dog“. Wie genial dieses hochtourige elegante Tier wohl auf diesem Areal aussehen mag … wenn es so erhaben streng aus dem Schatten der hohen Bäume tritt und um den Hortensienbusch herum nach dem Rechten sieht. Ich will es nicht erleben, das Grundstück hat keine Einfriedung zur Straße hin, und so schnell sind wir nun auch wieder nicht auf dem Rad. ;-) 

05.07.2024

Über alle Kommunikationsmöglichkeiten wie Telefon, sms und Mail müssen mit allen möglichen Stellen Absprachen getroffen werden bezüglich der Reparatur unseres Womos mit mehr oder minder gutem Erfolg. Jedenfalls sind die Ersatzteile unterwegs. Wegen Werkstattfindung und Reparaturdauer kann man noch nichts unternehmen. Warten. Und das ist heute gerade ungünstig, da das Wetter derart umgeschlagen ist, es stürmt und regnet aus Eimern, und wir die Wartezeit nicht mit einem Radausflug versüßen können, sondern bis auf einen kurzen Spaziergang in einer ebenso kurzen Regenpause gegen Mittag im Womo hocken müssen. Der CP füllt sich, viele Freizeitvehikel aller denkbaren Arten rollen an. Das Wochenende wird wohl genutzt, auch der Engländer will raus. Einige bauen Zelte auf. Andere kommen mit Kleinstfahrzeugen und bocken alles Mögliche auf. Und fast immer wedelt mindestens ein Hundeschwänzchen im Fahrzeug und wartet geduldig, bis alles hergerichtet und bewohnbar ist, so wie gerade uns gegenüber, wo sich ein winziger Daihatsu positioniert. 

Als meine Jungs noch klein waren, fuhr ich ein von uns heiß und innig geliebtes Vehikelchen aus dem Hause Subaru, einen Libero, einen wie aufgeblasen wirkenden Mikro-Mini-Bus, 3 Sitzreihen, variabel, 7 Sitze, Allrad, zuschaltbar, beidseitig Schiebetüren, unglaubliches Fassungsvermögen bei minimalsten Ausmaßen mit wunderbar hoher Sitzposition, großem Schiebedach, seitlichen Dachfenstern und anderen Annehmlichkeiten in cremigem Altweiß mit silber-goldenen Designelementen. Einfach ein herrliches Teil, wie ein kleines Raumkäpselchen, um das uns damals viele beneideten und in das ich mich sofort verliebte. Es passte mit seinen 3,50 m Länge und 1,50 m Breite in jede Kölner Parklücke. Ein bisschen wie Bergziege konnten wir ihn in Winterzeiten in Steillagen der Eifel als Lift nutzen und Schlitten an der Anhängerkupplung bergauf ziehen. Im Wintersport in Österreich damals bezwang er mit seinem kräftigen Allrad selbst stärkste Verwehungen. Nur ein wenig windempfindlich war der kleine Libero schon. Untenrum schmal, aber fast 1,90 m hoch, da schaukelte es schon mal verdächtig. Aber saßen wir mit 3 Müttern, 3 Kindern und 3 Kinderwagen drin, war alles problemlos. Von daher weiß ich, was sich in solch einem Fahrzeug alles abspielen kann, und es wundert mich jetzt nicht, was aus dem Daihatsu gegenüber, der zwar nicht so schön wie mein Subaru Libero ist ;-), so alles rausbugsiert wird. Die Liebe für Streublümchen, nicht nur als Kleiderstoff, wird aber deutlich. Einfach süß. Und das Paar in wohlgenährtem Erhaltungszustand wird prima zurecht kommen mit allem, auch dem Platzangebot. Gut 2 m Liegefläche bot damals mein Libero. Das muss reichen, um die knapp 5 qm als Wohnmobil parat zu machen, eben genau so, wie es uns unsere Nachbarn bewundernswert zeigen, großes Vorzelt dran, Aufstelldach raus, fäddisch, ready for camping. Wir könnten das nicht, leider leider, was aber allein daran liegt, dass uns eben kein Chinesischer Schopfhund begleitet, sondern unser Chianga-Mäuschen von anderem Kaliber ;-). 

So vergeht der Tag irgendwie mit Planung von noch nicht Planbarem, Wundern über die anderen, Nachhängen sentimentaler Gedanken, Geschreibsel im Reisetagebuch, Sortieren von Fotos, Beobachtung der Geschehnisse des freitäglich aufschlagenden, sehr gut frequentierten Pizza-Blitz und großem Bedauern über das Ausscheiden unserer Mannschaft bei der EM. Ein Mist, ein Schock für unsere Spieler, die sich wirklich nicht geschont haben, ein Leid für all die Fans, es war zu schön, und dem Spanier mit der Wallemähne könnte man raten, in die spanische Handballmannschaft überzusiedeln. Ich kann jetzt nur noch mit Holland mitfiebern, unwillig, eigentlich keine wirkliche Alternative für mich. Eine trostlose Zeit … morgen gibt‘s Bratwurst, Hauptsache die Verpflegung stimmt! 

06.07.2024 Samstag

Nachts stürmt es stark. Kräftige Schauer fallen. Aber durch die Ritzen der Dachluke dringt zunehmend helles Licht und Blau gesellt sich dazu. Der Wind hat sich zwar noch nicht gelegt, pfeift gewaltig, aber die Wolkendecke ist aufgerissen und die Sonne scheint. Um uns herum herrscht emsiges Campinggetriebe. Nachbars Schopfhündchen wird von seinem Herrchen an einem überdimensionierten Bodenanker angeleint mit langer Schleppleine. Das man solch eine Leine überhaupt besitzt für solch einen Zwerg. Dass der Kopf auf dem zarten Hals des Kleinen überhaupt oben bleibt angesichts des Gewichts von Leine und Haken. Ob der tatsächlich Jagdtrieb hat? Evtl. unterschätze ich ihn. Bisher wurde er nur getragen, aus seinem Körbchen gehoben bzw. wieder darin abgelegt, obwohl er Beine hat. Apropos … er liegt jetzt körbchenlos auf nackter Erde, ein Unding, na ja, auf dichtem Gras, aber immerhin in nicht artgerechter Haltung. Er trug auch immer ein Mäntelchen. Seltsam. Wenig später klärt es sich auf. Sein Frauchen kommt aus dem Waschhaus zurück, starrt entsetzt ihren angeleinten Liebling an, kramt im Mikro-Mini-Bus, zerrt ein buntes Etwas heraus, könnte ein Bikini-Oberteil sein, schnappt sich ihr Schopfhündchen und zieht ihm erstmal dieses Bunte, was sich als Hundemäntelchen herausstellt, über. So. Danach zieht sie ihrem Partner etwas über, so vermute ich, denn ihr Entsetzen macht, während sie das Hundekörbchen an sich nimmt, Platz für eine heftige Empörung an die Adresse ihres Partners, diese wohl darüber, dass Männe das Schöpfchen ohne Jäckchen nach draußen bugsiert hat. Körbchen kommt nun auf dichtes Gras, Schöpfchen mit Mäntelchen hinein, und die Welt ist wieder in Ordnung. 

In Ordnung, ja sogar voll in Ordnung, ist auch, dass wir zu einer Radtour starten können. Das Wetter spielt mit, richtig toll zum Radeln, eben mal so mal so. Wir wollen uns die Gegend am anderen Ufer des Flusses Avon anschauen. Eine große Schleife scheint möglich, um am Ende auf die Route von vorgestern zu kommen. Regenjacken werden vorsichtshalber eingepackt und bei sehr unterschiedlicher Bewölkung und sehr starkem Wind radeln wir auf schmalem Landsträßchen gemütlich dahin. Diese Gegend hier ist absolut schön. Alles wirkt sehr beruhigend und entschleunigt.

Ein sehr einladend wirkender Pub taucht auf, so interessant, dass er uns am Vorbeifahren hindert, wir eine Pause einlegen und die Räder im Hof abstellen. Auf einer Wand stehen die ersten Liedzeilen des Songs von Sting „Fields of Gold“. Ich fasse es nicht. Also das glaub ich jetzt nicht. Unter diesem „Titel“ stand unsere Hochzeit vor Jahren … der Song war Part unseres Hochzeitstanzes … und ich liebe ihn sehr. 

„Du wirst dich an mich erinnern,

Wenn der Westwind über die Gerstenfelder weht.

Und dann kannst du der Sonne in ihrem eifersüchtigen Himmel

Erzählen von der Zeit, als wir einst durch Felder aus Gold gingen.

Als wir einst durch Felder aus Gold gingen.

Als wir einst durch Felder aus Gold gingen.“

Vor ein paar Wochen haben wir Sting in Köln live erlebt. Ein Erlebnis der Extraklasse für uns, besonders als er diesen Song anstimmte. Ist es nicht wundervoll, wenn Reisebilder andere Bilder, die häufig im Alltagsgeprassele nicht so schnell auftauchen, plötzlich an die Oberfläche schwemmen? 

Puuuh, emotionale Beutelung, dann mal am Hundewasserfässchen vorbei und hinein in die gute Stube. Auf der Terrasse ist es zwar sonnig, in Polyrattansesseln kann man immer sitzen, aber die Atmosphäre eines Pubs hat man nicht alle Tage. Und da Chianga selbstverständlich mit rein darf, wählen wir ein Plätzchen im Kaminzimmer und pflanzen uns in die bunte Mischung Ohrensessel mit Perser. Ja, das hat was. Wer sich hier schon alles rumgelümmelt hat. Es werden wahrhaftig Unmengen Menschen gewesen sein, denn dieser typische Country Pub hier im Woodford Valley existiert seit Mitte des 16. Jahrhunderts. Und, wie es aussieht, wird das auch noch lange so weitergehen, denn fast sämtliche Tische in den diversen Räumchen füllen sich nach und nach, und die Tafelrunden haben Spaß. Es stört niemanden, dass ich fotografierend herum gehe, lässig entspannt, wie wir es vielfach in den Tagen in England erleben, geht es auch hier zu. Ein Paar gesellt sich in der Kaminecke an den Nebentisch. Ziemlich skeptisch beäugen sie unsere brav auf dem Teppich liegende Chianga. Nun gut, einen anderen Platz hätten sie ohne weiteres wählen können. Aber dann richtet die Frau das Wort an uns, ob es ein Ridgeback sei. Es klingt eher, als wisse sie es genau, wolle nur ins Gespräch kommen. Da helfen wir doch gerne weiter. Ob der Ridgeback „friendly“ sei, fragt sie, während sie Chianga schon anspricht und streichelt. Der Mann stellt sich dazu. Ja, er kenne diese Hunde, er habe viele Jahre in Simbabwe gearbeitet, auf den Farmen habe man sie gehalten. Als ich ihm erzählte, dass sie als Jagdhunde dort eingesetzt wurden, aber es auch eine dunkle Seite gäbe, nämlich die, dass man sie als Wachhunde für die Sklaven eingesetzt habe und manche bis heute noch sehr skeptisches Verhalten gegenüber dunkelhäutigeren Menschen zeigen können, was bei Chianga aber nicht festzustellen ist, und diese auch häufig sehr ängstlich beim Anblick eines Ridgeback reagieren, berichtete er, dass er miterlebt habe, dass Farmer die Welpen in einen Sack steckten, mit einem Knüppel draufschlugen, den Sack öffneten, einen wimmernden Welpen nach dem anderen rauszogen und ihn  sofort einem Sklaven vor Gesicht und Körper hielten. Das sei Usus gewesen. Tja … auf solche Erfahrungen in „frühen Prägephasen“ kann man doch getrost verzichten. Es ist bestialisch, menschenunwürdig und -verachtend und setzt einem so feinfühligen und niemals vergessenden Ridgeback Impulse in Seele und Fell, die kein Mensch braucht, und der Ridgeback selber schon mal gar nicht. Aber das, was unsereiner unter „unerwünschtem Verhalten“ versteht, fällt bei anderen eben unter „erwünschtes“. Grauenvoll. Sowas wird es immer geben. Ich denke gerade an einen kleinen „jagdlich geführten“ Cocker in unserer Nachbarschaft zuhause. Der wird auch in einer Sackgasse an einen Laternenpfahl auf dem Bürgersteig am Grundstück angebunden und darf sich stundenlang die Seele aus dem Hals bellen. Auch ein seltsames, verwerfliches Verständnis von Hundeerziehung, was man da miterleben darf. Nun ja, jedenfalls ergibt sich mit unseren Pub-Nachbarn jetzt ein schönes Gespräch. Sie haben schon an allen möglichen Orten der Welt gearbeitet, leben in der Grafschaft Kent, sind mit einem kleinen Eriba unterwegs, haben den Bodensee bereist und stehen tatsächlich uns gegenüber auf dem CP. So vergeht ein amüsantes und interessantes Stündchen bei Bier und Kakao. Und die Ohrensessel lauschen und lauschen und lauschen …

Auf der Weiterfahrt ziehen wir immer noch durch bilderbuchhafte Natur und an märchenhaften Häuschen vorbei. 

Die kleine Kirche am Wegesrand nehmen wir natürlich mit. Auch hier steht alles offen, selbst auf die Messgewänder kann man einen Blick werfen. Der Pfarrer kommt hinzu, begrüßt mich freundlich, zeigt mir alles. Die Steinplatten am Boden zeugen davon, dass viele Menschen den Gang genutzt haben, die Platten sind wie Wannen ausgetreten. 

An einem offenen schmiedeeisernen Tor biegen wir ab in die Einfahrt. Die Bodenroste lassen ahnen, dass Tiere hier frei leben. Etliche Pferde stehen auf weitläufigen Koppeln. Eines trabt sofort heran und begrüßt Chianga, während wir uns die Nase an einem kleineren Tor plattdrücken, um einen Blick ins „Private“ zu erhaschen. Ist nicht so doll von uns, aber man kann einfach nicht widerstehen. Hier ist so manches Überraschung pur und die Vorwitzigkeit wird auf harte Proben gestellt. Wim schlendert noch kurz durch ein kleines „Gartencenter“, in dem der Gärtner des Anwesens heute an „seinem offenen Sonntag“ seine Ableger und Jungpflanzen zum Kauf anbietet. Das scheint auch eine gute Adresse zu sein, denn auf einer Parkfläche trudeln immer mehr PKW ein. 

Auf geht‘s, der Rückweg ist angesagt. Am Grundstück mit Rasenteppich halte ich an. Der heftige Regen hat ihm seit gestern nichts ausgemacht. Ein älteres Paar geht vorbei, einen Labrador an der Leine. Die Frau fragt mich, ob mir der Garten gefiele. Ja, er sei ein Wunderwerk, ich müsste, wie die Tage schon mal, einfach anhalten und staunen. Man sieht, sie ist stolz, etwas verhalten, freut sich aber. Meine Frage, ob es ihr Haus sei, bejaht sie dann gerne. Nun ja, und dann reden wir über Gärten, Liebe zum Haus, Liebe zu Hunden. Wo denn ihr Dobermann Dog sei, ja, sie werden beide traurig, er sei vor einem Jahr gestorben, aber das Schild bliebe weiter, sie könnten ihn niemals vergessen und das Schild niemals entfernen, auch wenn der kleine, typisch gedrungene Schwarze mit der Otterrute noch so lieb sei. Ende der Vorstellung … und all das Unausgesprochene nimmt jeder von uns nun mit in seine Behausung. Aussprechen lässt mich heute nur noch, dass ich froh bin, die türkische Mannschaft braucht ihre Hände nur noch zum Kofferpacken und nicht mehr für irgendwelche Wolfsgrüße. Ja, klingt auch platt gedacht von mir, ist es aber nicht :-). Und Wim freut sich sowieso. Oranje hup hup hup …

07.07.2024 Sonntag

Nun haben wir noch eine Woche. Nächsten Sonntag geht es auf die Fähre. Die Aussicht auf die kommenden Tage bereitet uns kein gutes Gefühl. Die Ungewissheit, wann die Ersatzteile ankommen, wann wir dann abgeschleppt werden, ob die Werkstatt flott anfangen kann, ob sie es reparieren können, ob alles gutgeht macht es nicht leicht. Oh mannomann, bisher alles noch ziemlich erfolgreich verdrängt, aber heute morgen quillt es aus allen Ritzen hervor. Passend zum Himmel. Es prasseln kräftigste Schauer nieder. Mal strahlt es sonnig, mal plästert es, und es soll ganztags so bleiben. Wir schmieden Pläne, denn gestern reservierten wir im historischen Pub im Woodford Valley einen Tisch für 14 Uhr. Der „Sunday roast“ wurde offeriert, und den wollen wir heute probieren. Allerdings müssen wir eine Regenlücke erwischen. Wir hecken aus, was wir wie machen könnten, welche Klamotte sich eignet, ob eine Ersatzhose mitgenommen wird oder nicht und ob wir die Fahrradkörbchen mit Tüten schützen. Die Strecke ist zwar mit gut 4 km nicht so lang, aber zum Nasswerden mehr als ausreichend. Gegen 13.30 Uhr zeigt sich ein hellerer Moment, es sprüht nur noch leicht, und wir vor Eifer. Mit der Zuversicht der Alternativlosen baut Wim in Windeseile den Hänger für Chianga zusammen, klebt ihn vorne mit Folie ab, macht die Räder klar, ich sichere die Körbchen, Mützen, Kapuzen, Regenmäntel an die Leiber, Chianga reinstopfen und ab die Post im Eiltempo, was unsere fahrbaren Untersätze hergeben. Unterwegs bleibt es bis auf einzelne Tropfen trocken und wie gestern, eine Seite des Himmels wolkenlos blau, die andere tiefgrau zugezogen. Aufatmend und dampfend kommen wir an. Im Pub ist der Tisch frei, ansonsten alles rappelvoll, alle Ecken sind voll besetzt, Reservierung daher unbedingt ratsam. Nun folgt erstmal eine Runde Auspellen aus Klamotten und akklimatisieren. Brillen beschlagen, eine Hitze ist in der Bude, ich muss mir schon Luft zufächeln.

Chianga legt sich an unseren Tisch, der mitten im Raum steht, jeder daran vorbei muss, jeder sie streichelt. Sie ist sowas von duldsam, da hörste kein Wort von ihr. Ich sehe aber mal wieder, wie uninteressant andere Personen für sie sind, das ist grundsätzlich eine sehr praktische Charaktereigenschaft, dass sie nicht mit jedem ein Freudentänzchen aufführen möchte, Zuwendungen einfach nur toleriert und gut ist. Da hatte unser Bazou gelegentlich andere Ambitionen, wenn auch von der ganz gutmütigen Art. Ach ja, jedenfalls ist ein Ridgeback für die englische Bevölkerung schon ein Hund, der viel Aufmerksamkeit erregt, was uns sehr gelegen kommt, können wir doch überall sehr schöne Gespräche führen, auch zum wiederholten Male mit Leuten, die in Südafrika gelebt haben, was viel Spaß macht. 

Nun aber zum Wesentlichen, dem Sunday roast. Vergleichbar mit unserem deutschen Sonntagsbraten handelt es sich dabei um eine traditionelle britische Hauptmahlzeit, die, wie der Name schon sagt, an Sonntagen auf den Tisch kommt, allerdings eher am frühen Nachmittag und nicht um 12 Uhr. Das Gericht soll im 18. Jahrhundert in der Grafschaft Yorkshire entstanden sein. Die Gründe, ganz pragmatischer Natur, nicht anders als bei uns: Vor dem Kirchgang konnte man das Fleisch in den Ofen schieben und nach der Rückkehr verzehren. Gereicht wird also gebratenes oder geschmortes Fleisch vom Rind, Schwein, Lamm oder Geflügel, kann aber auch saisonal angepasst sein und Ente, Gans oder Truthahn wird serviert, selten Wild. Als übliche Beilagen gehören gekochte oder geschmorte Gemüsearten der Saison dazu, gerne Rübensorten, Weißkohl, Pastinaken, Erbsen und Möhren, geschmorte Kartoffeln ebenso. Bei den Saucen, ja nun mal das Herz eines Sonntagsbratens, gehts von Meerrettich über Senf, Brot, Salbei, Zwiebel, Apfelmus, Preiselbeeren bis hin zur Minzsauce. Letztere ist für uns ungewöhnlich, auch der dazu gereichte Yorkshire Pudding, ein Backwerk aus einem Teig aus Mehl, Milch, Eiern und Salz. Der Teig muss sehr flüssig sein und mindestens eine halbe Stunde ruhen. Er wird dann in Form eines kleinen Behälters ausgebacken, dient als Saucennäpfchen, das sich vollsaugen und köstlich sein soll. So gut informiert, sind wir gespannt auf das Gericht, freuen uns und bringen Hunger mit. Leider ist Schwein „aus“, Rind noch zu haben. Ok, dann Rind. Die Teller kommen. Optisch sehr schön angerichtet, kippt nach dem ersten Bissen schon leicht die Stimmung. Salz- und Pfeffermühlchen werden bemüht, was geschmacklich nur bedingt unterstützt. Es ist ok, so kann man sagen, sieht man davon ab, dass es der Sauce in jedem Fall viel zu schnell ergangen ist, die „Tiefe“ fehlt, zwar dunkel, aber schlabberig fade in das Backwerknäpfchen fließt, eine ziemlich unspektakuläre Einheit mit dem Boden desselbigen eingeht und wattig-klebrig zäh zum Magen hin abgeht. Dem hauchdünn aufgeschnittenen Braten, zu dem eindeutig ein unpassendes Messer, das leider nur warme Butter schneiden kann, fehlt nach unserem Geschmack eigentlich alles, vor allem Liebe und Herz. Da war rein gar nichts spürbar von althergebrachter Traditionsküche. Wenn das Herr Rosin oder gar Herr Mälzer verkosten müssten, dann wäre der Pub zu klein. Dass solche dünnen Fleischlappen so sehnig und zäh sein können. Schade, sehr schade. Das Gemüse war lecker, halt normal. Unklar bleibt, ob das nun für den Engländer das perfekte Sonntagsgericht ist. Die Bewertungen im Netz sind hervorragend. Ob er es exakt so liebt? Ob er heute die Note 1 geben würde? Da wir keinen Vergleich haben, muss nun dieser erste Eindruck genügen: gut gemeinte Note 4-, setzen! 

In Bezug auf Hundefreundlichkeit vergeben wir aber eine 1+ mit *. So entspannt und problemlos wie Personal und Gäste damit umgehen, ist echt sagenhaft, schon der große Hinweis in der Speisekarte spricht für sich:

„Bring your dog! We’re dog friendly, so whether you’re popping by for lunch, or joining us for dinner you can still spend time with your best friend. Pop a note on your booking if you plan on bringing your fluffiest pal, so we can make sure you’re in the best spot.“

Also nicht alles, was die Speisekarte hier so hergibt, ist schlecht ;-). 

Und Chianga mag ihr Häppchen vom Yorkshire Pudding, das ihr nach dem Essen selbstverständlich vor Augen und Nase kommt.

Und nach dem trotz allem schönen Aufenthalt wagen wir die Weiterreise zum „Open Garden“ da irgendwo an der Straße bei den Privatleuten bei heiterem trockenen Wetter. Die werden ja auch etwas zum Unterstellen bieten, sofern es gießen sollte, Platz genug ist auf dem Areal, wie Google maps verdeutlicht. Am Tor an der Straße begrüßen uns 2 nette junge Leute. Pro Nase werden 7 £ fällig, was aber eigentlich nicht erwähnt werden muss, da es ja eine Charity-Aktion ist. Wir stürzen uns eine breite, feinkieselig geschotterte Einfahrt hinab und rollen auf ein weiß gestrichenes reetgedecktes Anwesen zu, vor dem wir die Räder parken. Dann fällt mein Blick auf ein offenstehendes Garagentor. So, Duftmarke wäre gesetzt. Latte liegt hoch. Sehr hoch. Das staubkörnchenfreie Heck eines Bentley zeigt sich dem begeisterten Betrachter, der nach einem kurzen Moment des Extremstaunens sein Rad davor platziert, um festzuhalten, wo die Liebe überall hinfallen kann, wie etwas aussehen kann, das einem höchste Fahrfreude vermittelt. In tiefem dunklen Englischgrün liegt er da in seinem Bau, wie ein Bär in seiner Höhle im Winterschlaf, daneben sein kleiner Spielkamerad, ein Mini Cooper, wie ein Floh in seinem Pelz. Wow, welch eine Gartenanlage, hier so in Teil 1 ;-). Noch keine 10 m gegangen und schon geplättet. Das lässt hoffen. 

Auch das Geplaudere, das um die Hausecke plätschert, lässt hoffen. Trotz weniger gutem Wetter hat die Einladung zum Open Garden wohl gefruchtet. Etliche Menschen sitzen auf Mäuerchen, die die riesige Terrasse umgeben, sind sehr zugewandt, genießen. Und vor allem sind sie zu uns auffallend offen, interessiert, wenn es auch zunächst Chianga gilt, die sofort von anderen Hunden begrüßt wird, zurückhaltend, aber ohne Scheu, feinsinnig und gelassen. Sie lesen sich, das können sie perfekt. Auch hier zeigt sich, dass in England aktuell wohl sehr niedliche apricotfarben bis nussnougatbraune kniehohe Hündchen, mal mit glattem, gern aber mit lockigem Fell, sehr hoch im Kurs stehen. Man trifft sie wirklich überall, natürlich neben den typischen schwarzen Spaßvögeln Labrador. Sofort kommt ein weißhaariger feiner Herr in lässig einfahrtskiesfarbener heller Hose und mitternachtsblauem Pullover über hellem Hemd auf uns zu. Wir werden begrüßt, als seien wir jährlich mit von der Partie bei diesem Event. Als wir berichten, das Plakat auf unserer Radtour nach Stonehenge zufällig gesehen zu haben, ist er perplex. Ja, dann seien wir aber erst recht willkommen, und dann auch noch aus Deutschland, ja dann aber mal „enjoy yourself“. 

Wir begeben uns dann mal über Stufen und kleinere Terrassen hinunter an wundervollen Staudenbeeten vorbei ans unfassbar wundervolle Flussufer des Avon, der sich selbstverständlich durch dieses Tal und seine gottgeschenkte Natur schlängelt und nebenbei hauseigene Seerosenteiche speist. Bienenhotels, Nistkästen und Futterstellen finden wir, ebenfalls einen Hausgarten, in dem es üppig gedeiht, und ein kleines Hühnergehege. Alles ein Gedicht, gepflegt, dennoch naturnah, nicht künstlich, sehr natürlich, Hyper-Rasen na klar, nur ein Bambus stört etwas dazwischen, der gehört da nicht hin, sowas macht Wim wild.

Jedenfalls genießen wir die Gartenzeit und werden nur von einem Schauer wieder hinauf auf die Terrasse gescheucht. Dort empfängt uns die Dame des Hauses schon mit Schirm und lotst uns in die Sommerküche mit bereits gut geräumtem Kuchenbuffet. Ich bedaure, dass sich ihre Mühe wegen der Wetterlage leider nicht so lohnen konnte, aber wir einen ganz phantastischen Eindruck ihres Gartens gewinnen konnten. Sie freut sich sehr darüber, ja, im letzten Jahr habe man einen gewaltigen Zulauf gehabt, da sei sogar der Kuchen ausgegangen. Sie nimmt andere mit in unser Gespräch, und wir smalltalken richtig schön. Ich berichte, dass es in Deutschland ähnliche Veranstaltungen gäbe, ebenfalls mit karitativem Hintergrund, aber solche Gartenlagen und Gestaltungen eher seltener anzutreffen seien. Interessiert will man mehr wissen. Auf die Streublümchen-Keksdose komme ich zu sprechen, man muss ja etwas reden ;-), und deute an, dass diese so dem typischen englischen Bild nach deutscher Vorstellung entspräche, in diesem Laura Ashley Style. Das wiederum löst begeistertes Staunen und Raunen aus, ja, diesen Style liebe man einfach. Der Gemahl kommt hinzu, tauscht sich über Hunde mit uns aus, während er Chianga mit Dauerstreicheln beglückt oder nervt, man weiß es nicht genau ;-). Letztlich werden wir herzlich mit Handschlag und „so nice to meet you, my Darling“ verabschiedet und auf den schmalen rauen nassen Asphalt entlassen. Wow, feines Erlebnis, ja, nicht alltäglich. 

Aber einen hab ich heute noch, der mich abends umhaut. Es ließ mir doch keine Ruhe, warum dieser Pub diese Liedzeilen von Sting auf der Mauer stehen hat. Natürlich ist die Gegend sehr idyllisch, etwas rau und dennoch lieblich, viele Felder sieht man, die sich über die sanften Hügel ziehen, auf denen man sich wogendes goldenes Getreide sehr gut vorstellen kann. Und Eva googelt: „Sting Salisbury“. Vielleicht gab er hier mal ein Konzert? Vielleicht besuchte er mal den Pub? Wer weiß … und die Antwort folgt sofort: Ihm gehört seit Jahren das Lake House, ein 1578 errichtetes Country House, ursprünglich ein kleines Farmhaus, aber nun ein über die Jahrhunderte zu großer Pracht ausgebautes Anwesen am, na wo schon, am River Avon, quasi in direkter Nachbarschaft zum Bentley-Anwesen. Wir sind in den vergangenen Tagen 4 x dort vorbei geradelt. Ich erinnere mich, mal durch eine winzige Heckenlücke die Spitzdächer eines großen Gebäudes gesehen zu haben, aber ansonsten vollkommen uneinsehbar, obwohl es ziemlich direkt an der kleinen Landstraße liegt. Sting, Sohn eines Milchmanns aus Newcastle, der mit seiner Frau Trudie 4 Kinder hat, lebt, so liest man, hier sehr gerne und häufig. Seine Frau gehe mit ihren 7 oder 8 Irischen Wolfshunden gerne spazieren. Aber niemand habe jemals jemanden von den beiden irgendwo gesehen. Auf dem riesigen Grundstück befinde sich ein großer Hausgarten, man ernähre sich ausschließlich von der Ernte aus eigenem Garten, habe einen eigenen Weinkeller, mehrere Angestellte, die gut entlohnt würden. Sein Vermögen wird geschätzt auf 85 bis 200 Millionen £, eine seltsam große Spanne, wie ich finde. Jedenfalls habe seine Trudie das Haus damals entdeckt und ihm mitgeteilt, ein perfektes Haus gefunden zu haben. In einem Interview sagte sie: „I told him I loved it, he asked why I wanted to buy it. I gave him a lot of reasons. There was silence. Then I told him that there was a 350-year-old tree in the garden. 'Buy it' was the quick reply.". So kann‘s gehn. Und das Leben dort inspirierte ihn zu „Fields of Gold“ … und sie wurden vergoldet. Mein Geschreibsel soll kein Klatschpresse-Artikel sein, eher vielleicht dafür sprechen, wie herrlich es in dieser Gegend ist und gerade wir, Wim und ich, sehr sehr happy darüber sind, hier auf die Geburtsstätte unseres Lieblingssongs gestoßen zu sein … so rein zufällig. Goldig!