10.07.2024 Mittwoch
Wir verlassen Swindon. Trotz der Missstände haben wir die Zeit hier sehr schön und amüsant verbringen können, das ist die Hauptsache. Rund 100 km sind es bis zum auserkorenen Ziel, und die fast ausschließlich über die M4. Kein Problem für Wim. Bald liegen die „Fields of Gold“ hinter uns, die Gegend wird flacher. Besonderheiten, außer ein paar vorbeirauschenden teuren Boliden, entdecken wir nicht. Es fließt einfach unspektakulär dahin. Abfahrt Taplow fahren wir raus. Nur wenige Kilometer und über zugewachsene Schmalspur landen wir auf dem gewählten SP, scheinbar ein Privatgarten. Ich hatte mittags per Mail angefragt, ob es noch einen Platz für uns gäbe. Dies wurde bestätigt, und nun parken wir zwischen Apfelbäumen ein und werden begrüßt von einem netten Ehepaar, wobei mir die Frau des Hauses zu aufgedreht und lässig ist, ein Typ Frau eben, der so gar nicht meines ist. Wim zwinkert, er kennt das - und mich - und knöpft sich die Frau vor, also talkt freundlich mit ihr, während ich selbiges mit Männe tue. So harren wir nun der Dinge, die da kommen, nämlich gleich erstmal Holland : England, und morgen wird‘s königlich.
11.07.2024 Donnerstag
Heute ist Chiangas Geburtstag. Sie wird 9 Jahre, unser herzallerliebstes Mädchen. Mit ihr müssen wir daher heute einen besonderen Ausflug machen. Man ist ja schließlich wer. Auch Wim wird Radeln gut tun, herb und derb war das Miterlebenmüssen des Untergangs der holländischen Mannschaft gestern abend, oh weh, nix mehr mit Oranje hup hup. Da nun zufällig quasi um die Ecke Windsor Castle liegt und auf einem hoffentlich guten Radweg erreicht werden kann, knöpfen wir uns nach ein paar Morgenfotos vom kleinen CP die knapp 10 km vor. Zwei Reiterinnen genießen auch schon hoch zu Ross die Morgensonne und grüßen freundlich.
Der folgende Weg lässt schon direkt Schlimmes vermuten. Auf schmalem Pfad am Ackerrand nach Überwinden eines Drängelgitters (wer soll hier drängeln?) begeben wir uns in Zweikämpfe mit daumendicken Brombeerranken, die sich um Arme schlingen wollen, und mannshohe Brennnessel, die nichts anderes im Sinn haben, als einem die Unterschenkeldurchblutung zu befeuern. Aber ziemlich schnell stellt sich heraus, dass es nur ein kurzer „Zubringer“ zum eigentlichen Radweg ist, und wir stoßen auf den River Jubilee, der sich fast parallel zur nahen Themse wunderschön durch die Landschaft schlängelt. Chianga nimmt gerne schon ein Bad, bevor es im leichten Trab weitergeht. Hier ist viel in Bewegung. An einer Staustufe schießt der Fluss hinab. Ein paar ganz mutige Nilgänse stehen in der Schräge und schnäbbeln herum, dass ihnen das Wasser hoch am Körper hochschießt. Über uns bewegen sich Flugzeuge. Heathrow ist nicht weit.
Ein paar Abzweigungen und Drängelgitter später fahren wir am Windsor Viadukt vorbei und sehen plötzlich die ersten Türme hinter einem Waldstück hervorgucken. Und wenig später tauchen wir nach Überbrückung der Themse ins Menschengewimmele ein. Ja, dieses größte durchgängig bewohnte Schloss der Welt zieht Menschen aus allen Ländern der Welt an. Seit 1952 diente es der Queen als Wochenendsitz, ab ihrem 80. Geburtstag war es der Hauptwohnsitz. Wer nun wann darin wohnt von der königlichen Familie ist uns nicht bekannt. Bekannt war mir auch nicht, dass es solch eine Dimension hat, so gewaltig ist, und wir sehen von hier aus ja auch nur einen Bruchteil.
Schon bald weichen Wiesen und der erste Pub kommt in Sicht. Dahinter steuern wir schnurstracks auf eine Brücke zu, die Windsor Eton Bridge, die tolle Aussichten auf die Themse bietet. Das Wetter spielt mit. Viele Menschen sind unterwegs.
Wir radeln um etliche Ecken, wundern uns darüber, dass das Umfeld von Windsor Castle so stark bebaut ist, die alten Häuser umzingeln das Gemäuer förmlich. Allerdings nur in diesem Bereich. Zur Themse hin erstrecken sich weitläufigste königliche Parkanlagen, wie man auf Google sehen kann. Bergan geht es und Windsor Castle präsentiert sich in disponierter Lage, mächtig und imposant.
Das Tor zur „The Long Walk Road“ finden wir hinter einem ganz herrlichen blumengeschmückten Pub und freuen uns, aber nur kurz, da man mit Rädern nicht hinein darf, weder fahrend noch schiebend. Also bleibt es bei einem kurzen Begehen und ein paar Fotos vor dem prächtigen Tor mit Blick auf das Schloss und den 4 km langen Long Walk. Fotos von Chianga vor diesem prachtvollen Tor mit goldglänzenden Spitzen gehen jetzt um die Welt, denn sie musste extra noch besonders posieren für begeisterte Touristen aus aller Herren Länder.
Wir geraten in eine Einkaufsstraße und staunen über die Vielfältigkeit der Fassaden und der Shops.
Dann muss etwas Ruhe rein. Wir radeln über die King Edward Avenue stadtauswärts in der Hoffnung, irgendwo doch noch in irgendeinen Parkabschnitt gelangen zu können. Es gelingt nicht. Aber von der Victoria Bridge aus bietet sich eine tolle Ansicht. Perfekt.
Zurück radeln wir wieder über die Themse und direkt hinein ins wunderschöne Eton auf die High Street. Fähnchen flattern reichlich im Wind. Beim Blumenschmuck geizt man auch hier nicht. Ein bunter Shop reiht sich an den anderen.
Wir passieren die Eton College Chapel und danach das berühmte, im Jahr 1440 ursprünglich für Kinder armer Familien gegründete Eton College, in dem, neben anderen Mitgliedern des Königshauses und 20 britischen Premierministern, die Prinzen William und Harry die Schulbank gedrückt haben. Es ist eine unabhängige weiterführende Schule für Jungen von 13 bis 18 Jahren. Sie hat 1.300 Schüler und wird durch Schulgebühren finanziert. Mit rund 40.000 € Schuldgeld pro Jahr zuzüglich Kosten für Musikunterricht, Ausflüge und vorgeschriebene Schulkleidung ist die Schule eines der teuersten Internate weltweit. Wir setzen uns eine ganze Weile auf ein Mäuerchen vor der tollen Eton College Library und schauen auf die Gebäude gegenüber. Kaum ein Mensch ist zu sehen, nur ein paar Touristen schleichen herum. Vermutlich ist ferienbedingt alles ausgeflogen. Es sei ihnen gegönnt, auch mal die schwarze Schuluniform ablegen zu können.
Wir finden wieder zum Windsor Viaduct zurück und auf den Radweg, auf dem wir gesättigt mit königlichen Ansichten entspannt am Flussufer entlang zum Womo in die Stille zurückkehren.
Der Tag endet mit einer kurzen Runde ans Ufer der Themse, die unmittelbar um die Ecke des CPs breit dahin fließt. Partyschiffe sind unterwegs. An einer Schleusenanlage schauen wir eine Weile zu. Im Do-it-yourself-Verfahren steuern die Bootsbesatzungen den Schleusenbetrieb alleine von Hand. Das würde immer funktionieren, es gäbe nie Ausfälle, erklärt uns die junge Schiffsbegleiterin, oder wie man ihren Job wohl bezeichnet. Sie gratuliert Chianga herzlich zum Geburtstag, springt wieder strahlend an Bord und nimmt die Sonne gleich mit.