14.07.2024 Sonntag
Der gestern ausgeheckte Plan A, nämlich „Frühstart“, geht auf, schon allein beim ersten Blick nach draußen. Bei solch einem Sonntagswetter muss doch einfach alles perfekt laufen. Kurz vor 9 erfolgt knappe, aber sehr präzise „Routenbesprechung“: „es wird in keinem Fall in der Schräge angehalten“, „Gegenverkehr muss sich irgendwie vorbeiklemmen oder warten“, „draufhalten“, „unmissverständlich draufhalten“, „immer in Fahrt bleiben“, „Automatik raus“. Und wir knöpfen uns ohne Frühstück den Klippenhang vor, nicht ohne Stoßgebet, kann ich einem flüstern, denn wo 17 % Gefälle draufsteht, stecken auch 17 % Steigung drin. Die Hoffnung schwingt mit, dass nicht gerade früh am Sonntagmorgen wieder Boote und Hastenichtgesehn auf Hänger durch die 3 Haarnadelkurven gezogen werden, denn sonst stecken wir fest wie ein Korken in einer Weinflasche. Hopp on hopp off, 2 x Gegenverkehr, läuft wie geschmiert, Gipfelkreuz erreicht. Erreicht haben wir nun nicht, wie vorgesehen, den alten Leuchtturm auf den Klippen. Mit Rad wollten wir ihn ja besuchen. Aber zum einen kam uns ja Chiangas Schwesterchen dazwischen und zum anderen diese Bergetappe, die wir uns mit Rad nun nicht antun wollten. Egal.
Jetzt ist Hafen Dover angesagt. Der Blick heute morgen auf das „Durcheinander“ ist erheblich besser und freundlicher als gestern bei starker Bewölkung. Mehrere Spuren und Kontrollposten können wir ohne Wartezeit durchfahren. Man guckt sich die Pässe an, auch den von Chianga sehr genau, und wir müssen mit einem kleinen Scanner ihren Chip auslesen, was wir auch noch nie hatten. Alles hat seine Ordnung, und man bietet an, schon eher die noch bereitstehende Fähre zu nehmen. Das ist prima. Ich hatte zwar fest für 12 Uhr gebucht, was um einiges günstiger war als ein flexibles Ticket mit Stornierungs- und Umbuchungsmöglichkeit, aber nun können wir trotzdem 3 Stunden eher an Bord, werden flott am Ende der Fähre mit viel Platz in den Schiffsbauch geräumt, Klappe geht zu und Fahrt geht los. Aber wie das lustige Werbeplakat schon sagt, hier kommt jeder mit: der frühe Vogel, die Mittags-Elster und die Nachteule, wobei mir die Mittags-Elster bis dato unbekannt war. Reisen bildet.
Diese Fähre scheint etwas älter und kleiner zu sein als die auf der Hinreise. Denn hier finden wir keinen extra und auffällig markierten „Pet Lounge“-Hinweis mit Lift. Wir latschen etwas suchend herum, nehmen einen Aufzug bis Deck 8, folgen dort den auf dem Boden geklebten Pfotenabdrücken und landen in einer wesentlich kleineren Pet Lounge als auf der Hinfahrt. Alle Nischen sind gut besetzt. Klar, wir sind ja auch die Letzten, die zugestiegen sind. Daneben auf dem Außendeck gibts auch noch einen Pet Lounge-Bereich, aber ebenfalls sehr klein. Personal achtet darauf, dass man mit Hund nicht in den allgemeinen Teil „ausweicht“. Alles geht aber gewohnt entspannt zu, Platz ist in der kleinsten Hütte, die Fahrt dauert ja nicht ewig und das Wetter ist phantastisch. Randale macht, die wildgewordenen Möwen außen vor, mal wieder nur der Kleinste, ein befedertes Mini-Exemplar eines Hundes, der meint, eine für ihn wohl riesenhafte Chianga und einen ebenso großen, jungen wunderschönen weißen Husky erziehen bzw. die bordeigene Hundehütte verteidigen zu müssen. Chianga rollt nur unbeeindruckt ihre bernsteinbraunen Augen, der Husky, obwohl einer Kontaktaufnahme grundsätzlich nicht abgeneigt, seine eismeerblauen Augen, während eine feine Dame an der Reling versucht, ihr Hündchen in Größe einer Anstecknadel bestmöglich auf ihrer Schulter zu drapieren fürs optimale Fotoshooting, dabei aber erhöhte Vorsicht außer Acht lässt, und der Zwerg, wohl beim Anblick in die unendliche Tiefe, wahnsinnig vor Angst zappelnd über ihre Schulter rutscht und fast über Bord fällt. Einen Versuch unternehme ich, im Duty-Free-Shop ein Parfum zu kaufen, streiche aber die Segel, da hoffnungslos überfüllt und werfe noch einen Blick in die Pet Lounge. Ein pflichtbewusster Spitz-paß-auf, der sein weggesacktes schlafendes Herrchen zu bewachen scheint, schaut mich regungslos aus einer der ersten Nischen an, Nachbars Beagle-Meute hat mit sich genug zu tun, und eine Reihe weiter lechzt ein Labbi penetrant nach einem Stück vom Butterbrot, das sein Frauchen gerade verzehrt.
So vergeht die Zeit wie im Flug mit wunderschönen Ausblicken auf die französische Küste. Die Ausreise ist erledigt, die Einreise nach Frankreich steht an. Gegen halb 12 rollen wir in Calais von Bord. Den Plan, einen Stop in Belgien einzulegen und nicht in einem Rutsch nach Hause zu fahren, behalten wir bei und steuern bei schönem Wetter mit Zeit und Muße an vielen Kirchtürmen, blühenden Kartoffeläckern und hoch stehendem Mais vorbei unserem Ziel in Belgien entgegen.
Leider ziehen auf der Strecke von gut 200 km im Inland Wolken auf. Und leider wirkt es am Canal du Centre in Le Rœulx dadurch auch nicht so schön. Zudem stehen wir auf der breiten Bentonrampe bis auf zwei Kolosse aus Stahl und Beton hinter uns alleine. Wir Unwissenden ahnen noch nicht, dass es sich dabei um Weltkulturerbe handelt. Das wie ein aus irgendeinem Universum notgelandetes Raumschiff wirkende riesige Bauwerk zur Linken ist das elektromechanische Schiffshebewerk Strépy-Thieu und gilt als eines der größten Schiffshebewerke der Welt. Seit 2002 ermöglicht es der Binnenschifffahrt die Überquerung der Wasserscheide zwischen Maas und Schelde mit mehr als 70 m Höhenunterschied. Gleich 4 benachbarte Hebewerke und 2 Schleusen konnten dadurch ersetzt werden. Nicht schlecht, da kann man schon staunen und bewundern, so hier am Kanalufer mit Blick auf diese, wie ich las, „zeitlosen und funktionsfähigen Meisterwerke der Technik“, egal ob neu oder alt. Sogar per Ausflugsboot wird das möglich gemacht, allerdings wie ich lese: keine Hunde an Bord erlaubt.
Während der Bewunderungen klart es auf und noch 5 weitere Mitcamper u. a. aus Italien und England gesellen sich dazu. Wir parken in Stau-Art aufgereiht am Ufer mit weiten Abständen, was aber den schönem Austausch untereinander nicht verhindert. Auch die Bootsbesatzung aus Gent schließt sich an. Irgendwann ertönt ein Glockenspiel, die Gegend wird mit „Ballade pour Adeline“ beschallt. Oh, Richard Clayderman, mein lieber Scholli, war ich damals verliebt in diesen Kalvierspieler mit seiner blonden Fönfrisur. Zum Dahinschmelzen … auch die Klavierstücke ;-). Und es nimmt tatsächlich Formen an, allerdings in Gestalt eines betagteren italienischen Mannes mit dunkel gegerbter Haut. Mit einer Reibeisenstimme wie Adriano Celentano, die den Sound seines Eis-Mobils mit Schiebetür um Längen übertönt, flitzt Angelo der Eismann heran und macht seine Freude über eishungrige Womobilisten sehr deutlich. Ich kann nicht mehr sagen, ob seine Lockrufe eher zu vernehmen sind als das Schiebegeräusch seiner Tür, es ging jedenfalls blitzschnell und unsere Entscheidung pro oder kontra Eis ebenfalls.
Und dann bricht der Abend herein. Blau wie aristokratisch blaues Blut fließen die Wasser des Canal du Centre lautlos an uns vorbei. Verträumte Womobilisten räkeln sich auf den Kunststoffen ihrer schnöden Klappstühle vor ihren Mobilen und geben sich der Stimmung dieser blauen Stunde hin. Fast poetisch wird das Denken, gleitet ab in eine Wohligkeit, die in einem einzigen Seufzer mündet: „Ach, es ist so schön, wenn‘s schön ist!“ ;-) Dennoch klettern wir bald in unseren Bau. Endspiel. EM. Spanien : England. Letztlich war das Abendblau spektakulärer als dieses Spiel. Die natürlich über das ganze Turnier hinweg besseren Spanier holen den Titel. Ich find‘s schade, überraschender wäre der Sieg der Engländer gewesen. Und Überraschungen sind doch immer das Allerbeste. Gut Nacht, Schiffshebewerk, wir sehen uns … morgen … wenn die fußballlosen Tage kommen.
15.07.2024 Montag
Welch ein Morgen. Schön wie der Abend, so auch der Morgen. Die erste Tasse Kaffee des Tages auf der Stufe sitzend im Nachthemd. Wenn ich nur wüsste, wem so etwas auch behagt. Da machen Kleinigkeiten Lust auf das was der Tag bringen mag. Die Farben der Umgebung stimmen überein mit denen unseres Logos, liefern genau das, was unser Logo „transportieren“ soll. Es hat ja an sich keine Bedeutung, nichts Weltbewegendes, das Logo ist eher etwas für mich, für mein Ego, für meinen Perfektionismus, ein „Kind“ braucht einen Namen und ein Bild. Ich liebe dieses Logo jedenfalls und die Tasse ebenso. Wim trinkt nicht gerne daraus, der Rand sei ihm zu dick. Er nutzt eine andere. Sehr verwerflich. In diese Gedanken blubbert ein langer Kahn und füllt die Schiffsstraße mit Leben.
Das tun wir nun auch. Also wir begeben uns natürlich auf die Autostraße. Vorsichtig, nicht dass uns noch so etwas passiert wie gerade dem Schweizer mit seinem Phoenix auf MAN, der beim Einparken auf dem SP am Fischmarkt in Hamburg nach hinten absackte und über die Felsenrampe in die Elbe rutschte und sehr aufwendig havariert werden musste. Puuuuh, Bilder und Unglücke, die die Welt nicht braucht. Da ist es schon spannend genug, im nächsten Örtchen eine Mini-Tankstelle zu erreichen.
Durch einen Kreisverkehr mit großem Wasserbecken, überspannt von der breiten Canal-Wasser-Rinne, gelangen wir auf die AB und zügig in die heimischen Eifelwälder, vorbei an dem ein oder anderen „Field of Gold“. Zuhause zeigt sich große Trostlosigkeit am verwaisten Vogelhäuschen auf versautem Balkon, und der Wilde Wein überzieht munter den Pavillon am Vorgarten fast lückenlos. Zudem ereilt uns der „Fluch der Brombeerranke“, was sich ja schon irgendwie in England abzeichnete. Unaufhaltsam, wie die englischen Kumpane, ist sie im Begriff, sich unsere untere Terrasse anzueignen durch Überwuchern derselbigen. Da haben wir aber mächtig Glück. Gerade noch rechtzeitig wieder daheim angekommen. So kann - muss - das Schlimmste verhindert werden. Wir hätten doch mal einen englischen Gärtner mit rüberschmuggeln sollen … jetzt, wo ich dieses Streublümchenkleid habe … apropos … in welche Tiefen des Concördchens hab ich es überhaupt gesteckt …???