10.10.2022 Montag
Die Sonne scheint. Dank Google - was wäre man ohne Google? - finden wir auf der Route zum nächsten Ziel einen Fahrradladen, der auf telefonische Nachfrage auch offen hat und uns heute noch weiterhelfen kann. Die Reise geht 25 km weiter bis Gemert, wo wir die Fahrradkette zur Reparatur abgeben und auf einem Kirchenvorplatz parken können. Das ist kostenlos für Womos, ein toller Service, also nicht alles ist in NL überteuert. Auch ist Vieles einfach durchdacht und pfiffig, oft Kleinigkeiten. So ist heute wohl Mülltag im Ort für den „gelben Sack“. Bei uns zuhause müssen die Säcke an die Bordsteinkante gestellt werden, was bedeutet, dass schon mal der ein oder andere weggeweht wird, der Bürgersteig voll liegt, weniger gut alles. Hier hängt man seinen Sack quasi an den Haken, denn um die Straßenlaternen ist eine Art Hakenleiste befestigt, die extra dafür gemacht wurde. Mal sehn, ob unsere Ortsbürgermeisterin für solche Verbesserungsvorschläge offen ist … oder die Landrätin ;-) … oder noch höher … die „Ampel“, wenn mal etwas Leerlauf sein sollte.
Es fällt wieder auf, obwohl man das ja nun mal weiß, wie viele Menschen sich hier radelnd fortbewegen. Enorm, diese Scharen, die vorbei ziehen, und zwar auf allem, was einen elektrisch fortbewegen kann, die tollsten Vehikel, mit und ohne Sitz, zwei-, drei- oder vierrädrig, mit und ohne Ladeflächen, jung und alt, sehr jung und sehr alt. Holländer müssen einfach mobil sein, egal wie und in welchem Alter. Eine erstaunliche und faszinierende Eigenart, sich gerade im Alter die Mobilität durch irgendeinen fahrbaren Untersetzer zu bewahren und keine Bange oder falschen Stolz zu haben.
Wims Rad ist wieder flott, verstaut in der Heckgarage, und wir können weiter, ganze 11 km. Nordöstlich von Eindhoven laufen wir daher schnell auf unserem nächsten SP ein. Er ist Teil eines Bauernhofs und mit wirklich erkennbar viel Liebe für das, was man macht, eingerichtet. Die wunderbar gepflegte Rasenfläche ist andeutungsweise parzelliert, die Auffahrflächen mit Kunststoffgitter befestigt. Man parkt rund um sehr schön gestaltete Blumenbeete rückwärts ein, hinter sich weite Felder und Wiesen.
Ein Holzpavillon ist mit einer Sitzgelegenheit ausstaffiert, Informationen über die Gegend liegen aus, Radwegekarten zum Mitnehmen, Notfallnummern und Wlan-Passwort, sogar eine Luftpumpe steht bereit, und die Krönung: ein Gewürzkuchen, von dem man sich kostenlos bedienen darf. Sagenhaft! 15 € kostet es pro Nacht, man steckt das Geld in einen Umschlag und in einen Kasten. Wir sind zwar nicht so die SP-Beschreiber, aber so etwas Besonderes darf auch mal besonders erwähnt werden.
Viele Details schmücken den noch jungen Platz, von dem aus selbstverständlich jede Menge Rad- und Wandertouren möglich sind, aber vor allem das angrenzende Kasteel Croy besichtigt werden kann. Nachdem wir den Kuchen verzehrt haben und ich ein paar Blüten im frischen Wind bannen konnte, ziehen ziemlich dunkle Wolken auf und es tröpfelt leicht. Also muss eine erste Schlossbesichtigung auf morgen verschoben werden.
Ach, übrigens: heute morgen lag die Mausefalle auf dem Rücken, die Leberwurst war futsch, sie, die Maus, auch, sie lag leider nicht auf dem Rücken. So müssen wir weiter jagen :-(.
11.10.2022 Dienstag
Heute wird geradelt. Die Gegend lockt. Und wenn man so in Holland sagt, heute wird mal geradelt, dann stehen schnell 30 km und weit mehr auf dem Tacho. Gut, keine Hochleistung, aber genug, um sich darüber zu freuen. Zunächst peilen wir das Kasteel Croy um die Ecke an. Es ist schon eine monumentale Erscheinung in einer herrlichen Umgebung. Das Schloss, das heute nur noch als Büro herhalten muss, wurde seit Errichtung Anfang des 15. Jahrhunderts von vielen Adelsfamilien bewohnt.
Dazu gehört ein Torhaus, das seit Jahren bewohnt ist und in dem man sich ein Zimmer mieten kann. Auch ein besonderer Stall gehört zur Anlage, ein einzigartiger spanischer Schafstall von Anfang 19. Jahrhundert. Den nutzt sicher auch die vielköpfige Schar der vor sich hin grasenden oder ruhenden Merino-Schafe auf den angrenzenden Weiden, deren Wolle sehr speziell ist, ganz besonders gut verarbeitet werden kann und extrem zart ist.
Durch Wälder und Wiesen radeln wir Richtung Helmond. Es ist beeindruckend, wie gepflegt es um die Häuser, auf Straßen und Wegen ist. Ob wir noch so unter dem Eindruck der Türkei stehen und es uns dadurch so wirklich wahnsinnig ordentlich erscheint oder ob die Herbstsonne zaubert und den Blick verschleiert? Jedenfalls kommt man aus dem Staunen nicht mehr raus. Auch weil man als Radfahrer hier in Holland völlig barrierefrei fast schlafwandlerisch sicher unterwegs sein kann wie auf Schienen.
Zunächst erreichen wir Brandevoort, ein aus dem Boden gestampftes Meisterwerk eines bunt gemischten Architektenteams, ausgezeichnet mit zahlreichen Preisen. Man steht mitten auf dem zentralen Platz, das Wasser des Kanals glitzert und die Backsteinfassaden der Gebäude bilden den perfekten farblichen Kontrast zu den Bäumen, die hier in akribisch vermessenem Abstand gepflanzt wurden. Alles faszinierend, aber auch eintönig und irgendwie uniform. Alles scheint schön. Aber ich las, dass diese seit dem Jahr 2000 gebauten Häuser nur sehr schwer Bewohner finden konnten. Angeblich wurden 6000 Wohnungen gebaut, und es gibt wohl 17000 Einwohner. Man hatte schon Bedenken, es könnte eine Geisterstadt werden.
Im nahen 100.000-Einwohner-Städtchen Helmond besuchen wir das prächtige Schloss, die größte Wasserburg der Niederlande. 1,5 Std. von Amsterdam entfernt wirkt hier alles beschaulich lebendig. Hier findet man Häuser in allen Formen und Größen, für jeden Geschmack ist etwas dabei. Häufig stößt man neben vielen Skulpturen im städtischen Raum auf Van Gogh. Viele seiner Werke sind im benachbarten Nuenen entstanden.
Ganz besonders auffällig sind die 21 sehr ungewöhnlichen Kubushäuser des Architekten Piet Blom, der nach Abschluss der Bauten im Jahr 1977 beschloss, in Rotterdam 38 weitere Kubushäuser zu bauen. Zur Einrichtung dieser auf einer Art Pfahl balancierenden Würfel benötigt man bestimmt jede Menge Kreativität.
Jetzt muss aber mal eine Stärkung her. An einem Sonnenplätzchen lassen wir uns die Kugel geben. Eine? Nein! Mehrerere ;-)! Kleine, runde, goldbraune, knusprige, heiße, gefährlich herzhaft köstliche Bitterballen. Unwiderstehlich, für Wim und mich jedenfalls. Vor uns hin knuspernd beobachten wir das Geschehen um uns herum, bevor es weiter geht, und wir leider leider von einer Olliebollen-Bude kurz ausgebremst werden.
Am Kanal entlang machen wir uns auf den Heimweg. An kleinen Höfen und Pferdekoppeln vorbei erreichen wir Aarle-Rixtel. Und hier schiebt uns eine unsichtbare Macht eine Fischbude in den Weg. Damit nicht genug. Sie, diese Macht, nötigt uns zum Verzehr einer Portion Kibbeling, aber nur eine kleine.
Jetzt aber nix wie zum Womo. Boxenstopps dieser Art sind heute nicht mehr erwünscht.
12.10.2022 Mittwoch
Nach einem Schwätzchen mit dem freundlichen Betreiber machen wir uns auf den Weg und ziehen weiter. Es wird wieder keine weite Strecke sein, nur 60 km. Das Wetter soll heute noch gut bleiben, morgen wohl regnerisch werden, daher wollen wir am nächsten Ziel wenigstens noch im Trockenen einen kurzen Eindruck gewinnen. Aber erstmal begleitet uns der sonnige Morgen und lässt alles strahlen.
Nachdem wir die Hauptroute verlassen haben, nähern wir uns über schmale Landsträßchen und letztlich eine noch schmälere Dorfgasse der Einfahrt des Hofes, der im hinteren Bereich einen Minicamping hat. Concördchen passt, und wir erreichen neben einem Pferdestall eine größere Wiese, auf der ein paar Kastenwagen parken. Die Besitzerin begrüßt uns freundlich und fragt, ob wir reserviert hätten. Nein, haben wir natürlich nicht, aber 2 Nächte sind möglich. Glück gehabt.
Schnell macht Wim die Räder klar. Und jetzt müssen wir wieder schwärmen, denn das, was wir jetzt zu sehen bekommen, ist zum Schwärmen schön: eine Wüste mitten in Holland - der Nationalpark Loonse en Drunense Duinen, eines der größten Naturgebiete Hollands und das größte Flugsandgebiet Westeuropas mit seinen Dünen, die vor mehr als 10.000 Jahren entstanden sind. Die sogenannte „Brabantse Sahara“ besteht aus 30 Quadratkilometern Sand und ist eine sehr lebendige „Wüste“ mit einer großen Vielfalt an Pflanzen und Tieren. Lebendigkeit bringen auch die vielen Menschen, die wandernd und radelnd unterwegs sind. Sicher wird das Gebiet an Wochenenden enorm stark bevölkert sein. Wir mischen uns hinein ins Vergnügen und genießen eine herrliche Rundfahrt.
Auch Chianga hat ihren Spaß. Sie liebt Sand von Welpenalter an, eher weniger, um darin herum zu sausen wie - der nach wie vor so sehr fehlende - Bazou als wildgewordener Handfeger, nein, sie rennt nur wenig und schmeißt sich lieber der Länge nach hinein, schiebt sich mit der Nase durch den Sand, wie ein Zäpfchen, Popo in die Luft mit Hinterlaufantrieb, das flutscht, und sie freut sich und strahlt richtig. Erwähnen muss man, dass es hier für Hunde unglaublich viele Freilaufmöglichkeiten gibt. Auf den schmalen Wanderwegen muss der Hund an die Leine, aber in den Weiten der Heidelandschaft und der Sandflächen darf er überwiegend frei laufen. Alles ist bestens perfekt beschildert. Vorbildlich.
Nach einem Einkehrschwung mit köstlichem Apfelstrudel, Sahne und Vanillesauce in einem der gut besuchten Fiets-Cafes geht‘s an einem See vorbei, der auch eine Besonderheit darstellt. Er wurde im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme von Arbeitslosen von Hand ausgehoben in den Jahren vor dem 2. Weltkrieg, um eine Eislaufbahn anzulegen. In den schweren Zeiten sollte so für die Menschen damals ein kleines Vergnügen im Winter möglich sein.
Auf tadellosen und gut beschilderten Radwegen durchkreuzen wir die märchenhaften lichten Wälder und genießen die immer wieder tollen Aussichten auf sandige Hügel und Verwehungen. Irgendwann erreichen wir die schmale Dorfgasse und radeln zum SP zurück.
13.10.2022 Donnerstag
Nebulöse Zustände heute. Ein Glück, dass wir gestern noch durch Duinen und Bossen geradelt sind und die Gunst der Stündchen mit Herbstsonne genutzt haben, die uns Bilder wie aus Afrika bescherten im hier ganz und gar nicht tellerplatten Holland. Der heutige Tag jedenfalls wird nämlich zum Verkriechtag erklärt, es regnet, es ist uns zu ungemütlich draußen, und die Heizung läuft ganztags. Eine kurze Runde zum Lüften für Chianga und uns, mal das Waschhaus mit wirklich vorzüglicher Ausstattung genutzt, dann ist auch schon Abend. Morgen werden wir Richtung Küste weiterziehen.
14.10.2022 Freitag
Früh kommt die Betreiberin, kassiert, erzählt, sie seien jetzt am Wochenende total ausgebucht. Viele wollen sicher das Naturgebiet mit seiner Herbststimmung aufsaugen. Das bedeutet, wenn man hier sicher einen Platz haben will, sollte man doch vorher reservieren. Aber uns treibt es ohnehin weiter.