Mit roten Engeln unterwegs
Tea-Time am Lagerfeuer
Mittwoch 21.02.2018
Abfahrt aus dem Camp steht heute an. Schade irgendwie, diese Stille zu verlassen; aber auch dieses schöne Fleckchen, an dem wir morgens einen spektakulären Sonnenaufgang erleben, müssen wir nun irgendwann mal verlassen. Ab hier geht es nun wieder nordwärts, wenn man so will, Richtung Heimat an.
Der alleinreisende Franzose mit Jeep, der sich abends noch dazu gesellt hat, schält sich mit Pudelmütze aus seinem Dachzelt. Wir zahlen und werden vom Camp-Jungen Murat erinnert, dass die Schüssel noch aufgestellt ist. Au Backe, da muss mal echt ein großer Denkzettel an die Scheibe, ansonsten ist Dilemma vorprogrammiert. Aber apropos Dilemma, das kommt heute noch, aber sowas von dick! Noch ahnen wir nichts. Die Fahrt aus dem Camp und über die N1 über die bekannte Route zurück nach Norden, da wir in diesem Jahr nicht mehr weiter nach Süden wollen, verläuft entspannt. Wir sehen viele Dromedarherden, an und auf der Strecke, in der Ferne vereinzelt die weißen Zelte der in dieser Gegend lebenden Saharawi-Nomaden. Sie fühlen sich unabhängig, niemandem zugehörig, so las ich, haben aber vielfach bessere und erstmals menschenwürdige Behausungen und Arbeit in Fischerei und Industrie in Laayoune von der marokkanischen Regierung im Rahmen des Westsahara-Konflikts bekommen, seien aber, wie Said betonte, sehr undankbar. Nun ja, der Nomadismus nimmt hier zwar ab, auch weil etliche abwandern in fruchtbarere Gegenden des Anti-Atlas, was auf großen Missfallen der dort lebenden Berber stößt, aber konflikthaft wird das Sesshafte mit dem Nichtsesshaften immer bleiben. So gibt es selbst in vermeintlichen Einöden und über diese unendlichen Weiten hinweg trotzdem Zwistigkeiten und Streitereien unter den Menschen, wie eh und jeh, und wie es wohl leider auch immer sein wird.
Auch aus der Gegenrichtung bietet das Land tolle Aussichten, ein Bilderbuch zum Durchfahren. Bagger machen den Weg frei, räumen Sandverwehungen, tückisch wohl, wenn man in solch eine Wehe aus Sand hinter einer Kurve reingeraten würde.
An der Küste machen wir eine kleine Rast, um etwas zu essen und die Hunde pieseln zu lassen. Ziel in ca. 50 km soll heute der Ksar Tafnidilt nördlich Tan-Tan sein. Wir freuen uns, es soll toll dort sein, recht nobel, ein Hotel, aber mit möglicher Womo-Übernachtung und hervorragend guter Küche. Das haben wir uns mal verdient ... so dachten wir aber auch nur!
Womo starten, vom kleinen Halteplatz fahren, 500 m Asphalt, und es scheppert, metallisch scheppert es laut und lauter, Display blinkt, mahnt „Getriebe kontrollieren“, geht auf Position N = nix mehr mit Schalten, und das war‘s. Wir rollen mit letztem Schwung über die Gegenfahrbahn auf eine - Gott sei es gepriesen und gedankt - große freie Fläche, die glücklicherweise keine hohe Krempe hat, und dann kommt das Womo zum Stehen und mit ihm unsere Herzen. Du meine Güte, was muss denn jetzt für ein Kapitel aufgeschlagen werden. 70 km zurück bis zum nächsten Ort Laayoune, 50 km gen Norden bis Tan-Tan. Das kann ja heiter werden. Keine einzige Fehlermeldung während der Fahrt, nichts Außergewöhnliches, nicht mal ein Schlagloch erwischt, nichts, und dann sowas. Wim ist am Ende, total verzweifelt und wütend. Er schimpft, was dem Womo und seinem Getriebe aber sowas von egal ist, es bleibt untätig, bleibt auf „N“ auch bei einem erneuten Anlassen, lässt sich keinen Meter mehr bewegen. So stehen wir nun da, nur knapp mit dem Hinterteil von der Fahrbahn weg, dafür mit vollem Meerblick und ohne Kuschelfaktor, da wir mutterseelenallein hier sind.
An uns vorbei rauschen die LKW mit Getöse, PKW auch reichlich, die Route ist ja stark befahren. Der Himmel strahlt, aber wir sind wie gelähmt, unfähig, irgendetwas auch nur das Geringste abzugewinnen, starren Stunden blutleer vor uns hin. Zwischendurch maile ich Frau Graetz vom ADAC in Agadir an, rufe den Auslandsnotruf an, die alles an Frau Graetz weitergeben wollen. Lustlos essen wir eine Dose mit eigentlich leckeren Spießchen aus dem Vorratskeller mit Auberginen dazu, zwei Büchsen Bier spenden Trost, kein Alkohol ist ja bekanntlich auch keine Lösung, und fallen ins Bett.
Donnerstag 22.02.2018
Neuer Tag, neues Glück. Sonnenschein an der LKW-Schnellstraße. Tja, Wim und ich raufen uns zusammen. Alles Gewüte und Geschimpfe, alle Verzweiflung und Mutlosigkeit, alles nützt nix, wir müssen planen, vor allem vermeiden, dass wir uns zu diesem Schaden noch weiter schaden. In seinem Zorn hat Wim gestern Abend nämlich übersehen, dass er den Wasserhahn der Spüle, der sowieso total bescheuert angebracht ist, mit der Glasabdeckung des Herds nach oben geschoben hat, der Hahn dann lief und lief und zumindest eine Gasstelle und die darunter liegende Schublade total geflutet wurden. So sprudelt es bei Zündung dieser Gasstelle jetzt nur noch und das Gas fackelt rundum ab, nur nicht an der Stelle, wo es sein soll. Muss also repariert werden, toll, alternativ fackeln wir alles ab. Viele Möglichkeiten bieten sich uns im Moment nicht. Wir beschließen, uns gegen das Abfackeln zu entscheiden und uns abzufinden mit dem Dilemma und das Bestmögliche drumherum zu machen, wer weiß, was noch alles kommt, wo wir landen müssen, dass es viel schlimmer hätte kommen können. Und endlich kommt eine Antwort vom ADAC, man müsse prüfen, was möglich sei, in Agadir stünde schon ein großer Fiat, man werde Bescheid geben. Also heute abschleppen wird schon mal nix. Warten. Ein LKW fährt neben uns auf den Platz, der Fahrer legt sich einen kleinen Teppich vor sein Fahrerhaus, betet und öffnet danach einen Topf, aus dem ein leckerer Geruch strömt bis zu uns herüber. Er ruft, zeigt uns sein Brot, will unbedingt, dass wir mitessen. Wir schauen anstandshalber bei ihm vorbei, ich lobe sein gutes Essen, das er sich auf einen Blechteller schöpft, und danke herzlich für die Einladung, er solle sein Essen aber allein verzehren, er brauche Kraft für seine Arbeit. Wir trödeln rum, seltsam, dass auch solche Tage vorbei gehen. Der Vorratsschrank gibt noch zwei Büchsen frei, Linsensuppe und Würstchen. Brot sparen wir uns auf zur Sicherung des morgigen Frühstücks.
Freitag 23.02.2018
Wir erfahren nachmittags auf Nachfrage von vormittags von Frau Graetz vom ADAC, dass sich heute entscheidet, ob der große Abschlepper kommt, was auch immer das bedeutet, zunächst jedenfalls warten, weiter warten. Wim nimmt sein Rad und einen Hundeanhänger. Ca. 12 km von hier stehen ein paar Häuser, ich erinnere mich schwach daran, allerdings ahne ich, dass es dort keinen Laden gab. Ich verpasse ihm zur Sicherheit für diese schmale Strecke ein knall-orangenes TShirt, will eigentlich, dass er, wie hier üblich, ein Auto anhält, aber er will das nicht. Nun gut, die leeren Wasserflaschen lädt er ein, ich hoffe, falls es nichts zu kaufen gibt, dass er vielleicht an irgendeinem Brunnen Wasser bunkern und mitbringen kann.
Zwei Stunden später ist er gut gelaunt wieder da, sagt aber, es hätte nichts gegeben, nix, keinen Laden, grinst aber und zieht zwei Brote und drei Wasserbomben aus dem Hänger. Ein Militärposten sei dort nur, die Soldaten hätten ihm das Wasser und die beiden Brote gegeben, alles geschenkt, unter keinen Umständen hätten sie Geld nehmen wollen. Ohje, was für Burschen, man sieht so viele von ihnen, blutjung, schieben Wache in diesen mit sehr geringem Abstand an der Küste entlang stehenden Würfelhäuschen in dunklem Rosa, ein Solarpanel davor, Wassertonne, wehende Wäsche flattert oft. Und dann latschen sie in Uniform oder zivil gekleidet häufig ziemlich weit bis zum Straßenrand, um irgendwohin mitgenommen zu werden, um sich etwas zu besorgen.
In der Ferne zieht eine große Dromedarherde. Ein moderner Hirte auf Moped treibt sie über die Straße. Wim erzählt, er ist ihnen auch begegnet, sie hätten aber bei seinem Anblick, wobei das aber nur an dem Fahrradanhänger gelegen haben könnte, sofort das Weite gesucht. Wir sitzen in der Sonne, ich schreibe meine Berichte, ganz häufig hupen und grüßen Vorbeifahrende, wir könnten eine Winkekatze aufstellen, haben aber keine. Nachmittags bewölkt es sich stark, Sonnenbad-Ende. So wird auch dieser Tag dann im Womo gelebt, besser: er lebt uns. Für abends kann die Womo-Küche noch ein paar Pellkartoffeln mit einem Rest Hackbraten aus der Gefriertruhe und Schmortomaten kredenzen. Ich halte mich mit einer erneuten Nachfrage bei Frau Graetz nach dem Sachstand zurück, schlafe aber in dem Gedanken ein, sofort morgen früh nachzuhaken.
Samstag 24.02.2018
Sehr enttäuscht nach einer traumlosen Nacht zeigt der Blick in mein Mailfach: nichts! Wir ärgern uns sehr, denken darüber nach, welche Leistungen zum Jahrzehnte bestehenden Auslandsschutzbrief mit Goldkarte und Gedöns-Mitgliedschaft wohl gehören, Untätigkeit gewiss nicht. Jetzt stehen wir 3 volle Tage hier, ergeben hat sich nichts. Unser Wasser und alle anderen Vorräte sind fast aufgebraucht, was denkt sich der ADAC überhaupt, wir stehen hier nicht auf einem CP in Agadir und können uns helfen. Nein, hier ist nichts, außer der N1. Um 10 Uhr maile ich Frau Graetz nochmal an. Stunden vergehen ohne eine Antwort. Um 15 Uhr rufe ich den Auslandsnotruf nochmal an. Die Mitarbeiterin ist total entsetzt, kann es nicht verstehen, ist sehr betreten, macht nicht einmal im Ansatz Vorhaltungen vonwegen ja, man sei im Ausland, was man sich denke, was man erwarte, man sei eben nicht in Deutschland, usw.. Nein, sie ist ehrlich betroffen und entsetzt, verspricht, obwohl schon Samstag nachmittag ist, sofort alles Mögliche über den marokkanischen Automobilclub in die Wege zu leiten. Kurz danach ruft auch eine Mitarbeiterin an. Blitzschnell geht das. Französisch oder Englisch, na ja, meine Englischkenntnisse der technischen Nomenklatur sind nun nicht so ausgeprägt vorhanden, aber wir hangeln uns hin, sie sendet whatsup, ich die Koordinaten, sie wünscht ein Foto vom Auto und die Daten, eine Schilderung des technischen Problems, fragt wohin wir wollen, Tan-Tan oder Laayoune, alles geht zack zack. Sie wird einen Wagen und einen Mechaniker schicken, der vielleicht was vor Ort ausrichten kann, ansonsten wird abgeschleppt. Erleichtert! Sehr sehr erleichtert! Man stellt sich nur mal so vor, 3 Tage in der Wüste zu sitzen, ohne Rückmeldung und ohne Plan, und das als ADAC-Plus-Mitglied. Das hat ein Nachspiel, wenn wir wieder zuhause sind. Zwischendrin nutzt die Wolkendecke die Verwirrung, sich zuzuziehen und verdunkelt die Sonne, ein Regenschauer prasselt nieder, kurz und heftig. Schnell vergangen und verflogen kommt die Sonne wieder hervor. Die sich ausbreitende Schwüle macht deutlich, auch zum Duschen müsste mal dringend irgendein Hafen angelaufen werden. Aber im Zuge des Wassersparens ist maximal Katzenwäsche angezeigt, der Rest muss das Betttuch machen, Hauptsache der Hundenapf ist voll. Eine Schwalbe kauert unter einem Reifen. Sie lässt sich einfach so von Wim mit der Hand greifen, verschmäht ein Tellerchen mit Wasser und fliegt plötzlich auf und davon. Sie hat vielleicht nur einen kleinen Aufprall auf ein Auto erlitten und sich gottlob schnell erholt. Ein Aufatmen geht auch durch uns, als der eher kleine Abschleppwagen neben uns auf das Wüstenbrachland holpert. Zwei freundliche Männer, Entschlossenheit im Blick, springen aus dem mit Bömmelchendecken und Zebrafell voll dekorierten Führerhaus und begrüßen uns jubelnd, als sei das das Normalste der Welt. Aber unsere Augen funkeln bestimmt auch freudig-erregt in ihre Richtung, so dass sie gar nicht anders können. Kurz um‘s Auto rum, hier geklopft, da geschraubt, drunter gelegt, weiter geschraubt, Steine gesucht, Wagenheber positioniert, aufgebockt, Rad abmontiert; von der Ausstrahlung her sagt uns jede Bewegung: „Wir machen den Weg frei!“ oder „Wo stehn die Kartons?“. Aber es sind jetzt in diesen Momenten eben weniger die Fragen, die auszeichnen könnten, eher ist es die Antwort, die weiterhilft. Und die ist schnell gefunden, nämlich eine zerbröselte Gelenkwelle, irgendwas mit der Kardanwelle, wie gesagt, Französisch für Automechaniker ist mir eher weniger geläufig. Unterdessen rollt ein LKW an, der Fahrer schaut mit, woran es liegen könnte, lässt uns vor Weiterfahrt eine Flasche Wasser da. Es wird schon leicht dämmrig, und das Abschlepp-Team beschließt, nach Tan-Tan zurück zu fahren, das defekte Teil zu finden und nochmal später zurück zu kommen zur Montage, sie wollen anrufen, sofern sich was ändert. Inzwischen informiert uns der marokkanische Autoclub, dass wir für die Aktion und evtl. Abschleppen nichts zahlen müssen, lediglich dann die Reparatur, sie erkundigen sich sehr bemüht, ob wir sonst noch „Service“ brauchen, sollen uns sonst sofort melden. So freundlich! Unsere Abschlepper verabschieden sich erstmal herzlich. Man wird sehn, man ruft an, Inschallah. Und dieser Rückruf kommt, sie haben das Ersatzteil, ist aber wie so Vieles in dieser Welt eine Idee anders, nämlich für den afrikanischen und nicht für den europäischen Markt, also nicht passend. Sie kommen morgen, schleppen uns nach Tan-Tan zu ihrer Werkstatt und besorgen das Teil schnellstens. Eine Option, eine gute Aussicht, wie schön. Es ist schon spät, sicher nach 23 Uhr, es klopft fest an unserer Womotür. Ein Auto haben wir durch die Fernsehlautstärke überhaupt nicht kommen hören. Wer mag das wohl sein? Wim guckt, öffnet, sieht in ein strahlendes Gesicht und auf eine ausgestreckte Hand mit einem Stoffbeutel, in dem Brote liegen, und am Boden zwei große Wasserflaschen. Es ist ein LKW-Fahrer, der uns im Auftrag unserer beiden Mechaniker Brot und Wasser überbringt auf seiner Tour Richtung Mauretanien. Ist das fassbar? Ist sowas denkbar? Ist das eine Geste? Wir schlucken ... nicht nur ein Mal!
Sonntag 25.02.2018
Frühstück gesichert, lässt sich gut aufwachen. Brot im Haus, Not aus dem Haus. Das Betttuch hat ganze Arbeit geleistet, so blicken wir zuversichtlich in den Tag, der allerdings wolkentechnisch nichts Gutes bringen könnte. Sehr viel Wind wirbelt sehr viel Sand auf, sehr viel Sand verschleiert die Sonne, sehr diffus um uns herum. Nichts zu getrübt, als dass die Mechaniker uns nicht wiederfinden könnten. Und gegen 11 Uhr rumpeln sie neben uns, einer wieder im wehenden blauen Arbeitskittel, der andere salopper in Camouflage-Jeans. Auf der Ladefläche liegt ein schweres, im oberen Drittel gedängeltes gekantetes Rundeisenrohr mit Ösen an jedem Ende. Auf den Sitzen im Fahrerhaus liegt ein Stoffbeutel, man versorgt uns mit weiteren 3 Broten. Unglaublich! Meine Gedanken, ob das nun Gutes oder Schlechtes bedeutet, erhoffen wir doch, heute wieder die Zivilisation zu erreichen, werden unterbrochen durch das metallisches Getöse vom Einklinken der Öse der Abschleppstange in der Abschleppwagenvorrichtung. Breite Gurte werden kunstvoll durch unseren Rahmen geführt und mit der Öse am anderen Stangenende verbunden. Gut, klar, 5 Tonnen am Gurt, wird schon klappen, man muss Männern auch mal glauben, dass sie ganze Arbeit leisten können. Decke auf unseren Fahrersitz, Camouflage-Mann wird fahren, Wim wird Beifahrer, ich klemme mit den Hunden im Salon, los geht es.
Unbeeindruckt schreiten Dromedare am Straßenrand, dümpeln Flamingos gefrässig im fantastisch schönen Oued Chbika, geht es an Schaf- und Ziegenherden vorbei, blauen Blütenteppichen am Wegesrand, und nach 50 km hinein über die Hauptgeschäftsstraße in Tan-Tan bis zum Ende an den Straßenrand der Werkstatt.
Zwischendurch wird aber schon der Sitz der ganzen Konstruktion geprüft, es rumpelt gelegentlich sehr kräftig, aber unser Fahrer versichert, so getrost bis Marrakesch fahren zu können. Beim Einbiegen zur Werkstatt, wie üblich nur Garagengröße, sausen 5 junge Burschen, offenbar die Assistenten der Geschäftsleitung, herbei und lotsen das Ganze, hängen uns ab und schieben uns sogar alle Manne ein paar Meter vorwärts bis haarscharf hinter einen uralten Ford, dessen Flaschenzug nun bedenklich nah an unserer Windschutzscheibe hängt. Wir stehen.
Ein Getöse um uns herum. Da war der Schwerlastverkehr der N1 noch Gold gegen. Aber es muss ja weitergehen, scheint uns auch der gerade anstimmende Muezzin mit kräftiger Stimme zu flüstern. Wim schwärmt aus, besorgt mal ein paar Sonntagsleckereien, Nervennahrung, die köstlich mundet. Hundefreilauf ist erstmal nicht möglich, Leinchen angesagt. Gegenüber in der Straße ist tatsächlich etwas wie ein Imbiss, und wir können uns ziemlich leckere marokkanische Döner am Abend einpfeifen. Na, wer sagst denn, läuft doch. Erwähnenswert wäre heute noch, dass sich Frau Graetz, ADAC Agadir, doch endlich mal meldet, heute käme ein Abschlepper aus Marrakesch zu ihr zum Büro, sie könne dann sehen, ob der passt, und er würde dann ggf. zum Abschleppen kommen, nach 4 vollen Tagen ohne konkrete Rückmeldung! Die Mail las ich, da hingen wir längst am anderen Haken.
Montag 26.02.2018
Duschen wird generell überbewertet, finde ich. Aber nachdem uns die emsigen Assistenten aus einem Kasten am Straßenrand etliche Flaschen mit Wasser abgezapft und in unseren Tank eingefüllt haben, ist das Zu-Wasser-Lassen unter dem Duschkopf mit Einsatz von duftendem Duschgel und mit Schaumkrönchen im mittlerweile Pflegestufe-3-Haar ein Genuss. Der Mechaniker informiert uns, dass das Ersatzteil morgen kommt. Auch der marokkanische Autoclub ruft an und bestätigt dies. Frisch und heiter geht‘s gegen Mittag mit Radeln weiter. Am Stadtrand der gewohnte und von uns resignierend zur Kenntnis genommene Zustand: große freie Flächen, schattenspendende Bäume, Fragmente einiger Lehmmauern, was könnten die Hunde hier Spaß haben, aber es hindert sie nicht die gerade herannahende Ziegenherde, nein, Hinderungsgrund ist der überall liegende und fliegende Müll, hier angrenzend an eine größere Müllhalde, die von etlichen darin suchenden Menschen bevölkert ist. Ein Elend wirklich. Ich beobachte die Ziegen, wie sie sich flott im Kreis auf eine Plane stellen und irgendetwas gierig auflecken. Wim dreht mit angeleinten Hunden eine kleine Runde, dann ist wieder Fahrradkiste angesagt.
Durch die Gassen geht die Fahrt, schöne Hauseingänge fallen auf mit gefliesten Rahmen, Kinder sausen und spielen in den nicht asphaltierten Seitenstraßen. Schon seltsam, wenn man daran denkt, dass man hier in Tan-Tan über eine blau-weiß ummauerte mehrspurige Straße mit vielen wunderschönen Laternen, Parks und Prachtbauten einfährt.
Wir landen im Souk, Gemüse in unglaublicher Fülle wird angeboten. Kein Europäer weit und breit, entsprechend wird gealbert, wird sich begeistert, mal offen, mal versteckt. Wir erleben die Menschen hier ohnehin etwas verhaltener als anderswo. Viele Männer tragen einen schwarzen Turban, sind über Mund und Nase bis unter die Augenpartie verhüllt, quasi wie die Frauen, die sich in sehr bunt-leuchtende Tücher wickeln. So ermuntert es häufig wenig, Kontakt aufzunehmen, die Augen sprechen eben nicht immer Bände. Immer zu Späßen aufgelegt sind die jungen, westlich gekleideten Burschen, wie junge Rinder, die zum ersten Mal im Frühjahr draußen über die Wiesen sausen, mit solch einer Lebensfreude. Da kann man sich vorstellen, dass sie mit ihrem Naturell coole deutsche Jungs und Mädchen überfordern könnten.
Ein paar Törtchen werden gekauft, 6 Stück für 18 Dirham, und die Maroc Telecom Karte muss aufgeladen werden. Wir sitzen am Womo auf dem Bürgersteig in unseren Stühlen, Scharen von Mädchen in weißen Kitteln, Schuluniformen, ziehen kichernd und flüsternd vorbei, manche grüßen, winken und werfen mir ein Küsschen zu. So vergeht der Tag, der Hunger naht, die Döner-Bude von gestern muss herhalten. Wir kaufen vier Brochettes, kleine Fleischspieße, die vor Ort gegrillt werden. Diese werden mit Tomaten, Zwiebeln und Oliven in einen halben aufgeschnittenen Fladen gesteckt, also wie zuhause mehr oder weniger, nur verwendet der Marokkaner Koriander als Würze und Tzaziki fehlt ganz, dazu die obligatorische Büchse Bier, Abend gelaufen. Das wird der Mann wohl hoffentlich auch sagen, der sich in der Imbiss-Bude ein großes Stück rot glühende Grillkohle erbeten hat, das so einfach zwischen die Finger nahm, es immer wieder anpustete und damit über die Straße vermutlich in sein Haus rannte.
Dienstag 27.02.2018
Nach einer erstaunlich guten Nacht mit allerdings extrem hoher Verkehrsdichte wachen wir auf. Am LKW-Landeplatz um die Ecke war nachts nämlich unglaublich viel Betrieb mit An- und Abfahrten, und damit einhergehend viel Gequatsche, Lärm und Getöse. Aber die Männer müssen ja auch ihre Pausen machen, und wir können froh sein, dass da einer drunter war, der den Essen-auf-Rädern-Job machte und uns spät abends noch mit Wasser und Brot versorgte. Aber letztlich braust nun seit 6 Tagen der komplette Schwerlastverkehr zur Versorgung der Saharaprovinzen und weiter ins tiefe Afrika unmittelbar an unserem Kopfende vorbei. Egal, den Hunden macht es nichts aus, sie schlummern friedlich und genießen ab dem Moment, wo ich langsam wach zu werden scheine, das Reinschlüpfen unter meine Decke am Fußende und das Weiterschlummern darunter, ein Wohnmobil-Ritual, eine heilige Handlung. Sonne scheint, Zeit vergeht, Farbe im Blick, das hoffnungsfrohe Grün des alten Ford vor uns. Und siehe da: kurz nach 10 meldet uns der Mechaniker mit kleinem Karton in der Hand, man werde gleich anfangen. Ja sag mal, ja Wahnsinn, ich fühle ein deutliches „Chaka-Chaka“ in mir, jede Menge Zuversicht, erbitte jedwede Erleuchtung für die Männer, damit die Reparatur gelingen mag. Mit einem „Ich-glaub-an-Dich“ im Blick drücke ich dem Mechaniker fest die Hand und äußere beschwörend: „Ihr schafft das!“. Er dankt es mir mit wohlwollendem Kopfnicken, und dann rücken sie an, diese Handvoll Jungspunde und der Chef im Arbeitskittel mit wachen Augen. Sie werfen sich in den Straßenstaub, mir zu Füßen quasi, denn ich bleibe mit den Hunden im Womo.
In Wim hingegen übernimmt die Nervosität wieder das Ruder, zweifelnd, ob das wohl alles sei, ob die das mit der Luftfederung auch hinkriegen, ob nicht doch noch was ganz anderes dazu kommen könnte, lässt er sich gedankenbeladen und grübelnd auf der anderen Straßenseite auf das Mäuerchen niedersinken. So sitzt er nun da, gebeutelt, mein Mann, vor dem Grün der Parkhecke, ändert immer wieder rasch seine Position, breitet sich aus und klappt sich Sekunden später wie ein Taschenmesser zusammen, guckt den Mechanikern zu, schaut wieder weg, beobachtet und zieht anhand ihrer Körperhaltung und Gestik Rückschlüsse auf Erfolg oder Misserfolg ihres Werkelns.
Unter mir scharrt und hämmert es deutlich, und die Gesichter und ihre Züge, die ich durch das Seitenfenster natürlich auch intensiv beobachte, verheißen Gutes. Ungläubig realisieren wir schließlich, dass der Meister mit „Daumen-hoch“ um Einschlagen des Lenkrades bittet, sich prüfend mit dem Schalter der Vollluftfederung befasst, irgendwo noch ein Hydrauliköl nachfüllt und das Signal zum Anlassen und Start zur Probefahrt gibt. Wim rollt los, rückwärts ein Stück, nichts knattert, einschlagen, nichts knattert, vorwärts, auch nichts, ruhig zieht der Motor an, entspannt brummt er, schnurrend folgen Reifen und Räder. Es ist vollbracht. Welch ein Stein von unseren Herzen fällt, muss man sicher jetzt nicht beschreiben. Das lässt sich leicht nachfühlen. Überglücklich bedanken wir uns bei der kompletten Mannschaft, Facebook-Freundschaften werden geschlossen, Visitenkarten übergeben, Quittung ausgestellt über 250€. In Deutschland, da sind wir sicher, hätte vor dieser Zahl eine „1“ gestanden.
Freudig-zuversichtlich, etwas steif im Nacken und mit noch nicht ganz durchgängigem Aufatmen, verlassen wir die Wüstenstadt Tan-Tan. Am Ortsende erheitere ich mich schon mal mit dem auf der Hintour verpassten Foto der riesigen weißen Dromedare. Das hätten wir nun auch erledigt, es gilt, ab jetzt freuen über das und auf das was kommt. Wie üblich, enttäuscht uns Marokko nicht. Blechkarawanen, bunt verziert mit Ornamenten im Metall, Führerhäuser mit Bommelgardinen, Riesentollen aus Stroh bis weit über die Windschutzscheiben, breit lächelnde winkende Fahrer mit Turban zwischen Tattoo-Banderolen auf den Seitenscheiben, solcherlei kommt uns entgegen. Die bei Hinfahrt noch etwas blassen Blütenteppiche in den Senken leuchten jetzt schon von weitem kräftig blau, weiß und gelb. Es geht weiter durch diesen Flecken, ein Straßendorf, sehr verwahrlost, aber wohl heiß geliebt, sofern einem der Sprit ausgeht, denn hier kann man ihn quasi in jeder Einfahrt flaschenweise kaufen, und die Arbeiter, die sich auf den Baustellen zeltmäßig eingerichtet haben, können sich in einigen winzigen Lokalen verlustieren.
Aber überraschend auf dieser Route für uns ist, dass das bisher sehr uninteressant und nichtssagend im weiten staubigen Tal liegende Guelmim aus dieser anderen Perspektive, eben aus noch nicht gefahrener Richtung kommend, sehr einladend und ausgesprochen schön wirkt. Es zieht sich mit seinen bunten Würfelhäusern etwas an einem Hang entlang, dahinter die wunderschönen, in der Nachmittagssonne nur leicht verhangenen, scharf konturierten Bergrücken des Anti-Atlas. Auf der Umgehungsstraße, von der N1 auf die N12 wechselnd, fahren wir hinter einem LKW her, an dessen Rückwand drei Jungs hangeln und klettern. Nicht zu glauben, sie warten die nächste Kreuzung mit Stopp-Schild ab und schwingen sich dann mitsamt einiger großer Wasserflaschen wieder von der Ladefläche über die hohe Brüstung hinunter auf die Straße. Da fällt mir der Spruch meiner Oma ein: Besser schlecht gefahren als gut gegangen. Die Gefährlichkeit dieser Fortbewegungsvariante lassen wir jetzt mal außen vor. Wir steuern vor unserem Ziel, der Oase Tighmert, zum ersten Mal in diesem Jahr einen Marjane am Ortsausgang Guelmim an. Das war ein Fehler, es ist eben ein Supermarkt, ein unpersönlicher, steriler Supermarkt, nichtssagend, kühl, ohne Inspiration. Extrem lautes Panflöten-Gedudele begleitet uns auf unserer Einkaufswagenfahrt durch die Gänge. Arrogant-facettenlos im Ausdruck schieben sich etliche marokkanische Mitmenschen mit uns durch das Sortiment. Eigentümlich unschöne Stimmung für uns. Warum haben wir das gemacht? Ich weiß, um jetzt genau zu wissen, dass wir das nicht nochmal tun werden, sondern all unseren Bedarf wie immer im marokkanischen Tante-Emma-Laden decken. Da freut man sich über unseren Besuch, da wird einem geholfen, da ist man bemüht, und es kostet nur einen Bruchteil von dem, was Herr Marjane uns abzockt. Auf dem Marjane Parkplatz stehen ein paar Womos. Einer fragt nach einem Platz zum Übernachten in der Nähe. Ich informiere ihn, dass recht schnell erreichbar mindestens 4 SP liegen. Ja, man wolle dann doch eher auf dem Marjane PP nächtigen, die anderen blieben ja auch. Es ist kurz nach 15 Uhr. Wir fragen uns, was das soll, was daran schön sein kann, wir sind wütend, dass ganz offenbar aus Kostengründen kein SP angefahren wird, man den Betreibern das Geld nicht zukommen lassen will, sich eher an einem sonnigen Nachmittag und nachts auf einem Supermarktparkplatz niederlässt. Damit keine falschen Gedanken kommen: es waren Deutsche, zwei davon in Mittelklasse, zwei in Nobelklasse unterwegs. Ich wünsche mir, sie werden bei Ladenschluss gescheucht.
Weiter geht es die paar Kilometer bis zum Nachtlager. Wir biegen von der N12 an der nächsten Möglichkeit nach rechts auf die P1304 ab, folgen vor dem Oasensdorf Asrir nach einer Linkskurve weiter der P1307 im wundervollen Abendlicht. Kupferfarben leuchten das Land, die Berge, die Erde, die Gräser. Dazwischen schießen wie grüne Leuchtraketen üppige Palmkronen zum Himmel, immer wieder ein Bild zum Kaum-dran-sattsehen-Können. Die Nebenstraße der Nebenstraße, auf die wir dem Hinweisschild folgend rechts abbiegen, ist nicht mehr asphaltiert, wird schmal, führt ins Herz der Oase, Palmwedel streifen über das Womo-Dach, es geht an kleinen Gemäuern und Lehmmauern vorbei, wir spielen Eselskarren. Aber alles passt, wir finden links gelegen das rote Einfahrtstor zum SP Aain Nakhla, und hinein in dies Idyll. Ein paar Womos stehen dort, sogar eins, das wir aus Aourir kennen. Klein ist die Welt. Wir nehmen die Lücke unter Palmen, ordern eine Tajine für später, erzählen etwas mit den Nachbarn aus Hessen, die ihren zweiten Hund, wie den ersten im letzten Jahr, in Marokko vor ein paar Tagen gefunden haben.
Das Abendessen wird im Haus der Familie im ersten Stock eingenommen. Wir sitzen wunderbar mit zwei anderen Paaren in einem bunt-glitzernden kleinen Raum, in den gerade so die drei runden schön gefliesten Tische passen. Die Tajine mit Kamelfleisch und dem typischen Gurken-Tomaten-Zwiebel-Gemisch vorweg und einem Obstsalat zum Dessert war ganz lecker, aber auch wiedermal etwas sehr wenig Würze. Mir fehlt immer der Hauch Orient im Essen, alternativ wenigstens etwas Gewürz, das es für uns leckerer machen würde. Dieses Kapitel bleibt ein Rätsel, auch in diesem Jahr. Ich versuch, die Abendstimmung hier auf diesem schönen SP fotografisch einzufangen, zu schön sind die Ecken und Dinge hier im Schein des Feuers, das wohl jeden Abend angefacht wird. Ich bleibe noch lange wach, die letzten Tage passieren Revue, schlafe aber dann doch zufrieden ein.
Mittwoch 28.02.2018
Die Sonne strahlt, schafft aber das Durchdringen durch das dichte Palmkronendach über unserer Lücke nicht. Wir rutschen ein paar Plätze weiter in die sonnigere Zone. Richtig heiß, aber sehr windig ist es. Die Nachbarin sagt, das Wetter würde sich ändern. Und im Verlauf ist es auch so. Nachmittags jagen Sandfontänen an den Bergrücken entlang, über den Palmen braut sich etwas Graues zusammen. Wir lassen erstmal die Räder in der Garage, Oasenradeln wird verschoben. Wir erzählen mit unserem Nachbarn, der 5 Jahre auf einer Yacht gelebt hat. Schlimme Krankheiten haben seine Frau und ihn damals dazu gebracht, auf Reisen zu gehen. Ob sie auch jetzt in ihrem großräumigen Phoenix ständig leben, will ich noch in Erfahrung bringen. Ruhige Stündchen verbringen wir, die die Anspannung der letzten Tage vergessen lassen. Aber wir sind uns sehr einig, vor solch einer Panne hat man richtig Schiss, oft wurde man zuhause schon gefragt, was denn sei, wenn was mit dem Auto sei. Ja ja, so aus dem sicheren TÜV-geprüften Nest heraus fällt ein beschwichtigendes „Ach, was soll denn schon sein“ gar nicht schwer, aber wenn dann der Fall des Falles eintritt, kann sich etwas schnell anders darstellen. Wir sind jedenfalls reicher als zuvor, bereichert um die Erfahrung, dass zum einen so etwas immer mal auf langen Reisen passieren kann und zum anderen natürlich irgendeine Hilfe schon geleistet wird, sonst türmten sich an allen Straßenrändern der Welt Fahrzeuge mit Pannen mit wirr herumirrenden Fahrern und Beifahrern.
Unser Gastgeber Salah kommt mit Gemüsetüten bepackt vom Einkauf zurück. Abends gäbe es Couscous, ob wir mitessen wollen. Wir wollen; das gerade zum Grillen vorbereitete große Rindfleischstück vom Marjane muss eben noch einen Tag warten und verschwindet wieder im Kühlschrank. Bis ein Regenschauer niederprasselt durchstreife ich ein wenig den lauschigen Oasengarten, banne was sich bannen lässt mittels Kamera.
Später ruft uns unser Gastgeber, Essen sei fertig. Oben am gleichen Tisch wie gestern wird aufgetischt für uns, Couscous mit lecker schmeckendem Gemüse und Lammfleisch, gleich auf zwei großen Platten angerichtet, Vorsicht ist also geboten, denn die Verdauungsschnapsflasche im Womo ist schon längere Zeit leer. Wir lassen es uns gut munden, was nicht schwerfällt und schlendern später zum Lagerfeuer am Nomadenzelt, in dem unser Gastgeber zwischen den bunten Kissen und Matten mit ein paar Männern sitzt. Die Einladung zum Tee nehmen wir gerne an, also Schuhe aus und hinein. Ein älterer Mann sitzt mit mehreren Kesselchen und Kännchen vor einem kleinen Gasbrenner, ein junger Mann bringt ihm eine Metallschale mit rot glühenden Kohlen aus dem Lagerfeuer herein, das stellt er vor sich auf einen Ständer und befasst sich lange mit dem Zubereiten eines traditionellen Tees aus gekochter Milch mit Zucker und natürlich Tee, aber einer Besonderheit als Würze, nämlich Oregano. In sich versunken, mit Handgriffen, die offensichtlich im Schlaf funktionieren, lässt er sich durch nichts von seinem Tun ablenken, er zelebriert, es fasziniert. Und letztlich ergießt sich in einem langen Strahl aus dem silbernen Kannenhals eine köstlich schmeckende süße und heiße Mischung in kleine bunt bemalte Gläschen auf einem Silbertablett. Herrlich, herrlich, zwei Mal greifen wir zu. Unterdessen wird geredet, Salah, unser Gastgeber, der perfekt Deutsch spricht, er hat 18 Jahre in Hamburg gelebt, philosophiert auf sehr angenehme Weise mit uns über die Welt, Leben und Tod, die Sichtweise der Religionen, das Sein und Dasein, das Hab und Gut, das Vergangene, das Jetzt und die Zukunft. Eine wunderschöne nachdenkliche Stillsteh-Zeit verbringen wir im regen Austausch, beinah stoisch bereitet der ältere Mann immer noch Tee, beinah liebevoll folgt er mit seinen Blicken dem Schaffen seiner Hände. Alles in allem eine so friedliche Situation, die uns extrem fremd, aber keinesfalls unangenehm ist. Im Gegenteil, ein Austausch zu derlei Themen geht in unserem Alltag, unserem Leben, viel zu oft „den Bach runter“, findet keinen Platz in all den Alltäglichkeiten und vermeintlichen Erfordernissen. Es ist für mich, als sitze ich, erleuchtet vom Feuerschein, zusammen mit den Weisen aus dem Morgenland, heimelig geborgen unter dem Zeltdach aus warmen, bunten Decken, willkommen mit allem, was ich bin. Einzig schön. Im Gedächtnis wird mir ewig das Wort der Oma unseres Gastgebers bleiben: „Wenn Du morgens die Haustür öffnest, darfst Du sie den ganzen Tag nicht mehr schließen, es könnte einer kommen, der in Not wäre!“. Ist das nicht wundervoll, danach zu leben, mit solch einem Leitsatz?
Donnerstag 01.03.2018
Nach einem kräftigen Regenschauer, hier in der Oase ist seit 3 Jahren kein Tropfen mehr gefallen, klart sich der Himmel auf, spannt sein himmelblaues Zelt über uns. Eigentlich sollte unser Aufenthalt hier nur eine Stippvisite sein, eigentlich. Man sieht wieder, wie wichtig es ist, sich nach allen Seiten offen zu halten, sich nicht festzufahren, weder im Sand noch in Plänen.
So lassen wir uns fallen, erstmal auf die Fahrradsättel, denn Wim hat angespannt, Mylady und das Hundepack dürfen auf- und einsteigen. Zeit vertrödeln, Gedanken gammeln lassen, Seele baumeln und Herzen fliegen lassen. Lehmpfade, von Eselskarren ausgegurkt, lassen sich noch wider Erwarten sehr gut mit Rad und Anhänger bewältigen. Recht hügelig ist es. Am Flussbett zieht sich ein besserer Weg entlang, wir steigen mit gezogener Bremse hinab. Die Hunde, die wir hier in der nicht belebten Gegend schon seit einem Stück des Weges frei gelassen haben, nutzen diese Freiheit und danken uns mit Grinsen im Gesicht, Funkeln in den Augen und wetzen im Palmenwald hin und her als sei der Palmwaldschrat hinter ihnen her. Eine Ecke, ein Blick ist schöner als der andere. Uralte massige Palmgruppen in unterschiedlicher Höhe sprühen so ebenmäßig in hohen Höhen über uns auf, wehen und rauschen im Wind. Das Korn wiegt sich in den Oasengärten und hebt sich mit seinem sonnengefluteten Grün stark von den Lehmmauern ab. Ein Eselchen grast im Schatten einer Palme. Die Wasserrinnen mit ihren Sperren und Umleitungen können wir gut erkennen. In manchen Lehmrinnen ist der Boden hell und spröde-schollig aufgebrochen, manche sind vom kürzlichen Wasserdurchfluss noch durchnässt und dunkel. An einigen bewohnten, aber für uns fast verlassen wirkenden Lehmbauten radeln wir vorbei. Zur Lebensader Fluss, zu dessen Uferböschung hin, liegt und fliegt Müll, zwar nicht haufenweise, aber reichlich. Immer wieder setzt unser Verständnis dafür aus, es ist für uns einfach nicht zu verstehen, wie man das, was einem seit Menschengedenken die Existenz, das Leben sichert, zumüllen kann. Aber grundsätzliche Gedanken dazu wollen wir versuchen, nicht mehr zu entwickeln, zu sehr ist dies wie gegen Windmühlen anlaufen, aber hin und wieder denke ich, muss mein Reisetagebuch auch offen für Kritik sein.
Das Abendlicht legt sich über die Oasenwelt, und ich lege unser Rindfleisch in die Pfanne. Dazu gibt‘s ein paar in gutem spanischem Olivenöl geschmorte Zucchini mit Knoblauch und Fladenbrot, frisch gebacken aus dem Gastgeber-Ofen. Da werde ich morgen mal aufpassen, der Ofen steht nämlich unmittelbar an der Hauswand vor unserem Womo. Die Prozedur muss ich mir angucken.
Freitag 02.03.2018
Kurz überfliege ich den Newsletter des heimischen Stadtanzeigers, es muss wahnsinnig kalt sein in Deutschland, man spricht von „Russenpeitsche“, scheinbar geißelt der Frost die Menschen, nicht nur in Köln, bis tief nach Frankreich und Spanien ziehen Kälte, Sturm und Regen. Höhe Montpellier stehen Menschen über 20 Stunden auf total zugeschneiten Autobahnen bei immer tiefer fallenden Temperaturen. Verschneite Barcelona-Bilder sieht man, vom Sturm zerstörte Lokale an der Algarve, Ortsschild „Saint Tropez“ unter Schneehaube, total überschwemmte SP, von denen Womo-Besatzungen von der Feuerwehr evakuiert werden müssen. Für unsere Oase ist für heute reichlich Bewölkung mit Schauer gemeldet, weiter hoch der Atlantikküste folgend auf 14 Tage hinaus nur Bewölkung, grau, Regen. Das sind ja Aussichten. Überlegt hatten wir, den Samstags stattfindenden Kamelmarkt in Guelmim zu besuchen und danach nach Tiznit weiterzureisen. Erst einmal werden wir das ändern und noch hier bleiben. Wetterberichte sind, wie uns die vergangenen Wochen zeigen, häufig für „in die Tonne zu klopfen“. Die Bewölkung mit Schauer über unserer Oase bleibt aus, luftigst gekleidet lässt es sich hervorragend Sonne anbeten. Ich schreibe meine Berichte, hänge Gedanken nach und verfolge das Anfachen des Brotbackofens aus Lehm mit Palmwedeln und das Backen der Brotfladen. Das Korn dafür wird gekauft, eine junge Frau mahlt es von Hand, es kommt Hefe hinzu, und das Ergebnis ist köstlich.
Ich frage Salah nach der Gerechtigkeit der Wasserverteilung hier in der Oase. Er brauche ja nun durch seinen SP erheblich mehr Wasser als andere mit nur kleinen Gärten. Ja, die Familien haben seit Jahrhunderten die Landflächen wie eh und jeh, ihnen steht dafür das Wasser zu, egal letztlich wozu sie es nutzen. Salah hat aber zudem einen eigenen Brunnen. Wim und ich hatten an möglicherweise „böses Blut“ gedacht, wenn jemand einfach mehr Wasser beanspruchen will für z.B. gewerbsmäßigen Verbrauch. Aber Mehrbedarf muss eben in eigener Regie gedeckt werden. Ein junger Mann kümmert sich um den gestern vom Wind gebeutelten Zaun aus Schilfrohr und Palmwedeln. Er schlägt die abstützenden Pfosten neu ein. Es ist schön, zu sehen, dass hier die Dinge in Ordnung gehalten werden. Erwähnen will ich das, weil wir es auch häufig anders erlebt haben. Vom Fahrrädchen der kleinen Tochter des Hauses, die in der Auffahrt auf und ab fährt, springt dauernd die Kette ab. Wim kann es irgendwann nicht mehr mit ansehen, greift zur Werkzeugkiste und repariert es soweit möglich. Die Keine hustet sich die Seele aus dem Leib, ein paar Eukalyptusbonbons aus unserem Vorrat helfen zwar nicht wirklich, aber ein kleiner Trost ist es vielleicht. Salahs Ehefrau, die bisher sehr still und zurückhaltend war, schenkt mir daraufhin ein Lächeln, was mich sehr freut.
Da das Wetter sich hält und Schauer wohl unverrichteter Dinge weitergezogen sein müssen, wird geradelt, diesmal nach rechts. Im großen Bogen umfahren wir die Oase, können am Ende über einen neuen asphaltierten Weg quer durch radeln. Das ist herrlich, denn zum einen ist es schlecht bzw. unmöglich, mit den Anhängern über die sehr engen schmalen Lehmpfädchen zwischen den Häusern zu fahren, zum anderen sehen wir so die märchenhaften Palmengärten, die grünen strahlenden Felder darin und die verschiedenen Bewässerungsgräben, die hier zumeist betoniert sind. Verwunschen wirken viele Bereiche, alte Palmholzstämme liegen quer, dienen als kleine Brücken, dicht an dicht bauschen sich die Wedel der niedrigeren Palmen wie riesige Pompons. Eine Stille herrscht, eine Ruhe greift um sich, entziehen zwecklos. Oft bleiben wir andächtig stehen, es ist wirklich so. Ich mag, schon auf den früheren Reisen mit meinen Jungs in den Süden, diese Vorabendstimmung. Ich liebe sie, diese Bilder von kleinen Herden, die satt und zufrieden den heimischen Stall aufsuchen, die Menschen, die so langsam aus ihren Häusern kommen, sich treffen, schöne Plätzchen für einen Austausch suchen, die Last des Tages fällt ab, auch von uns, obwohl wir keine wirkliche Tageslast tragen in diesen Tagen, aber doch wird irgendwie Platz gemacht für einen Abendfrieden. Im lauen Lüftchen und immer noch ärmellos geht es durch die Oase zum Womo. Kochen ist angesagt, ein Rest Gemüse von gestern, ein paar Kartoffeln mit Omelett dazu, passt. Wim redet plötzlich mit Leuten draußen vorm Womo. Ich höre, er redet sehr erstaunt und fast vertraut, und auf Deutsch, aber die antwortenden Stimmen sind mir unbekannt. Auch die Gesichter, die ich von Neugierde getrieben durch das Schlafzimmerfenster erspähe, kenne ich nicht. Aber es klärt sich auf: es ist ein Paar, das unsere Geschichten aus dem Reisetagebuch aus Facebook kennt, sie waren in der Gegend und wollten mal sehn, ob es auch so schön auf diesem SP hier ist. So eine Überraschung. Morgen wird sich sicher ein längerer Plausch ergeben.
Samstag 03.03.2018
Kamelmarkt in Guelmim, das war eigentlich Programmpunkt für heute. Ich las, kaum noch etwas sei davon geblieben, vom ursprünglichen Sinn und Zweck, heute würde der früher ganz bedeutende und größte Kamelmarkt Afrikas touristisch ausgeschlachtet, sei nicht mehr als ein normaler Wochenmarkt. Na ja, vielleicht hätte man sich selber davon überzeugen können, aber irgendwie haben wir keine Lust auf Unternehmungen und die aufgelesene Beschreibung kommt uns daher ganz recht. Und da auch keine dringende Vorratsaufstockung ins Haus steht, wird der Tag eben verbummelt. Zwischendurch fällt der Strom aus, wie Salah sagt, im ganzen Dorf. Peter mit Frau, die gestern angekommen sind, fehlt Brot zum Frühstück, wir geben ein recht trockenes Stück von unserem weiter, mehr und besseres Brot haben wir heute morgen leider auch nicht zu bieten. Wir halten ein längeres Schwätzchen über Fotografieren und Reisen, wie das so ist, was man so redet. Peter reiste schon Anfang der 70er nach Afrika, bewundernswert, wenn man sich damals schon so jung aufmachte, ferne Ziele zu besuchen. Dagegen sind wir ja noch sowas von Hellgrün hinter den Ohren, aber wir tun ja unser Bestes. Peters Motor im VW Bully macht seltsame Geräusche, etwas läuft nicht rund, er will das prüfen lassen, bevor Schlimmeres eintritt. Unser Gastgeber hat jemanden organisiert, der ihn zu einer Werkstatt begleitet. So zuckeln sie mit ihrem staubweißen Bully ab, mal sehn, was der „Patient“ so macht und wie ihm geholfen werden kann. Heute ist es sehr bewölkt, zwischendurch aber sticht die Sonne richtig heiß. Kommt von oben nicht genug oder die falsche Farbe, muss man unten auf die Suche gehen. Die Kamera findet auch welche.
Gegen Nachmittag fällt eine unwesentliche Anzahl Regentropfen, aber nicht ins Gewicht, nur auf die knochentrockene Erde. Zeit bleibt, und muß auch endlich mal bleiben, zur mehrfach hinaus geschobenen Beantwortung einiger lästiger Mails, deren Inhalte stark in Alltagsniederungen zwingen. „Am Riemen reißen“ und durch. Bewegendes passiert weiter nicht, jedenfalls nichts von uns Veranlasstes. Aber am Himmel, in der Wetterlage, da ist was gebacken. Grau-schwarz hängt die Wolkendecke durch, auslaufende Anti-Atlas-Höhenzüge sind völlig im Grau versunken. Da braut sich etwas zusammen. Die Erde freut sich dann auch über sintflutartige Regengüsse. Die dicken Wolken halten, was sie versprechen und leisten ganze Arbeit, verschaffen so Momente, am Abend die Gemütlichkeit eines Womos zu genießen. Wirklich problematisch ist dann nur der aufgeweichte Lehm, der sich später in einer von oben trockenen und zum Gassigang genutzten Minute an den Hundepfoten bis über die Wolfskralle hinaus anschleimt und körpernah extrem gut haftet, sich anklammert wie ein Ertrinkender an einem Strohhalm. Da darf man es auch mit der Reinlichkeit im Womo nicht so eng sehen.
Sonntag 04.03.2018
Ich möchte gerne weiterreisen. Schöner Ort hier, aber Abwechslung wäre mal wieder schön. Der Himmel ist stark bewölkt, wir können nicht sehen, welche Richtung das Wetter nehmen wird. Eine kleine Runde ins Inland, Anti-Atlas durchstreifen, über Assa nach Icht und über Bouizakarne nach Tiznit soll es werden. Aber zunächst einmal wird der Weg zur Dusche genutzt, bei den Bully-Leuten nach dem Sachstand zu fragen. Nach einigem Hin und Her und Aus- und Einbau Lichtmaschine und Wasserpumpe ist der Fehler an ihrem Auto gefunden, in riesigen Ersatzteillagern findet sich alles nur Erdenkliche, weiß Peter, der Hans Peter heißt, zu berichten. Mit totalem Eifer und Erfolg habe man letztlich alles richten können. Und zum gemeinsamen Mittagessen in der Familie des Mechanikers hätte man auch gemusst, eingeladen ist eingeladen. Wiedermal eine so tolle Begebenheit, auch die Aussicht, dass man bei einem Defekt wirklich auch auf effektive Hilfe hoffen darf, selbst in einer Wüstenstadt. Und das Ganze incl. Bewirtung hat dann 100 Dirham Lohn gekostet und 30€ für das Ersatzteil. Das muss man sich mal vorstellen. Salah klärt mich noch im Vorbeigehen über die 3 Qualitätsstufen beim Arganöl auf. Die beste Qualität erhalte man aus handgepflückten Früchten, die zweitbeste dann aus den Früchten, die schon mal durch eine Ziege gewandert sind und in deren Hinterlassenschaften stecken, und die schlechteste dann die, die aus aufgelesenem „Fallobst“ herrührt. Aber manches sei auch gepanscht, das sei dann natürlich sehr sehr mindere Qualität, die aber häufig angeboten würde. Sie ließe sich leicht erkennen: einen Tag im Kühlschrank, und schon setzt sich was ab in der Flasche, daran erkenne man dann die miese Qualität. Gut zu wissen, entdeckt man es früh genug. Da sich zeitlich betrachtet nun der Vormittag irgendwie in Luft aufgelöst hat, werden wir heute noch bleiben, auch weil es blau, sonnig und warm wird. Gegen Abend kommt ein Kleinsttransporter angefahren, es jammert und jammert von der Ladefläche ganz jämmerlich. Eine Ziegenmama mit 2 jungen, 14 Tage alten Zicklein, zuckersüß, wird geliefert und in den kleinen Verschlag am Platz gesteckt. Sie sind sehr scheu, zittern am ganzen Leib. Mal sehn, ob ich sie morgen mal fotografieren kann. Wir plauschen mit Hans Peter und Gattin, werfen alles aus den Vorräten zusammen, kochen, und können für 4 Personen ein leckeres 3-Gang-Menü auftischen, ein lustiger schöner Abend. Morgen verlassen wir alle diesen schönen Platz.
Montag 05.03.2018
In der Nacht haben die Zicklein häufig geweint. Sie taten mir sehr leid. Morgens liegen sie hinter einem Holzstamm versteckt zwischen den Beinen ihrer Mutter, die in der hintersten Ecke an der Stallwand klemmt. Ein jammervolles Bild. Aber sie werden sich sicher gewöhnen und bald freudig über den Acker hüpfen, so hoffe ich jedenfalls, auf Tajine mit Ziege habe ich jedenfalls keine Lust mehr.
Windig, bewölkt, aber sonnig ist es. Wir verabschieden uns von den beiden im Bully, sie wollen weiter, weit weit nach Süden. Wir bunkern Wasser, entsorgen, rüsten zur Abfahrt. Salah verabschiedet uns, es ist ein wirklich freundlicher unaufdringlicher Mann. Gerne merken wir uns diesen Platz für ein anderes Jahr. Ein älteres holländisches Paar mit Hund und Wohnwagen ist da. Die Frau spricht uns an, wir schenken ihr ein Paket Hundefutter, sie haben doch tatsächlich nichts mehr dabei, keinen Vorrat gebunkert, und finden hier keines im Laden. Also Leute gibt‘s. Auch dem Phoenix-Mann aus Pforzheim mit seinen vielen künstlichen Gelenken wünschen wir, dass alles wenigstens so bleibt und eine gute Reise, er freut sich. Er tat mir oft leid, man sah ihm an, dass er sehr schlecht zu Fuß war, und dann noch den zweiten Hund gefunden, schon eine echte Aufgabe. Langsam tuckern wir los, raus aus der Oasenwelt.
Und über die N12 mit ihrer erstaunlich neuen Asphaltdecke, die sich wie ein Band durch das Steppenland zieht, gleiten wir nur so dahin. Einfach phantastisch schön geht die Fahrt auf ca. 400 m Höhe über wieder endlose Weiten, die Bergzüge des Anti-Atlas zur Linken wirken im Schattenspiel immer wieder anders, lebendig, und gleichzeitig doch sehr einsam. Wir sehen keine Berberzelte, Ortschaften oder wenigstens kleinste Ansiedlungen gibt es kaum, und wenn liegen lange Strecken dazwischen. Soweit das Auge reicht wachsen in großen Abständen Arganien und niedriges Buschwerk, grün gesprenkelt sind die Ebenen.
Auf sehr hellem, sandigen Boden stehen in einem Tal unzählige einzelne Palmen, weit auseinander, man könnte meinen, hier hätte man eine überdimensionale Palmenparkanlage angelegt.
Über eine Passhöhe hinüber, gemäßigt mit knapp 900 m, aber der Arto muss auf den Serpentinen schon Leistung zeigen, erreichen wir Assa. Sofort am Stadttor hält uns der Gendarmerieposten an, übervorschriftsmäßig erkundigt er sich nach dem Wohin, kassiert die Pässe, verschwindet im Gebäude, um einige Zeit später mit einem Kollegen wieder zu erscheinen. Die Gesichter verraten nichts, bzw. eher Unerfreuliches. Aber nein, staatsmännisch gönnerhaft erhalten wir unsere Pässe zurück, man wünscht „bon voyage“, das war‘s. Im Ort halten wir, Gemüse, Obst und Kartoffeln müssen an Bord. Außerdem ist hier ein Hähnchengrill, wie passend und wie erfreulich. Eine Tüte vom Gemüsemann für recht teure 50 Dirham, ein Hähnchen für 70, Fladenbrote noch mit, alles bestens. Hinter Assa fahren wir an einem SP-Tipp vorbei, alles verlassen, Wim möchte nicht bleiben.
Die Erde wechselt von Sand in Hamada, dunkle Steinwüste überzieht jetzt viele Ebenen. Extrem stachelige Bäume wachsen hier, die nussartigen Früchte sind steinhart und leuchten unter der Schale knallig gelb. Kamele sehen wir vereinzelt, Ziegen-, Schaf- und kleine Eselherden. Hier entlang der umstrittenen Grenze zu Algerien kommt uns kaum ein Auto entgegen, man könnte sie an einer Hand abzählen.
Wir stoppen zum Hundeauslauf. Wim hält sehr weit rechts vom Fahrbahnrand an. Du Schande, der Untergrund ist weicher als gedacht. Ja, wir Flachlandtiroler, ein Glück, das längste Stück unserer Auslegware hat das Ganze, also die 5 Tonnen, mal eben rausgerissen. Das hätte noch gefehlt, wenn wir hier stecken geblieben wären. Du lieber Himmel. Also merke: Besser eine abgefahrene Fahrertürklinke als klinkentief im Sand festgefahren! Also den guten Läufer aus dem Küchenbereich notdürftig abgeklopft, alles wieder hinein in die gute Stube, durchatmen, Abfahrt.
Bald nähern wir uns der Ortschaft Fam El Hisn. Ganz auffällig sind die sehr bunten Hauseingänge, aber auch ein paar Horden frecher Jungs. Sie bleiben provozierend mitten auf der Straße stehen. Aber Hupen und Kamerazücken hilft wie meistens, und sie springen zur Seite.
Icht lassen wir, nachdem wir kurz vorher auf die R102 nach links abgebogen sind, rechts am Fuß der braunen Berge liegen und fahren am Ende rechts auf den CP Borj Biramane. Es ist bewölkt und sonnig, stürmt aber sehr stark. Auf diesem großen, schön und locker parzellierten Platz um eine Auberge herum werden wir die Nacht verbringen, vorher jedoch das Hähnchen verschlingen und dazu einen Couscous-Salat. Was war das heute wieder für ein Tag mit begeisternden Ansichten, wieder so ein Tag, an dem einem abends die Augen brennen, schön brennen. So ist das eben, wenn sich Erinnerungen einbrennen.
Dienstag 06.03.2018
Der Morgen kommt, wie der Abend gegangen ist: blau und sehr sehr windig. Es bleibt daher bei unserem Plan, bei starkem Wind weiterzureisen. Ich nehme noch eine eingefrorene Portion Bolognese aus dem Gefrierfach, die während der Fahrt vor sich hin tauen kann. Das Hähnchen von gestern lag doch um ein Vielfaches seines Gewichts schwer im Magen. Und Vorsicht ist geboten, Verdauungsschnapsvorrat ist nicht mehr an Bord. Daher ist es ratsam, wir bieten unseren Mägen heute mal etwas gewohnt Gewürztes an. Ja, ja, das Alter, unaufhaltsam meldet es sich und greift Raum. Fies, einfach fies. Aber als Gegenmittel eignet sich eine Marokko-Reise ungemein, besser als jede Kur-Maßnahme in Bad Wörrissontschönach an der Neuenahr oder sonstwo, wobei ich niemals im Leben bisher solch eine Anstalt - Gott sei es gedankt - aufsuchen musste. Mit diesen Gedanken schwärme ich zum Bezahlen der CP-Nacht aus, während Wim außen schon mal alles startklar macht. Der Platz ist, obwohl ich, ich sagte es bestimmt schon mal, CP nicht mag, sehr schön, eine tolle Lage, ein wunderbares Einfahrtstor, richtig herrliche kleine Lehmgebäude mit Zinnen, etwas parzelliert im hügeligen Gelände, Gebüsch ist noch jung und dürftig, das wird aber noch. Hinter dem schweren Holztor zur Rezeption erwartet mich marokkanische geschmackvolle Gemütlichkeit mit ausgesuchten Dekorationen, bunten Fliesenteppichen, Eisenstühlen mit farbenfrohen Kissen, Mosaiktische und eine herrliche Terrasse mit Pool, noch ohne Wasser, sehr sehr ansprechend und einladend. Unter den wachsamen Blicken des Stubentigers komme ich zu dem Schluss, dass man hier ein paar schöne luxuriöse Ruhetage einlegen könnte, auch weil die Duschen heute morgen perfekt waren. Von daher merke ich den Platz mal vor, die Landschaft im Anti-Atlas liebe ich sehr, eine Rückkehr zu einer vertiefenden Runde hier im Grenzgebiet zu Algerien unternehmen wir ganz sicher im nächsten Winter.
Ziel soll heute Tiznit sein mit Wetterprognose ziemlich kühl, grau, leichter Regen. Aber irgendwann müssen wir uns so langsam nach Norden begeben. Und in Tiznit wartet noch unser nachzuarbeitendes Polster beim Polsterer Momo. Also los. Die R102 mit ihrem recht schmalen Asphalt führt uns durch die Bilderbuchlandschaften der herrlichen Bergwelt. Welch ein Farbenspiel. Gelegentlich liegen langgezogene Orte versteckt in Palmenhainen weit am Horizont an den Ausläufern der braunen Bergketten. Pastellfarbene Minarette leuchten, kommen aber nur schwer gegen das Schneeweiß der Wolken, geschweige denn gegen das Strahlen des Himmelsblau an. Aber darauf kommt es nicht an, denn nur alles im Zusammenspiel, die Weite und die Ruhe hinzu genommen, ergibt diese einzigartige Schönheit, die Wim und mich wirklich nachhaltig begeistert.
Von weitem sehe ich eine Wasserstelle und ein paar Esel, die sicher zum Wasserholen dorthin geleitet wurden. Gelernt habe ich: An Wasserstellen ist gut lauern, denn hier kann immer mit größeren Herdenauftrieben gerechnet werden. Freundlich grüßt und winkt der Eselbesitzer, was später auf meinem Foto gar nicht so aussieht. Weitere Tiere kann ich leider nicht sehen, jedenfalls auf dieser Straßenseite nicht, aber auf der anderen: eine Herde, eine ganze Herde Dromedare. Wim erteile ich den „Befehl“, sich langsam pirschend heran zu schleichen und anzuhalten, ich wechsele zum Teleobjektiv, und freue mich sehr an dieser friedlichen Stimmung. Der Junge, der die Herde hütet, steht so teilnahmslos da. Ich nehme meinen Mut zusammen und steige aus. Immer noch möchte ich mich niemals quasi bewaffnet mit Kamera den Menschen hier so einfach nähern. Sie haben nicht viel, der Kleine hier eben die Dromedare, und ich mache mich darüber her. Also behutsam vorgehen, das ist mir ein Herzensanliegen. Er kommt zu mir hin, lächelt kaum, allenfalls ein wenig mit seinen dunklen schönen Augen, er hat ganz schlimme, schlechte Zähne, kann sich nur mit ein paar Gurrlauten äußern, ich bin sicher, er kann nicht sprechen, vielleicht auch nicht hören. Ich deute ihm an, dass ich gerne seine Tiere fotografieren möchte. Er schaut zu. Ich frage ihn, ob ich auch ein Foto von ihm machen darf. Er lässt es zu, schließt seine Lippen, als wolle er, dass seine Zahnreihe bedeckt ist. Ich zeige ihm das Foto auf dem Display, er zwinkert ein wenig, vielleicht auch, weil ich ihm über die Schulter streiche und winkt beim Weggehen. Dies ist wiedermal solch ein großer Moment, so eine Innigkeit in dieser fast unbeschreiblichen Weite, dass mir beim Schreiben darüber noch die Tränen kommen. Kurz dachte ich nach, ob ich ihm die 2 Dirham in meiner Hand geben sollte oder nicht, ich gab sie ihm, werde aber vermutlich nie genau wissen, ob es richtig oder falsch war und mich damit „entschuldigen“, dass er sie vielleicht für sich für irgendeine Winzigkeit verwenden kann. Geben und Nehmen kann recht schwierig sein.
Mit diesen Gedanken in mir und den dunklen Augen des Kleinen vor mir durchfahren wir weiter dieses Land und die Palmenoase Taghjijt, überqueren hinter einem Grüppchen Spaß machender radelnder Jungs und Mädchen ein breites Flussbett, in dem ein paar große grüne Gumpen stehen. Der Asphalt ist immer noch gut, zwar oft wellig, franselig, holprig und schmal, aber dank der verschwindend geringen Verkehrsdichte recht unproblematisch zu befahren. Langsam fahren ist allerdings immer angezeigt, auch für die heutigen ca. 150 km brauchen wir über 4 Stunden.
Der nächste Ort auf unserer Route ist Timoulay. Hier sind wir im letzten Jahr auf die R107 abgebogen, auch eine wild-romantisch schöne Tour mit dem wirklich berauschend fantastischen Ziel Tafraoute, das wir diesen Winter aber nicht ansteuern. Ohnehin sind wir auf unserer jetzt zweiten Reise durch Marokko bisher nur maximal 50 km bekannte Strecke gefahren, zu viele Möglichkeiten bieten sich uns, als dass wir auf bekannte ausweichen wollen. In diesem großen Ort, dessen zugeschlemmte Straßen auch auf heftigen Regen schließen lassen, könnte man wieder vom Beifahrerfenster aus einkaufen. Vielfältig und greifbar nah bieten die Händler von Rinderhälften über Bananen, Gemüse und Obst bis hin zu Matratzen, Eimern und Teppichen alles an. Schulschluss ist offenbar, wieder bevölkern große Gruppen von Kindern und Jugendlichen die Gehsteige und Straßen.
Zu unserem Erstaunen müssen Wim und der Arto nochmal richtig ran. Einen kleinen verwegenen Pass hatten wir nicht, wie man heute sagt, „auf dem Schirm“. Zwischenzeitlich nieselt es, hoch zu den Bergen ist alles grau verhangen. Aber erstmal rauf und durch. Hart am Fels kurbeln sich Herr Grimbergen und Herr Niesmann die Serpentinen hinauf, was auch von Nöten ist, denn der zum Teil hoch bepackte Gegenverkehr ist, wenn auch kriechend, aber doch stark unterwegs, und es gilt, möglichst mit beiden Außenspiegeln irgendwo im Tal wieder anzukommen. Auch wenn hier in Marokko viele künstlerisch begabte Autobemaler unterwegs sind, so möchten wir keine Palme hinten oben Beifahrerseite wachsen lassen, deren Daseinsberechtigung sich ausschließlich mit dem Kaschieren einer davongetragenen Felsschramme begründen lässt. Es glückt aber alles. Die knapp 1100 m des Tizi-Mighert sind erklommen. Verwehrt bleibt uns der herrliche Weitblick in die Ebene vor Tiznit. Sie liegt im vernieselten Nebel. Da die um mindestens 15 Grad auf 12 Grad gefallenen Temperaturen ohnehin nicht zum Aussteigen locken, genießen wir die vollkommen anderen Ansichten der Landschaft aus dem warmen Womo heraus. Unfassbar ist dieser Wandel. Fuhren wir gerade noch durch Steppenland mit Dromedaren an braunen Schichtbergen entlang, so könnten hier im fetten Grün der kleinen, mit Steinmauern umgrenzten Parzellen die Osterhasen springen. Steingärten breiten sich aus. Zwischen den terracottafarbenen Felsen und dem Gestein wachsen dicke Büschel, Kakteenbündel und kleine Mini-Agaven mit weißen Blütenstengeln. Alles erinnert mich sehr stark an das mir gut bekannte Hinterland der Cote d‘Azur. Ja, richtig mediterran wirkt es hier, bis zu dem Moment, wo wieder Ortschaften auftauchen, da zeigt Marokko doch wieder sein Gesicht, hier und jetzt traurig, verheult. So breit die Ortsdurchfahrten sind, so gut asphaltiert, so schmal und lehmig sind die Nebenstraßen, die Stiche zu einzelnen Häuserreihen. Da läuft bei Regen meist die ganze „Suppe“ in Bächen schlammfarben hinab, schwemmt alles zu, die Menschen dazwischen wirken für uns sehr hilflos, sie tun uns leid, wie mag das nur in den Häusern aussehen, wenn so viele Personen durch solch einen Schlamm in Wohnräume hinein müssen. Aber es wird so sein, dass die marokkanische Hausfrau Mittel hat und Wege weiß, und die nächsten Sonnentage kommen bestimmt.
Auf Tiznit zurollend, sehen wir schon von weitem die bunten Würfelhäuser-Siedlungen. Schön, wieder hier zu sein, gesund an Leib und Seele und Motor und Blech. Das zweifelnde leichte Unbehagen nach der Reparatur in Tan-Tan begleitet uns doch noch etwas, wenngleich hoffentlich unbegründet. Wir biegen hinter dem kleinen Stadttorbogen scharf rechts zu unserem Polsterer ab. Eine freundschaftlich-herzliche Begrüßung und die Ansage, in 2 Tagen sei alles fertig, folgt. Der Stoff, aus dem für die Ablage unter der Frontscheibe noch eine Abdeckung genäht werden soll, ist auch da. Die Burschen nehmen Maß, und wir fahren zum bekannten CP um‘s Eck. Auch hier Küsschen vom Chef persönlich, ja, als Deutscher ist man hier, unter 99,9 Prozent Franzosen, wirklich die Sensation mit Alleinstellungsmerkmal. Unter den leider skeptischen Blicken und leider auch verkniffenen Minen der französischen Mitmenschen quetschen wir uns nach Einweisung des freundlichen Chefs in eine betonierte freie Lücke, die beidseits natürlich komplett mehr als grenzüberbauend von der Nachbarschaft belegt ist. Entsprechend eng steht der Arto nun natürlich auch im Grenzbereich, was den Nachbarn sichtlich missfällt. „Liberté, égalité, fraternité“ fällt mir so kurz ein, bringe es aber verbal nicht zum Ausdruck. Die überwinternde dauercampende Gilde mit ihrer besonderen Gesetzgebung ist schon eine Spezies für sich. „Jeder Jeck is anders“, und die Spaghetti mit der mit ein paar Zucchini verlängerten Bolognese schmeckt am Abend köstlich, ist bekömmlich und lässt wunderbar in den Schlaf sinken.
Mittwoch 07.03.2018
Die erstmals im Womo spürbare Schwüle heute morgen lässt darauf schließen, dass es das Wetter im Moment nicht so gut mit uns meint. Der Himmel ist grau, es regnet noch nicht, Betonung auf „noch“. Das ändert sich aber bald, es sprüht, nieselt, strichweise bis vereinzelt. Ich beiße mich an meinen Reiseberichten fest, was aber für mich eine sehr schöne Beschäftigung ist. So wird schon mal der Vormittag verbummelt. Außerdem musste erstmal ein Schock in der Morgenstunde verdaut werden: Batterieladezustand auf unbegreifliche 51 Prozent gefallen! Sowas bringt Wim ziemlich aus der Fassung. Letztlich war Ursache nur der Umstand, dass wir am Vorabend bei Ankunft den Kühlschrank nicht auf Gas umgestellt hatten. Ich möchte mal gerne erleben, dass wir alles, aber auch wirklich alles so erledigen, wie es für den jeweiligen Betriebszustand des Womos nötig ist. Gut, Fahrtantritt klappt mittlerweile, Türensicherungen sind drin, was uns allerdings auch die automatische Anzeige im Arto erleichtert; sind die Schubladen nämlich nicht mit der Zentralverriegelung verrammelt, piept es beim Motoranlassen fürchterlich, Starten nicht möglich, und die Türen der Kühl-/Gefrierkombination werden, falls vergessen, ohnehin automatisch verschlossen. Aber es gibt genügend anderes, weswegen nach 200 m Fahrt gestoppt werden muss, vergessenes Handtuch zur Verhinderung von Blechgeklappere im Backofen, noch an Garderobe hängende Hundeleinen, nicht auf Autobatterie umgestellter Kühlschrank, so mal beispielsweise. Und bei Ankunft passiert es uns auch immer wieder, dass nicht direkt auf Gas umgestellt wird. Ach ja, die kleinen Unzulänglichkeiten. Wir gehen nun in das sechste Womo-Jahr, es wird besser, langsam wird es, es besteht Hoffnung, berechtigt. Neben uns rollt ein Kleintransporter an, tatsächlich eine mobile Bank, nicht zu glauben. Wim wollte gerade mit dem Hund zum Pieseln los, wechselt nun doch zuerst noch einige Euro in Dirham. Heute wollen wir nämlich ein paar Reisepräsentchen besorgen, mit dem Polsterer müssen wir noch die restlichen Arbeiten abrechnen, ach, Geld wird ja immer gebraucht, findet schon Abnehmer.
Wir faulenzen herum, ich erledige endlich und mal soeben den Abwasch, bevor wir uns nachmittags auf die Räder schwingen. Tiznit ist, so finden wir, mit einer der schönsten Orte in Marokko. Diese normale Geschäftigkeit und wirklich sagenhafte Fröhlichkeit der Menschen hier ist zum Verlieben. Und sowohl Wim als auch ich können sagen, dass wir in Tiznit verliebt sind. Über die Hauptgeschäftsstraße in der Medina radeln wir zunächst zum Stadttor hinaus, damit die Hunde auf den freien Flächen der ehemaligen Oasenstadt zwischen den Ruinen der Lehmmauern mal sausen können. Danach geht es wieder ins Vorabendgewühl zum Tajine-Händler. Wir suchen schöne Sachen aus, 4 richtig große runde Servierschalen, 2 kleinere, 2 Mini-Tajinen, 2 Tajinen für 6 Personen mit passendem Kohletopf, Kostenpunkt: 410 Dirham, Angebot: 350 Dirham, geeinigt auf 360 Dirham. Ich handele gerne, tue es hier aber oft nur sehr gemäßigt, die Preise sind ohnehin mehr als bezahlbar. Nun müssen wir den Abtransport regeln. Da der Platz in den Anhängern nicht ausreicht, kutschiert Wim Bazou schon mal zum Womo, kommt mit leerer Karre zurück, und es wird alles gut verpackt eingeladen. Währenddessen wird Wim von einem perfekt Englisch sprechenden älteren Mann angesprochen, er habe einen Freund im Schwarzwald, der schicke ihm oft weißen Honig. Wir erzählen lange mit ihm, schlussendlich landen wir in einem Schmuckladen. Es war aber auch egal, obwohl wir keinem mehr folgen wollten. Wunderschönen Berber-Silberschmuck zeigt er uns, mit Edelsteinen besetzt, mit feinsten Ziselierungen, zum Teil ganz filigrane Arbeiten, dennoch sehr stabil. Alles wird nach Gewicht bezahlt, den Berbern dient der Schmuck meist als Wertanlage. Da ich nur Gelbgold ohne allergischen Anfall tragen kann, müssen wir uns nach Tee und Vorführung ohne einen Kauf verabschieden, was aber sehr entspannt und ungebrochen freundlich über die Bühne geht.
Draußen hat derweil das abendliche Gewimmel begonnen, es ist immer wieder faszinierend, was so alles auf den Beinen ist und wie reibungslos und ohne jede Aggressivität alle aneinander vorbei kommen. Nie hören wir ein Geschimpfe, nie sehen wir etwas, was in Richtung „Stinkefinger“ gehen könnte, nie ein Gerempele oder gar einen Zusammenstoß. Nichts! Alles läuft friedlich-emsig seinen Weg. Und wir mittendrin, ein wunderbares Gefühl. Wim sagt, spricht mir aus der Seele, dass man das mal mit einer Helmkamera filmen müsste, das glaubt einem keiner, was da so auf dem Rad auf den paar Metern Geschäftsstraße gebacken ist. Apropos gebacken, natürlich kaufen wir 4 fette Kringel. Der Bäcker winkt, kennt uns noch von vor 2 Wochen, und packt Wim noch eine Handvoll Minikringel kostenlos für mich dazu. Ein vor mir anfahrender Moped-Offener-Kasten versucht, sich ein wenig die Fahrspur frei zu hupen, ein jämmerliches Quäken. Ich äffe das nach, woraufhin eine ältere verschleierte Frau mich antippt, mit totalem Lachanfall mit beiden Händen abwinkt und sich auf die Beine schlägt. Ich schiebe mein Rad einen cm weiter nach vorn und quäke wieder, erneut beömmelt sich die Frau, weitere drumherum ebenfalls. Und das alles mitten im Getümmel zwischen Bergen von Dicken Bohnen, Tomatenwällen und Möhrentürmen und und und.
Unterwegs kaufen wir noch Brot, denn die 2 Schnitzel, die vor sich hin tauen, sollen in selbiges nach Döner-Art wandern, was auch sehr gut gelingt.
Donnerstag 08.03.2018
Seltsam und irgendwie schlimm ist, dass das Wetter immer mal wieder Thema wird. Nicht mal hier im südlichen Marokko, in Afrika, darf man mit Beständigkeit rechnen. Wir hatten bisher alles, Nebel, Schnee, Sintflut, Niesel, Frost. Heute morgen ist auch alles wieder stark bewölkt. Die Wetterberichte, für deren Sichtung wir unser kostspieliges Datenvolumen opfern, sind sowas von schlecht und stimmen nie. Kein Verlass mehr! Wir verschieben also unsere Radtour zum Donnerstag-Souk etwas außerhalb vom Stadtkern. Abwarten ist angesagt. Gegen Mittag wird es heller am Himmel, und wir starten. Zunächst schauen wir beim Polsterer vorbei, ob endlich alles fertig ist. Siehe da, er hat gerade begonnen, schwört aber, abends fertig zu sein. Wir ziehen eine Jacke über, es ist ziemlich frisch geworden, schwül, aber kühl. An der Straße Richtung Tafraoute soll der Souk sein. Nach einmal Fragen finden wir die riesigen Markthallen. Draußen ist Trödelmarkt, alles Mögliche an gebrauchten Dingen wird angeboten, Holzfenster, Plastikplanen, Hühner und Küken, Räder, Werkzeuge, Pötte und Pöttchen, in einem auf den ersten Blick wirren Unordnung, was aber nicht stimmt, denn die Ordnung erkennt man auf den zweiten Blick. Leider ist alles ziemlich vermatscht durch das Regenwetter. Sicher sind auch viele Händler nicht da.
Am Ende in der Strohecke, die man auf jedem größeren Souk findet, stehen die mit Strohballen völlig zugeladenen LKW, von denen direkt abverkauft wird. Auf allen möglichen Transportmitteln werden die Ballen von den Käufern portionsweise weggebracht. Ein Mann bietet ein wirklich großes Baumschulsortiment an, sogar Balkonpflanzen und Ziersträucher.
Reger Taxi-Verkehr herrscht, auf Karren werden Obst und Gemüse in die riesigen Markthallen gebracht. Unter den Gewölbedächern ist richtig was los, ein begehbares Füllhorn, unglaubliche Szenen, Farbüberflutung in jeder Ecke. Jetzt ist das Fotografieren ja so eine Sache. Man kann in Marokko nicht einfach so rundum knipsen. Es sind immer Menschen dabei, die das z. B. aus Glaubensgründen überhaupt nicht wollen und zulassen dürfen. Und das gilt es zu respektieren. Bei meinem Gang durch die Hallen, Wim bleibt draußen bei den Rädern, versuche ich, in irgendeiner Form Kontakt aufzunehmen, eine abnickende Zustimmung zu erhaschen nach meinem Zeigen der Kamera. Und es geht ganz gut. Ich freue mich, dass ich einiges fotografisch bannen kann. Bei so vielen Menschen auf doch recht engem Raum kann jemand zustimmen, und andere sind plötzlich mit im Bild und wollen es nicht. Viele Männer, jung und alt, sind an den Verkaufstischen, keine einzige Frau als Verkäuferin an einem Stand. Männer hocken auf den Tischen mitten in ihrer sehr schön aufgepackten Ware und wiegen ab, kassieren, verhandeln. Andere hocken in Grüppchen oben auf und essen zu Mittag, alle aus einer Tajine, alle sehen froh aus. Und natürlich darf ich auf meine Frage hin eine solche Gruppe knipsen, zwei stehen allerdings auf, wollen nicht mit auf das Foto, ein Mann hält mir sogar die Tajineschale hin, und was ist, ich bin wie immer sowas von froh und nervös zugleich, dass das Foto natürlich nicht gelingt und unscharf ist. Unglaublich ist das, ich mache 10000 Fotos, nie ist etwas unscharf, aber jetzt. Und ich will dann auch nicht 10 Fotos machen, das Zugeständnis nicht überstrapazieren. Da muss ich dran arbeiten, unbedingt. Jetzt schaffe ich es schon, Marokkaner positiv zu stimmen, dafür einzunehmen, und dann sowas. Schande!
Die zwei jungen Burschen vom Hühnerstand haben viel Spaß beim Fotografieren, albern rum, einer dürfe aber nicht mit auf das Bild, er sei Palästinenser und habe eine Bombe. Sie fragen mich, wie häufig, nach Facebook, und kritzeln ihre Facebook-Namen auf ein Stück Karton, Foto werde ich ihnen schicken, sie strahlen.
Mit einem Stück Orange, das mir ein Mann geschenkt hat, verlasse ich die Halle, schon sehr komisch etwas, so als einzige Europäerin in solch einer Männerhöhle. Alle waren anständig, kein Problem, aber man ist so etwas unverhüllt, im wahrsten Sinne des Wortes. Na ja, heute ist Weltfrauentag, da sollten wir Frauen uns schon was trauen.
Angehalten wird noch beim Metzger und beim Kringelbäcker, und das Grüßen und Winken meines Gemüsemanns in dieser Ecke erwidere ich gerne. Wir können am Womo die Kringel in der Sonne verzehren. Eine Französin aus der Nachbarschaft kommt zu uns mit etwas an die Schulter gehaltenem Kleinen in der Hand, einer Schildkröte, und plappert drauf los. Ich denke, sie versucht uns zu sagen, dass sie diese kleine Schildkröte genau so liebt wie wir unsere Hunde, und dabei streichelt und küsst sie das gepanzerte Tierchen mehrmals, also eher dauernd. Aber sie gibt es mir tatsächlich in die Hand, woraufhin Bazou und Chianga natürlich mal total entspannt schnuppern müssen, was Mama denn da so herzig findet, was der Französin allerdings beim Anblick „Nase Bazou an Nase Schildkrötchen“ das Blut in den Adern gefrieren lässt. Da sie nicht mehr die Jüngste ist, also die Französin, gebe ich ihr das Haustierchen wieder zurück und sie verabschiedet sich schnell. Der Polsterer erscheint mit dem überarbeiteten Polster, jetzt sieht es schöner aus. Wim verstaut Räder und Anhänger, morgen ziehen wir weiter. Zwei leckere Rinderkoteletts zum Abendessen mit Kartoffeln und Zucchini, und schon ist der Tag vorbei.