Donnerstag 13.02.2020
Abschied, ja, so ein wenig müssen wir uns schon losreißen. Der Himmel hilft, es ist bewölkt, also ein guter Reisetag. Die Nachbarin kommt zum Brunnen, ihr Zahn bollert immer noch, unsere Verabschiedung ist sehr herzlich. Leider ist ihre Tochter schon zur Schule, sie wäre traurig, dass wir weg seien, sie dachte sich wohl, dass wir heute fahren würden. Mubarak wuselt schon lange draußen herum, gießt die Pflanzen, kehrt den festgefahrenen staubigen Weg, der ohnehin keinen Belag hat, kehrt sogar vor unserem Womo. Ich richte innen alles für den Aufbruch, da klopft es an der Tür. Mubarak, zwei Eier wandern wortlos in meine Hand. Einen Teller muss ich Mubarak noch zurück bringen. Wir werden ihm 200 DH für die 3 Nächte geben. Er hat es wirklich verdient. Außerdem nehme ich seinen 4 Kindern jeweils einen Schreibblock und Stifte mit und für den kleinen Welpen, der schon auf uns wartet, einen eingeweichten Rest vom Hundefutter. Mubarak sieht mich schon kommen, dreht eine Runde durch den Stall und drückt mir zwei weitere Eier in die Hand. Wim hatte ihm erzählt, dass wir heute fahren. Deswegen sucht er alles zusammen, was er uns noch mitgeben könnte. Schließlich nimmt er eine kleine Plastikflasche, füllt sie mit seinem Öl und gibt sie mir. Und wieder stehe ich betreten in der Gegend herum. Er will das Geld nicht nehmen. Ich nötige ihn dazu. Es ist nur eine kleine Anerkennung dessen, was er uns hier geboten hat, woran wir teilhaben durften. 3 seiner Kinder sitzen an einem kleinen Plastiktisch im Hof, sie frühstücken, auf dem Feuer in dem fast zerfallenen Eisenkasten qualmt ein Baguette vor sich hin, daneben das Teekesselchen. Mubarak serviert den Kindern das warme Brot mit reichlich Röstaromen, das sie stückchenweise in ein Tellerchen mit Öl eintunken. Dazu gibt‘s heißen Minztee. Er geht wirklich sehr liebevoll mit der Bande um, Tarek, Brahim und Fatima. Der Älteste ist nicht zuhause. Ich gebe den Dreien die Hefte, was sie total zum Jubeln bringt, richtig ungläubig streichen sie mit ihren Händchen über die bunten Einbanddeckel, Fatimas Augen glänzen und glitzern wie das beglitterte Hundebaby-Bild auf dem kleinen Block. Welch eine Freude. Sie rennen in den schäbigen Raum, setzen sich auf einen dünnen Teppich, löchrig wie ein alter Lappen, strahlen im Wechsel mich und die Hefte und Stifte an. Sie kritzeln etwas herum, die beiden Buben sind sich noch nicht einig, wer den blauen und wer den grünen Stift bekommt. Der kleine Tarek plappert, und die beiden anderen biegen sich vor Lachen. Zu süß, Kinder eben, unverstellt und eindeutig. Auch diese Bilder werden wir nie vergessen. Jetzt aber nix wie weg, sonst müssen wir noch bleiben. Winken, irgendwann wiederkommen nicht ausgeschlossen. Nebenan bei Soldaten’s am Kreisverkehr flattert schon die Wäsche, die bunten Fischerboote schlafen noch in ihrem Sandbett. Im Ort wird gewienert, fröhliche Kinder gehen in großen Gruppen zur Schule.
Die N16 am Meer entlang über 140 km Richtung Al Hoceima nehmen wir. Durch eine felsige Welt schiebt sich die Straße mal mehr, mal weniger nah am Mittelmeer, mal auf Strandhöhe, mal hoch oben in Adlerhorsthöhe. Die Ortschaften liegen weit hinein in enge Schluchten gedrückt in kleinen Buchten. Gigantisch schöne Ausblicke genießen wir immer wieder auf der wenig befahrenen Straße. Und tatsächlich begegnen uns unterwegs 2 andere Womos, sogar aus D.
Höhe Al Hoceima überlegen wir kurz, ob wir uns hier ein Nachtquartier suchen oder weiterfahren. Die Fahrt bisher war zwar schon anstrengend, aber es ist noch früh, außerdem reizen uns Stadtstrände wenig, auch aus Sorge um unsere Hunde. Man hört immer wieder von ausgelegten Giftködern in touristischen Gegenden. In Al Hoceima ist die Gendarmerie allgegenwärtig, an fast jedem Kreisverkehr sind Hindernisse und Kontrollposten aufgebaut. Wir werden immer galant, mit strammer Haltung und freundlichem Lächeln durchgewunken.
Über die N2, später die R505, setzen wir daher die Fahrt fort Richtung Taza. An einer großen Tankstelle in exponierter Lage mit Meerblick höre ich Wim während des Tankens plötzlich Holländisch sprechen und schaue in das freudig lachende Gesicht eines Nederlands pratenden Marokkaners im Mercedes. Aalsmeer, da lebe er, sei aber hier im Urlaub. Das sind immer so spaßige Begegnungen. Wir rollen weiter, auf gut ausgebauter Strecke geht’s landeinwärts dahin. Ziemlich neu sehen Straßenbelag und Straßenführung aus. Trügerisch. Hinweisschilder, arabisch in Rot beschriftet, ach ja. Das Wetter ist herrlich, die Landschaft grandios, wir unterwegs. Und „wir unterwegs“ werden umgeleitet. Scheint, als sei ein Teilstück noch nicht fertig. Gut, Serpentinen gibt es, Steilstücke, Verkehr hält sich in Grenzen. Also voraus, drehen wäre ohnehin keine Option. Und dann geht es auf schmalstem Band mit Schlaglöchern, tief wie ein Putzeimer, steilst und kurvigst nach oben. Unfassbar. Kaum Fotos entstehen, der Angstschweiß durchnässt meine Hände derart, dass ich die Kamera ohnehin nicht hätte halten können. Ich fühle mich, als säße ich drei Reihen hinter mir selber. Wim schweigt. Aber ich höre genau, was er sagt. Ein Segen ist, dass wir beide entschieden hatten, in Al Hoceima noch nicht Schluss zu machen für heute. Jegliche Schuldzuweisung entfällt dem entsprechend, ansonsten wäre das ja jetzt wie gemacht dafür, mal so richtig Dampf abzulassen und auf die Kacke zu hauen. Aber nein, wir reißen uns zusammen, es gibt Zustände, die man nur schweigend durchstehen kann - und muss. Auch solche unausgesprochenen, innerlichen, hoffenden Fragen wie „ja nimmt das denn hier kein Ende?“ werden sofort beantwortet durch den Blick auf die weit oben sichtbar werdende Linie der Leitplanken. Ja, Leitplanken gibt es. Aber jeder weiß, wie lächerlich sich solche Dinger vor solchen Abgründen ausmachen. Puuuh, und 12 km können sich irrsinnig ziehen. Aber am Rande mal bemerkt, die grünen Rif-Berge sind eine Augen-Weide, für Rindviecher aller Art und solche mit Womo. Google Earth wie es leibt und lebt. Diese steinerne, gefaltete Welt mit solch einer Draufsicht und Weitsicht zu erfahren, ist einfach unbeschreiblich schön. Solche Eindrücke halten sich in der Erinnerung, der Angstschweiß ist getrocknet, noch ehe er sich zum Erinnerungsschatz gesellen kann.
Aber nun: wohin mit uns, wo sollen wir nächtigen? Es ist Abend, geht auf 6 Uhr zu, höchste Zeit, vor Einbruch der Dunkelheit etwas zu finden. Solche Sachen passieren eben, mal aus Blauäugigkeit, mal einfach so, menschliches Versagen. Aber diese Gegend hier ist nicht gerade das Mekka an Übernachtungsmöglichkeiten. Extrem tiefe Wasserrinnen an den Straßenrändern, unüberwindbar, winzige Örtchen ohne jeden Dorfplatz, verstreut an Hängen liegende Siedlungen und einzelne Höfe, unerreichbar, breite trockene Flussbetten, unmöglich. Im nächsten Dörfchen fragen wir einen Mann, der hinter einem Zaun an einer Militärstation steht. Er antwortet uns nach Blick auf unser Nummernschild in bruchstückhaftem Deutsch mit stark holländischem Akzent. Na sowas aber auch. Das war mal wieder eine Freude. Ich fühle mich echt ausgegrenzt, Wim sprachlicherseits mal obenauf. Er legt auch Wert darauf, hier niederzuschreiben, dass man in Marokko nicht unbedingt Französisch sprechen muss, Holländisch reicht. Wir lachen. Angeblich soll es im 20 km weiter liegenden Ort Aknoul einen CP geben. So als mit der Campingnation NL in Berührung gekommener Marokkaner wird ja wohl wissen, was ein CP ist. Na, sein Wort in Gottes Ohr, meine Suche ergab nichts, niemals hörte oder las ich davon. Lassen wir uns überraschen. Angekommen, finden wir nur nichts. Ein übliches staubiges Straßennest, am Ortsende der Souk-Platz, daneben ein Fußballplatz, alles etwas schmuddelig, Ton in Ton, am öden Flussbett. Egal, drauf, One-night-Stand problemlos möglich. Kleiner Hundegang, Büchse Bier öffnen, Pfanne auf den Herd. Wir stehen noch keine 15 Minuten, die waren es nicht, und wir bekommen Besuch: 2 PKW, 3 Gendarmen. Äußerst freundlich werden wir gebeten, ihnen doch zu folgen zu einem anderen Platz aus Gründen der Sicherheit. Dort könne man besser auf uns achten. Also, Büchsen vom Tisch, Pfanne vom Herd, Stufe rein, abfahren. Wir werden eskortiert an das andere Ortsende, stehen nun neben einem LKW. Während ich das jetzt schreibe, ist es mittlerweile halb 12 nachts, hinter uns in unbeleuchtetem PKW 2 Polizisten. So werden wir das jetzt immer machen, wenn wir keinen Übernachtungsplatz finden, einfach irgendwo im Ort parken, man wird schon abgeholt, falls es dort nicht passen sollte. Gute Nacht!
Freitag, 14.02.2020
Obergau beim Aufwecken: kein Strom mehr! War noch so ein wenig die Hoffnung, in den Valentinstag hier auf 900 m bei 4 Grad kuschelnd unter der warmen Bettdecke zu starten, so zerschellt diese Hoffnung rüde, sehr rüde. Ich hatte gestern Abend vergessen, nach unserem Ortswechsel, vor dem „Pfanne raus“ und „Büchsen raus“, auf „Gas“ umzustellen. Gut, wir haben einen Moppel an Bord, ein Aggregat, für alle Notfälle. Aber ehe Wim den rauskramt aus den Tiefen der Heckgarage, macht er einen Startversuch, und der Niesmann springt an. Na, wer sagt‘s denn. Hier stört niemanden ein blubbernder Motor. Auch die herrliche Aussicht auf den neben uns stehenden LKW kann nichts trüben. Schulbusse haben sich inzwischen dazu gesellt. Wim besorgt Brot, Frühstück schmeckt, Batterien laden. Schwein gehabt. Aber ich muss mir ein für alle Male merken, was umzustellen und zuzumachen ist. Meine Güte, das kann doch nicht so schwer sein. Es ist zwar besser geworden, viel besser, meistens tadellos, aber man sieht, es kann immer wieder passieren, solch eine Dusseligkeit. Dabei hat man doch so eine gute Meinung von sich.
Egal, neues Thema: Routenplanung. Es geht Richtung Taza, läuft herrlich entspannt weiter über die gut ausgebaute R505. Im äußeren Bereich umrunden wir Taza, eine geschäftige Stadt, recht groß, ordentlich alles, viele Menschen und Autos unterwegs, eben voller Leben. Hier in der flach gelegenen Neustadt könnte man auch toll radeln, in der Medina am Hang, von prächtiger Stadtmauer umschlossen, ginge das schlechter. Aber für Wohnmobile gibt es hier nichts, es sei denn, man wendet den „Aknoul“-Trick von gestern an. Muß aber heute nicht sein.
Unser Ziel soll der Parkplatz an einem Lokal an den Wasserfällen in Ras el Ma sein. Ein schmales fransiges Sträßchen führt uns über die Dächer von Taza, wir kurven bergauf durch herrlich grüne Landschaft mit ungewöhnlich vielen Pinien, vorbei an kleinen Gehöften mit emsigen Menschen. Diese Bilder sind immer wieder auf‘s neue tief beeindruckend, wie und wo die Familien hier leben. Das Lokal finden wir hinter einer der vielen Kurven, Zufahrt für PKW verboten, für Womos, wenn sie denn überhaupt erlaubt wären, nicht ratsam, es sei denn, sie sind unter 5 m. Schade, das wird nun nichts. Wir kurbeln uns weiter durch über dem Flusseinschnitt am Hang entlang, finden eine Wendemöglichkeit und drehen um. Der Reiz, in das hoch oben gelegene Schwalbennestdorf vorzudringen, hält sich nach gestern gerade noch so in Grenzen. Manchmal gäbe ich viel für einen Kleinwagen, wenn nur die Ansprüche an den Wohnkomfort nicht wären.
Zurück in Taza setzen wir die Fahrt fort Richtung Fes auf der N6, die parallel zur A2 verläuft mit kleiner Rast in einem lauschigen Olivenhain. Natürlich, wie in Marokko üblich, unter Beobachtung: Esel und Kuh.
Unterwegs halten wir Ausschau nach einem der zahlreichen kleinen unauffälligen Lädchen, die auch Brot verkaufen. Es ist wie so oft, suchst du eins, findet sich nichts, suchst du keins, sprießen sie aus dem Boden wie gesät. Endlich. Der junge Mann im Laden hat vieles im Angebot, Waschmittel, Mineralwasser, Öl, Zigaretten (Camel, Packung 33 DH), aber kein Brot, denkt kurz nach und bittet mich, einen kurzen Moment zu warten, ruft nach seiner Mama, verschwindet in einem düsteren Nebenraum und kommt zurück mit einem halben Brot in einem Tütchen, drückt es mir strahlend in die Hand, nichts will er dafür, nichts. Die Mama kommt dazu, lehnt Bezahlung von mir energisch ab, ihre scheu guckende Kinderschar, 7 an der Zahl, um sich versammelt. Ich gehe zum Womo zurück, Wim reicht mir eine Prinzen-Rolle, mit der schlurfe ich zurück zur Mama und übergebe sie ihr. Sie freut sich, bedankt sich vielmals. Mein Gewissen pendelt sich nach argem Hin und Her wieder ein, ich kann doch nicht einfach so von dieser armen Frau ihr letztes Brot annehmen. Und da ich sprachlich keine Mittel habe, das ein wenig mit ihr zurecht zu rücken, danke ich der in unserem Womo rumfliegenden Prinzen-Rolle sehr für ihr Dabeisein und freue mich ungemein, damit offenbar eine Freude machen zu können. Egoismus ist doch irgendwie immer mit im Spiel.
Da wir mit dem halben Brot aber nicht weit kommen, geht die Suche weiter. Hier scheint ein Storchenparadies zu sein. Viele belegte Nester sind zu sehen, einen Storch kann ich sogar im Flug erwischen. Ein nächstes Lädchen wird angesteuert. Ja, Brot gibt es, ob man denn nicht etwas anderes essen wolle, gute Suppe gäbe es, und Pommes. Alles besprechen wir mit Händen und Füßen, Augen und Gesten, da keine geläufige Sprache passt. Bibi, so heißt der Chef, überredet mich, nun gut, es riecht auch verführerisch. Er lässt mich von allen Bestandteilen des im großen Topf Köchelnden probieren, ja, ok, aber ich muss es mitnehmen können. Kein Problem, er teilt ein Fladenbrot, schneidet es auf, und siehe da, ich wohne der Fertigung des „Hühnersuppen-Döner Maroc“ bei. In der Fladenbrottasche verschwinden gekochtes Huhn, Staudenselleriestangen, dicke Möhrenstreifen, Patate gehören wohl noch rein, auf die ich aber verzichte. Alles wird gewickelt in Papier, drum herum noch ein aus der Nachbarschaft besorgtes Tütchen. Mittlerweile stehe ich mit 5 Männern in diesem Miniladen, muss allen auf einer aufgemalten Marokko-Karte zeigen, was wir bisher alles besucht haben. Ein weiterer Mann bringt einen Beutel schwarze Oliven. Bibi wiegt sie, legt sie zu meinen 3 Broten, 2 Döner, und 4 süßen Kringeln. Die Oliven, so der dazu gekommene Mann, sollen 230 DH kosten. Ne, ne, Freunde der Nacht, so geht das nicht. Ich schnapp den Olivenbeutel und lege ihn ans andere Ende der Theke. Der Mann teilt den Inhalt, macht einen neuen Preis, den ich aber ebenfalls nicht akzeptiere. Letztlich zahle ich 75 DH für alles incl. halber Olivenladung. Es ist viel, aber in Ordnung für mich. Beim Rausgehen drückt Bibi mir den zweiten Olivenbeutel in die Hand, gratis. Er kann das wohl nicht verantworten, legt mit einem „Inshallah“ die Hand auf‘s Herz.
Mein leicht angesäuert wartender Wim, der vom Womo-Fenster aus meine „wechselnden Männerbekanntschaften“ im Laden gegenüber beobachten konnte, nimmt die Fressalien in Empfang, seine Mine erheitert sich angesichts der in Kürze anstehenden Nahrungsaufnahme. Dafür müssen wir aber noch ein geeignetes Plätzchen suchen. Und dieses ist greifbar nah und auch wieder nicht. Denn leider können wir nicht ans Ufer des sich zu unserer Rechten ausbreitenden Barrage Idriss 1er gelangen. Die wenigen Parkbuchten sind total vermüllt, unmöglich für die Hunde, auch nur eine Pfote aus dem Womo zu setzen. Gedanken zum Thema Müll, der sich auf unserer bisherigen Reise wirklich sehr in Grenzen hält, werden schnell überlagert von der wunderschönen Landschaft. Wie ein Edelstein liegt dieser weit verzweigte Stausee unterhalb. Die Draufsicht ist gigantisch schön, ein faszinierendes Farbenspiel. Die Straße, an der viele Händler Flaschenkürbisse anbieten, führt lange daran vorbei, sehr genussreich lange.
In Bir Tam-Tam biegen wir links ab auf die P5043, wenig später nach rechts auf die P5031. Wir hoffen, am bald auftauchenden Barrage Allal El Fassi irgendeine Übernachtungsmöglichkeit zu finden. Auf der Strecke werden plötzlich am linksseitigen Horizont riesige hohe schneebedeckte Bergrücken sichtbar. Immer wieder ist auch das für uns ein Schauspiel der besonderen Art auf unseren Touren durch Marokko. Etliche Hügel- und Bergkuppen liegen wie in Wellen davor, grün und satt, wodurch der weiße Schnee in seiner ganzen Pracht unter der Sonne und dem Himmelsblau erst so richtig strahlen kann. Was wären die Großen ohne die Kleinen? Wir haben wieder einmal Gedankenanstöße, die sich in hektischen Zeiten zuhause erst gar nicht einstellen können. Ein großer Schotterplatz mit Seeblick wäre geeignet. Weiter unten am Ufer stehen PKW, eine Zufahrt mit unserem Vehikel ist aber ausgeschlossen. Wir fahren also zurück und platzieren uns auf dem Schotterplatz, richten uns ein, und jetzt ist er dran, dieser Hühnersuppen-Döner, endlich. Und er ist köstlich, smakelijk, wie der Holländer sagt. Und wider Erwarten schmeckt auch das Gläschen Wein hervorragend dazu. Der Abgang des Weins und der Abhang zum See sind prächtig. Und die Sonne heiß, schwitzen angesagt.
Was soll ich sagen, es dauert nicht sehr lange, und zwei junge Männer erscheinen auf der Bildfläche. Wie sich rausstellt, ist einer Mitarbeiter der Stausee-Gesellschaft, der andere perfekt Englisch sprechende junge Mann lebt hier mit seiner Familie und betreibt eine „Farm“. Er bittet uns, ihm dorthin zu folgen, aus Sicherheitsgründen mal wieder. Er ist sehr sympathisch, sein Angebot verlockend. Auf der ersten Reise nach Marokko hätten wir ein solches Angebot nie angenommen, wir Deutschen fahren nun mal nicht einfach zu Fremden auf einen Hof, um es sich dort gemütlich zu machen. Aber jetzt „so mit unserer großen Erfahrung“ wollen wir das mal endlich angehen, und wir stimmen zu. Yaya (gesprochen: Jachjach) schwingt sich auf den Beifahrersitz, ein Stück geht‘s auf der Straße zurück, dann biegen wir rechts in eine schmale Einfahrt zu verstreut liegenden Häusern ein. Keine Menschenseele ist zu sehen, ein paar Hunde kläffen irgendwo. Wir landen unterhalb der Straße zwischen Olivenbäumen auf einer großen betonierten Fläche im Anschluss an einen Fussballplatz. Na toll, für die Hunde weniger passend, sie haben so ihre Probleme mit den kleinen marokkanischen Burschen, die sich häufig vielzählig, gröhlend und quietschend recht respektlos um sie scharen wollen. Aber mal abwarten, was sich so tut. Yayas Familie lebt etwas tiefer, es sei eine Ehre für sie, uns hier begrüßen zu dürfen. Wir könnten bleiben, solange wir möchten. Sie stünden uns alle mit Gesellschaft, Essen, Tee, Rat und Tat jederzeit liebend gern zur Verfügung, und das bei Problemen auch in ganz Marokko. Was ist man? Ja, man ist platt! Man ist unbeholfen, peinlich berührt, beschämt, ist auch neugierig, will aber eigentlich auch wieder weg aus dieser Situation, weiß aber, dass man es sehr bereuen würde. Also: bleiben! Und welch eine Erfahrung schließt sich an! Sie könnte Seiten eines Buches füllen! Zwischen dem Geäst der Oliven blinzelt vor dem Türkis des Sees ein Esel hervor, Schafsherden ziehen blöckend um uns herum, Hühner und Hähne gackern, Hunde bellen, Sound of Silence.
Und dann ist es soweit, man bittet uns zum Tee. Den „Wir-haben-kein-Gastgeschenk“-Gedanken verdrängen wir auf dem kurzen Trampelpfädchen, das zu dem etwas unterhalb gelegenen Haus der Familie führt. Ein Rohbau mit mehrstufiger, breiter Eingangstreppe liegt davor. Dies werde einmal sein Haus, berichtet uns Yaya stolz. Er sei seit 2 Monaten wieder zuhause nach 2 Jahren Arbeit am Flughafen Istanbul. Er wolle nicht mehr weg aus seiner Heimat hier, sein Vater würde älter, könne die Arbeit auf der Farm nicht mehr allein bewältigen, er würde es übernehmen, er sei 26 Jahre alt und stark. Er erzählt es uns voller Begeisterung, er zeigt soviel Liebe dabei und Überzeugung, wir haben wirklich alle Achtung davor. Dann werden wir in den Salon der Familie geführt, ein langer schmaler Raum, rundum an den Wänden mit Sofas mit dicken bunten Polstern und großen Kissen ausstaffiert. In der Mitte stehen zwei große runde Holztische mit bunten Tischdecken. Ansonsten gibt es keinerlei Dekoration. Der Betonboden ist blitzblank, kein Stäubchen zu sehen, und ein paar Läufer liegen darauf. Durch ein sehr hoch liegendes schmales Fenster fällt nur wenig Licht, kühl ist es. Wir lassen uns in die Polster fallen. Da sitzen wir nun im Fremdartigen und grinsen verlegen, aber voller Spannung auf das, was kommen mag. Der Tee wird serviert. Yaya schleppt ein großes Silbertablett heran. Die bunten goldverzierten Gläschen, die sich um ein Silberkesselchen mit Tierkopfausgießer scharen, zaubern sofort eine heimelige Stimmung. Andächtig beobachten wir zwei, wie Datteln, Nüsse, Öl und ein flacher Griesfladen dazu aufgetischt werden. Dieser wird in Stückchen gebrochen, eingetunkt ins Olivenöl und verzehrt. Sehr köstlich zum zuckersüßen Tee. Datteln und Nüsse werden nebenbei geknabbert, die Kerne legt man auf den Tisch. Nach und nach kommen die Familienmitglieder hinzu, die Oma, der Vater, ein jüngerer Bruder, die kleine Schwester und letztlich die Mama. Es wird ausgiebig umarmt, gedrückt, geküsst. Die Herzen sind offen, die Gemüter wohlgesonnen, keinerlei Vorbehalte, alles in allem ein wunderschönes herzliches Zusammenkommen. Lange erzählen wir, Yaya übersetzt, der Vater scheint einiges zu verstehen, Oma, Mama, alle reden auch in ihrer Sprache, Arabisch, mit uns, gleichgültig, wer was versteht. Es funktioniert bestens. Und dabei sind brisante Themen plötzlich auf dem Tisch: der Glaube, die Politik, der Fußball. Und wir staunen nicht schlecht, dass gerade Yayas Vater eine sehr distanzierte Haltung gegenüber der türkischen Regierung hat, es freut uns, zu erfahren, welchen Blick andere Menschen, gerade diese Menschen hier, auf das Geschehen in der Welt haben, und der amerikanische Präsident kam auch nicht gut weg. Wir lachen viel zusammen, auch darüber, dass meine linke Hand immer wieder mal zum Essen griff. Es amüsierte aber mehr, als dass man sich darüber echauffiert hätte. Alles sehr sehr angenehm, auch das Essen, was später aufgetragen wurde. Die Mama verschwindet nämlich irgendwann, es duftete danach so allmählich lecker nach Brot, und vor uns steht ein Teller mit fein geschnippeltem Hühnchenfleisch mit Tomaten und was weiß ich was, dazu frittierte Kartoffeln und eben frisch gebackenes Fladenbrot. Orangen gibt es zum Dessert. Verdauen des Erlebten und Verzehrten findet im Womo statt. Wir sind platt. Ausgepflückt für heute!
Samstag 15.02.2020
Der Tag lockt. Frisch am frühen Morgen, heizt die aufgehende Sonne schnell und kräftig ein. Yaya hatte sich gestern angeboten, einen Spaziergang zum See zu machen. Da er uns von seiner Liebe zu Hunden und besonders seinem Hund, einem hinter Zaun gehaltenen Pitbull-AmStaff-Mix, berichtete, und er gestern schon voller Begeisterung und Respekt Bekanntschaft mit Bazou und Chianga gemacht hatte, sogar den Mut hatte, sie mit Möhrchen zu füttern, war klar, dass er mit einem der beiden losziehen durfte. Er wählt Chianga. Wim nimmt Bazou und die 4 schreiten los. Auf halber Strecke werden die Leinen gelöst. Yaya hat soviel Spaß mit den Hunden. Er ist so mächtig angetan von ihnen und will alles wissen. Am See zeigen sich die beiden von der besten Seite, springen ins Wasser, holen Stöckchen, haben Spaß. Voller Stolz kommen sie zum Womo zurück. Wir trinken ein Tässchen Kaffee, sein Vater zieht mit der Schafsherde vorbei. Stolz berichtet uns Yaya, es handele sich um eine sehr besondere Rasse und drückt mir zwei Lämmchen in den Arm. So etwas Süßes, Schmusiges, Wolligweiches, und das bei dieser Hitze, das Kleine klebt quasi an mir !
Yaya bringt uns später ein paar Köstlichkeiten zum Womo. Wir müssten doch Hunger haben. Er schaut genau zu, wie uns das so schön in den Tajinen angerichtete Essen schmeckt: Böhnchen nach Koriander schmeckend, Tomaten-Zwiebel-Salat, Zitronen mit Oliven und noch warmes Fladenbrot.
Danach gucken wir Fotos von Zuhause und unserer Familie. Yaya ist sehr interessiert und freut sich. Irgendwie kommen wir auch wieder auf das Lieblingsthema Hunde. Ich erzähle ihm von meinem ersten Ridgeback Dayo, der so früh gestorben ist. Dazu gucken wir gerade auf ein Foto in meinem ipad, auf dem sich ein leuchtend bunter breiter Regenbogen über mein Heimatdorf spannt. Ich erzähle ihm, dass man in Deutschland sagt, dass Hunde, die gestorben sind, über die Regenbogenbrücke in den Hundehimmel gehen. Sehr einfühlsam hört Yaya mir staunend zu. Welch eine fast irre Bedeutung, welch eine Vorsehung dieser vermeintliche Zufall haben sollte, konnten wir jetzt in diesem Moment nicht im Geringsten ahnen. Später zum Abendessen, zu dem wir wieder eingeladen waren, erfahren wir, dass Yayas Hund am Nachmittag, als wir am Womo beisammen saßen, auf tragische Weise gestorben ist. Unfassbar alles, unsagbar traurig. Er war erst 2 Jahre alt. Er begleitete Yayas Vater, der die Schafe hütete. Sie weideten in der Nähe der Bienenkästen, die die Familie zur Honiggewinnung hat. Irgendwie kam der Hund den Bienenvölkern zu nahe, die stürzten sich auf ihn, sie stachen ihn vermutlich hunderte Male. Als der Vater nach Hause kehrte, bemerkte er, dass der Hund fehlte. Er ging den Weg zurück und fand den Hund völlig verquollen irgendwo liegen, tot. Er hat ihm sofort ein Grab geschaufelt, ihn begraben. Wie traurig das nun für die Familie ist, braucht man keinem Hundemenschen sagen. Und welche leidvolle Bedeutung die Regenbogenbrücke nun für Yaya erringt, kann man sich auch ausmalen. Wie eine Vorsehung. Wir versuchen, ihn damit zu trösten und mit dem Glauben daran, dass wir uns alle einmal wiedersehen, auch die Hunde. Und da eint uns unser Glaube, denn auch der moslemische Glaube geht sicher davon aus.
Freunde lachen und weinen zusammen. Den Wahrheitsgehalt erleben wir heute Abend. Zusammen, die Herren fein im Jacket, verspeisen wir zum Minztee in Öl gebackene Kringel, nach denen schon die ganze Umgebung duftet. Man hat ja Anstand, aber ich hätte die essen können bis der Nachbar kommt und sagt: „Hör auf!“. So gut, so herrlich. So eine Mühe, was die Mama hier alles vollführt. Ein Teller Gemüse kommt auf den Tisch. Die feine dunkelgrüne Masse gleicht etwas unserem Grünkohl. Undefinierbares Blattgemüse ist zusammen gemischt mit kleingeschnittenen dicken Bohnen mit Oliven und Zitronen. Wir bekommen wie üblich Gabeln, die Familie "gabelt" es mit aufgeklappten Stücken vom frischen Fladenbrot. Erschöpft fängt uns unsere Schlafkoje auf in dieser sternenklaren Nacht.
Sonntag 16.02.2020
Auch hier steht jetzt ein Abschiednehmen an, obwohl wir noch viel länger hätten bleiben dürfen. Wir gehen langsam zum Haus der Familie, saugen die Anblicke nochmal ein. Yaya zeigt uns die tolle Aussicht von der Dachterrasse, von der aus man auf den See und sein großes Farmgelände mit vielen Olivenbäumen schauen kann. Gegenüber erhöht am Seeufer liegt versteckt ein Anwesen, das der königlichen Familie gehört. Er sei glücklich an diesem Ort, wolle nie wieder weg. Wie schon mehrfach betont er, dass wir und unsere Familie jederzeit willkommen seien. Dass auch unsere Freunde gerne gesehen werden, man sie ebenfalls willkommen heißen würde. Ich verspreche ihm, dass ich nur das Beste an unsere Womo-Freunde und Marokko-Reisenden weitergeben werde und hoffe, dass jemand dieses wunderbare Plätzchen aufsuchen wird. Wir sprechen über Bezahlung. Nichts, er wolle nichts. Ja, die Mentalität ist eine andere, Beweg- und Hintergründe liegen anderswo. Wir geben ihm natürlich etwas pro Nacht. Das was man gibt, ist in Ordnung - fordern darf man nichts. Die Verabschiedung findet im Haus statt, im Salon, und plopp, wir liegen schon wieder in den Polstern, ob man will oder nicht. Eine Art Griessuppe wird aufgetischt, es sei eine Frühstückssuppe, sie schmeckt ganz leicht nach Anis, weder süß noch salzig. Zweierlei Brot und Öl wird dazu gereicht, und der Minztee darf nicht fehlen. Ach ja, und heute hat das Knuddeln und Küssen und Drücken unter den Frauen nochmal eine ganz andere Qualität und Quantität. Einfach sagenhaft! Wir fahren ab, nachdenklich, glücklich, bewegt und sehr bereichert.
Blühendes Ackerland schnappt uns auf der Fahrt über die N6 durch ein weites Tal Richtung Fes, das nur 40 km entfernt von Yayas Farm liegt. Allerdings nehmen wir, da wir Fes auf unserer ersten Marokko-Reise besucht haben, die Richtung Sefrou über die P5006 und die R503 und wollen zu einem SP an einem Hotel in Annoceur. Schlangenweise parken Autos am Straßenrand, die Menschen gehn mit Sack und Pack und Kind und Kegel zum Grillen in die Olivenhaine. Vermutlich eine Unternehmung, die an Sonntagen stattfindet. Sogar Ponyreiten findet auf schmalstem Streifen direkt am Fahrbahnrand statt.
Sefrou durchfahren wir leider nur. Hier gibt es keine Möglichkeit, über Nacht zu stehen. Und erneut den „Aknoul“-Trick anwenden, danach ist uns nun wirklich nicht. Sefrou ist sehr schön mit breiten Plätzen und Promenaden, üppig bepflanzt, sehr gepflegt und ordentlich. Ein Bleiben lockt, nicht nur wegen der goldenen überdimensionalen Kirschen. Yaya erzählte uns, seine Familie habe auch ein Haus in Sefrou, dort könnten wir gefahrlos stehen, wenn wir wollten. Nächstes Mal werden wir es gerne annehmen. Jetzt ist eben nur Durchreise angesagt.
Unmerklich steigt die Straße an. Lag Fes noch auf 400 m, so sind wir am Ziel bereits auf 1400 m. Seltsame Vegetation sieht man, gelbblühende Sträucher, nächste Kurve dichter Pinienwald, nächste karge Steppe, vereinzelt Häuser. Auf einer Hochebene breiten sich in sattem Braun gepflügte Ackerflächen und Obstbaumplantagen aus. Langgezogene, mit Planen abgedeckte, schmale Strohhaufen liegen auffällig in der Landschaft. Später lese ich, dass man unter der dicken Strohhaube mit Plane darüber auf den aus Steinen gestapelten Sockeln Zwiebeln trocknet. Da wären wir so im Vorbeifahren nie drauf gekommen.
Durch ein tiefblaues Tor geht‘s zu unserem Nachtlager über eine schmale Allee zu einem geschotterten Bereich vor niedrigen gelb-blauen Häuschen. Rundum Obstbäume. Alles ausgestorben. Bis auf eine Hundemeute, von der sich zwei ganz nah zu uns wagen. Irgendwie sind wir, obwohl es erst 16 Uhr ist, kaputt. Ein paar Nudeln mit Sößchen aus Kühlschrank-Rest-Gemüse muss reichen, tut es auch. Später kommt ein Arbeiter aus den Obstplantagen, er ruft kurz seinen Chef an, der zum Abrechnen kommen will, was aber nicht passiert, so dass uns die 70-DH-Schuldenlast in die Nachtruhe zwingt, während sicher 10 Hunde um unser Womo streifen und kräftig markieren.
Montag 17.02.2020
Eiskalt erwischt uns der Morgen, frostig zieht sich ein weißer Schleier durch die Obstplantagen. Kein Wunder, dass man noch keinerlei Austrieb erkennen kann hier auf 1400 m. Aber die Sonne hat schon Kraft. Wir ent- und versorgen, auch den sehr freundlichen Patron, der angefahren kommt. Wim ist unleidlich. Es plagt ihn etwas. Das mehr oder weniger permanente Klackern der Achse rechtsseitig macht ihm sehr zu schaffen. Er hat schlecht geschlafen. Er scheut sich, damit jetzt den Hohen Atlas und die Wüste anzusteuern, würde das gerne prüfen lassen. Also erstmal Weiterfahrt Richtung Ziz-Tal gestorben. Stattdessen zurück nach Sefrou, Karte für Wifi kaufen, googeln, Werkstatt finden. Jawoll, alles schon mal da gewesen. Was soll‘s. Mein Schwager Rudi kommt mir erneut in den Sinn: „Nützt nix!“. Flexibel muss man sein.
Ich finde eine Werkstatt in Meknes, prima, ist ja nicht so weit. Die 100 km reißen wir flott auf der gähnend leeren A2 für 32 DH ab. Und noch einen Vorteil hat das Ganze: Entscheidung, ob dieses Jahr Meknes besucht wird, ist damit gefallen. Es wird besucht.
Aber zunächst landen wir gegen 14 Uhr in einem Nebensträßchen mit wenig offiziellem Anstrich. Eine größere Einfahrt signalisiert: hier muss es sein. Am Ende der Dunkelheit tut sich eine große, perfekt aufgeräumte Halle auf, in die uns ein junger Bursche im blauen Mercedes-Kittel lotst. Er sichtet unseren Unterbau der Frontpartie, telefoniert, kurz darauf kommen 2 weitere Burschen angefahren, später der Chef in einer blitzblanken E-Klasse. Nun geben sie Gas, es wird gehämmert und geschraubt, Kardan, Schmieröl, Probefahrt, wieder drunter, Teile besorgen. Diesem Teile-Besorgen darf Wim beiwohnen, er fährt nämlich mit dem Mechaniker ein Mal quer durch‘s Gewühl in Meknes, von einem Ende der Stadt zum anderen und zurück, durch Gassen und Winkel, mit Gehupe und Gewimmel. Die Mechaniker haben alles im Griff, sind sehr bemüht, äußerst freundlich, und vermutlich auch erfolgreich, denn wir verlassen überglücklich und erlöst gegen 18.30 Uhr nicht mehr knatternd, sondern wie geschmiert die Werkstatt.
Getrost können wir daher diese Mannschaft wärmstens weiterempfehlen:
Werkstatt Mejjat Meknes - N 33• 51’ 1“ - W 5• 31’ 43“.
Nun auf zum Bab El Mansour, dem berühmtesten Tor Marokkos. Hier ist Übernachten für Wohnmobile erlaubt. Es dämmert schon, aber die Straßen sind erstaunlich leer. Es ist leicht zu finden, insofern muss man keine Bange haben. Aber, ein „Aber“ ist doch meistens dabei, der Weg dorthin führt durch Torbögen der alten Stadtmauer, unter Gewölbedecken hindurch und durch Säulengänge. Wir sind aber derart entspannt nach der geglückten Reparatur und heilfroh, dass wir das haben überprüfen lassen, so dass wir uns recht gelassen mit unserem Arto überall hindurch quetschen. Und siehe da, durch die Bögen des Babs erblicken wir im Laternenschein schon ein paar Womo-Schnauzen. Ein herrlicher Anblick, dieser Platz hier, Tausend und eine Nacht. Lebendig ist es noch rundum, Kutschen sausen, alte Gemäuer mit kräftig grünen Dachziegeln, lehmfarbene zinnenbewehrte Mauern, alles getunkt in den goldenen Schimmer der Laternen. Ein Warnwestenmann schafft auf dem restlos vollen Platz eine Lücke für uns. Er lotst uns einfach am Kreisverkehr hinter einen parkenden Kleinwagen. Der kommt damit heute nicht mehr hier weg, was aber scheinbar uninteressant ist. Vor unsere Womo-Schnauze, die in den Kreisverkehrsbereich reinragt, stellt er Warnhütchen und ein Absperrgitter. So flott geht das mit Änderung der Verkehrsführung. Morgen früh sehe man weiter, irgendeiner fahre immer weg. 50 DH kassiert er, besorgt es uns auf unsere Frage, wo es denn noch Brot gäbe, sofort ohne Umschweife. Bei einem Gläschen Wein, ein paar Oliven, Tomaten, heimischer Salami und einem Rest fettem Fleischsalat lümmeln wir entspannt und zufrieden hinter der Frontscheibe und schauen dem nächtlichen Treiben in und um den Bab El Mansour zu.
Dienstag 18.02.2020
Bei wolkigem Himmel begrüßen wir den Tag in Meknes. Heute wird geradelt, Gassenradeln. Wir wissen nicht, was uns erwartet. Ob und wie es möglich sein wird, mit den Anhängern in der Medina zurecht zu kommen. Klappt es nicht, dann geht‘s eben eher außen herum durch die Neustadt. Wir werden sehen. Wim sattelt die Hühner.
Um 2, 3 Ecken, und das Gassengewirr verschluckt uns. Die Gänge und Gassen sind nur teilweise asphaltiert, meist ist es Lehmboden, oder ein tückisches Gemisch aus Lehm und zerbröseltem Asphalt mit großflächigen tiefen Schlaglöchern und Kanaldeckelabsackungen vom Feinsten. Was unten rum nicht so freundlich ist, von unseren Rädern aber sehr Bandscheiben freundlich abgefangen wird, ist oben herum wiedermal erlebenswert und froh stimmend. Wieviele Menschen winken uns, grüßen uns, sausen herbei, sprechen uns an, man kann das nachmittags nicht mehr sagen, nicht zu zählen. Von so vielen völlig harmlosen, freudigen Begegnungen ohne jeden Hintergedanken könnte man berichten. Aber es wäre nur Blabla, man muss es erleben, darin „baden“ quasi. Wir landen bei mittlerweile bestem sonnigen Wetter in einem kleinen Souk, Obst und Gemüse aller Art wird hier eingekauft. Auf dem Boden oder auf wackeligen zusammen geschusterten Tischen bieten die Händler ihre Waren an. Brot liegt in kleinen Theken aus, Fleisch hängt in kleinen Läden und wird vor Ort zerteilt. Unmengen Menschen sind in den Gassen, viele Frauen, Kinder und Jugendliche. Die Hunde sind auffallend ruhig, scheinbar fühlen sie sich in ihren Anhängern behütet, sie werden sich außerdem schon wieder etwas an das Lärmen, die fremden Geräusche, Stimmen und Gerüche gewöhnt haben. Wim besorgt ein Kilo Tomaten für 3 DH und 2 Kilo Kartoffeln für 6 DH, Brot natürlich auch, 5 kleine Brote für 3,5 DH, unglaublich. Einen kleinen Boxenstopp im Kreis nach und nach sich heranschleichender Jungs gönnen wir uns und verzehren recht leckere Pommes mit einem „Sandwich“, gefüllt mit dubiosem „Haschee“, Reis, Kartoffeln, Ketchup. Nicht gut, aber selten, und ewig langer Zubereitungsdauer.
An der Stadtmauer entlang radeln wir ohne Ziel herum, landen auf einem großen Platz, streng bewacht von Polizisten und Soldaten. Störche bevölkern den blauen Himmel. Auf Nachfrage darf ich aber bestimmte Bereiche fotografieren.
An den Platz schließt sich ein großes rechteckiges Wasserbassin an mit Wasserfontaine und breiten Promenaden. Alles ist gepflegt, Gärtner beackern die breiten Beete. Hier flaniert man ganz gewiss an Sommerabenden. Sehr unterschiedliche Menschen spazieren vorbei. Junge und ältere Frauen, sehr westlich gekleidet, ohne Kopfbedeckung, aber auch Vollverschleierte sieht man. Mütter schieben ihre Kinderwagen, Scharen von jungen Mädchen ziehen um die Ecken in ihren weißen Kitteln, ihre Schuluniformen, in denen sie aussehen, als wären sie Schwesternschülerinnen, Pärchen albern herum, die Kutschen flitzen, was die Pferdchen hergeben.
Zum ersten Mal in Marokko erkennen wir hier in Meknes sehr gut den Unterschied zwischen begüterten Marokkanern und weniger gut gestellten. Auch am Womo zurück, kann dieser Eindruck vertieft werden. Angrenzend an den Platz liegt nämlich mitten in der Stadt ein königlicher Golfplatz. Der Parkwächter platziert ankommende PKW der Mittelklasse und Oberklasse, bekommt dann den Kfz-Schlüssel, die Insassen gehen zum Golf oder Shoppen. Ein Mercedes Vito, komplett abgedunkelt, darf sogar 2 Parklücken belegen, damit die Damen aus dem Font des Wagens besser aussteigen können, nachdem ihr ihr Chauffeur brav die Schiebetür geöffnet hat.
Der Abend kommt, aber zuvor taucht die Abendsonne das zauberhafte Bab El Mansour in weich-strahlendes Licht. Welch eine Atmosphäre.