Samstag 08.02.2020
Aufwachen um 7 Uhr, heute geht‘s los. Die Nacht war ruhig, obwohl sich der Parkplatz hier sehr gefüllt hat. Einen Kaffee auf die Schnelle, Hunde versorgen, und ab geht die Post. Über die A7 fahren wir bis zur Ausfahrt 108c, durch den Tunnel, vorbei an unzähligen Curry, Terrakotta und Salbeigrün gestrichenen Wohnblocks mit farblich passenden Hinweisschildern, immer Richtung Puerto Norte, automatisch gelangt man zur Abfertigung. Zunächst wird das Ticket verlangt, ein Stück weiter Pässe und Fahrzeugpapiere. Nur wenige Fahrzeuge stehen zur Überfahrt an. Dr. Soundso mit zu führenden Routenteilnehmern aus D hängt mit seinem bunt folierten Womo auch in der Abfertigungsreihe, ein paar Möwen stolzieren herum auf der Suche nach Fressbarem, die ersten übervoll gestopften und abenteuerlich verschnürten PKW stehen mit an, vor uns ein Womo, auf dem sich Maler Rachid Nabil in typisch unverkennbarer Art und Weise mit einer Arganie, in der Ziegen herum klettern, verewigt hat. Kein Zweifel, wir stehen in der richtigen Schlange. Auf irgendein Kommando setzt sich die kleine bereifte Schar in Bewegung. Ein schon weit in die Jahre gekommenes Hamburger Paar zieht mit einem bunt beklebten Kastenwagen an uns vorbei. Es sind große Fotos von allen möglichen Orten auf der ganzen Welt aufgeklebt. Was solch weite Reisen angeht, davon kann sich der junge Mann im anschließenden weißen Bentley mit marokkanischem Kennzeichen wohl eine Scheibe abschneiden. Aber man weiß es ja nie. Oft genug erlebt man gerade beim Womo-Fahren, dass sich über Besatzungen und Reiseziele sehr staunen lässt. Da muss nicht immer der hochbeinige Allrad-Teilintegrierte im Unwegsamen unterwegs sein, oder der kernige Mittelalter-Mann in der staubfarbenen Mehr-Taschen-Hose mit Hanomag im Gebirge, nein, sie waren bisher nur an Ostsee und Ahr, dem gegenüber ist die schmale zahnbelagbeige Bully-Gurke mit ältlichem Paar schon mit selbigem durch Algerien geritten und weit darüber hinaus, oder die strickenden Wiener Leute in ihrem Old-School-Hymer mit verblassendem Türkis-Lila-Dekor, sie haben schon Erfahrung mit senegalesischen Kfz-Werkstätten. Und dann wir mittendrin, die mit einem Dreiachser aus dem Wüsten-Niemandsland der westlichen Sahara mit Spurstangendefekt abgeschleppt werden mussten. Aussehen tun wir danach auch nicht. Nie kann man sagen, wie und was hinter wem steckt. Ich werfe noch einen Blick in meine Marokko-Facebook-Gruppe, wo passend zu meinen Gedanken ein Mann besorgt fragt, ob man in Marokko einen Führer brauche, seine gebuchte, geführte Reise käme vermutlich nicht zustande, er würde aber gerne fahren. Nichts gegen Unternehmen, die solches anbieten, jeder muss sich schließlich um seine Existenz kümmern, und für Sorgen, die einem andere abnehmen, sollte man auch bezahlen, aber Marokko lässt sich ja nun problemlos auf eigene Faust erkunden. Der Mann bekommt natürlich in der Gruppe entsprechende Mutmacher anhand, wird mit vielen guten Tipps unterstützt in seinem Ansinnen, sich allein nach Marokko aufzumachen.
Wir nähern uns dem aufgerissenen Maul der Fähre. Es ist noch früh, so dass wir hoffen, wir legen pünktlich um 10 Uhr ab. Über eine kleine Rampe rumpeln wir in den Schiffsbauch. Damit aber nicht genug, über eine ziemlich schmale und sehr steile längere Rampe müssen wir auf die nächste Etage hinauf. Na dann mal mit wohldosiertem Schwung dem Arto zeigen, was so in ihm steckt. Oben angekommen schließen wir im Rückwärtsgang unter Leitung der sehr freundlichen Warnwesten-Männer millimetergenau ans seitliche Eisengeländer und den Kotflügel des Hintermanns an. Nicht ganz gefüllt startet die Fähre kurz nach 10 Uhr. Der Blick auf die Hafenanlagen begeistert mich immer wieder.
Leider ist es auf See noch sehr dunstig, kein klares strahlendes Blau, so wie wir es die Jahre zuvor erlebt haben. Wim erledigt die Einreiseformalitäten an Bord, Pässe vorlegen, ausgefüllte Fiche ebenfalls, Stempel in Pässe, das war’s. Wir plaudern auf einem Außendeck mit einem deutschen Paar, das auch schon mehrfach Marokko bereist hat, reden über weltweite Müll-Probleme. Letztlich sind diese, egal wo, ob man nun beispielsweise Zustände an heimatlichen Sammelcontainern nimmt oder an spanischen Tankstellen oder Kreisverkehren oder oder, absolut Thema und präsent, bevor jemand überhaupt einen Fuß auf marokkanisches Land setzt und damit oft zu (Ver)Beurteilungen ansetzt.
Ich wende mich wieder dem immer näher kommenden Ziel zu. Ohne auch nur einen Buchstaben zu verstehen, liebe ich die arabischen Schriftzeichen auf der Flanke des vor dem Hafen Tanger Med aufragenden Berges: „الله، الوطن، الملك“ - „Gott, Vaterland und König“, der Wahlspruch Marokkos. Angeblich ist er so ausgelegt, dass man ihn sogar aus dem Weltall sehen kann. Davon werden wir uns vermutlich nie überzeugen können. Auf Tanger Med mit seinem noch jungen Containerhafen sind die Marokkaner sehr stolz, es sei das Tor zu Afrika, das Tor zur Welt, ein Prestigeobjekt. Die immer emsig schuftenden Hafengiraffen, die Ladekräne, sind weithin sichtbares Symbol des stahlgewordenen Traums der Marokkaner. Um 12 Uhr legen wir an, um 12.30 Uhr rollen wir von Board. Mit entsprechendem Stolz und freundlich-respektvollem Gesichtsausdruck grüßen uns die in tadellosen Uniformen steckenden marokkanischen Ordnungshüter. Auf unser „shukran“ (danke) salutiert der Diensthabende, legt mit einem breiten Lächeln seine rechte Hand auf‘s Herz und verbeugt seinen Kopf. Diese Momente lieben wir, wechselseitige Harmonie mit jedem Augenaufschlag, von Mensch zu Mensch, unverstellt, ohne sich verbal verstehen zu können. 40 Minuten nach Verlassen der Fähre sind alle Formalitäten erledigt, kein Beamter wollte, anders als bei einigen Womos vor uns, Näheres anschauen, wir reisen ein, tauschen Geld in einer der Wechselstuben, beißen einige Male in eine mittlerweile weit gereiste Mettwurst, Schluck Kaffee dazu (manno, das muss auch alles mal besser werden) und rutschen uns zurecht für die Route am Mittelmeer entlang, die im Uhrzeigersinn.
Bekannte Bilder erinnern an die letzte Reise. Sehr steil hinauf führt die N16 uns von der Küste über die bewaldeten Bergkuppen, unter uns ein großer Stausee im fahlen Licht, bunte Würfelhäuser, Baustellen und Betriebsamkeit unter der Bevölkerung. Ceuta liegt dicht gedrängt tief unten, wird umfahren auf der Strecke, die wir wieder hinab gleiten zu den ellenlangen Stränden mit traumhaft schön gestalteten Promenaden und Beach Clubs in Fnideq und M‘diq. Hier lassen es die begüterten Marokkaner in ihren Urlauben „krachen“. Jetzt ist es noch sehr beschaulich, Gärtner und Gärtnerinnen wuseln herum, Soldaten bewachen königliche und auch andere Residenzen, die Händler kümmern sich um ihr Angebot in den Geschäftsstraßen und alles leuchtet blütenweiß und himmelblau. Die Bebauung der Ferienanlagen ist durchweg, was die Höhe angeht, einheitlich, wohltuend niedrig, bausündenfrei. Auch die Rohbauten sind nicht anders. Welch eine Leistung der Marokkaner.
Unser Tagesziel heute soll das Hotel La Ferma am Cabo Negro sein. Ich las einmal davon, und dank Google Earth fand ich es zuhause wieder. Wir reisen ja ohne Navi, nur mit Landkarte, aber mit ipad und Earth. Das geht prima und ist für mich als Routenfinderin, da Wim fast immer am Steuer sitzt, perfekt. So stehen wir auch flott vor der Einfahrt auf das Gelände der Ferma. Seitlich ist ein Schotter-/Wiesengelände mit markierten Plätzen. Kein Womo steht hier. Ein Mann taucht aus einem Garten auf, winkt uns weiter rein, wir parken, stehen, angekommen. Trotz einer Großbaustelle in Sicht- und Hörweite ist es wirklich sehr idyllisch hier, alles liebevoll gestaltet, eine Pferderanch liegt dabei, das Ganze bewacht, wie sich später rausstellt.
Wir melden uns für‘s Abendessen an. Es ist köstlich. Tajine mit Rindfleisch, Sesam und Pflaumen, leckeres Brot, Oliven und Kräcker, Erbsen und Bohnen, einen Teller voller marokkanischer Plätzchen, eine Flasche Ksar aus Meknes, Musik vom DJ, Gemälde vom Patron Frank, einem Franzosen, alles zusammen 395 Dirham = keine 40 €. Unser Schwager würde sagen: „Da kannste nix gegen sagen!“. Tun wir auch nicht. Nach Schwätzchen mit dem lustigen Patron und seiner Skizze von unseren Berufen, rückwärts gezeichnet, latschen wir zu unserem Womo zurück im Schein einer Taschenlampe, mit der ein aus einem kleinen Häuschen eilender Wächter uns geflissentlich heimleuchtet. Welch ein Tag!
Sonntag 09.02.2020
Gut geschlafen hier in dem kleinen Paradies, auch wenn es nicht typisch marokkanisch ist. Der Morgen lässt sich sehr schön an, Wetter herrlich, drei größere Hunde peilen mit Abstand die Lage, der Kaffee schmeckt und wir bzw. die Hunde haben volles Programm, Tiersendung, ARD, 1. Reihe. Sie hocken beide am Wohnzimmerfenster, als sich eine gräuliche halbrunde Schar irgendwo im Wiesenland zeigt und geschlossen herum pickt. Sie sehen aus wie Gürteltiere. Näherkommend erkennen wir, dass es eine Art Huhn oder Pute ist, schönes Federkleid, hell getigert und getupfelt auf dunkelgrauem Grund. Mit ihren weißen Köpfen, den roten Schnäbeln und rot-weißen Hautlappen sehen sie ulkig aus. Das Trupp trollt sich flink auf roten Beinen und Füßen leicht gurrend von einem Fleck zum anderen. Bazou und Chianga haben Spaß, schauen wortlos dem Geschehen zu.
Es wird spannender, denn um die Ecke naht die nächste Meute, eine Gänseschar flitzt schnatternd herbei und saust ebenfalls versammelt über die Wiese. Hier und da wird geschnäbelt, was die gefiederten Gürteltiere aber nicht weiter stört.
Nicht genug damit, nochmals wenig später erscheint die nächste Herde, eine kleine Gruppe Schafe trabt heran, zielstrebig geht‘s Richtung Mimosenbäumchen. Hier nehmen die größeren Tiere Maß, recken die Hälse, stellen sich gekonnt auf die Hinterhufe, elegant wie Zirkuspferde, und fressen die Mimosenzweige. Die Hunde gucken immer noch konzentriert zu, was sich so vor ihrer Nase alles abspielt.
Zwischendurch pflockt ein Mann ein paar Ponys und ein Eselchen an. Und jede Menge Katzen, an die 10 Stück, versammeln sich nach und nach unter einem Mimosenbaum und legen sich in die Morgensonne. Der Anblick ist schier unerträglich für Bazou und Chianga. Leicht grollend verharren sie aber noch und reißen das Womo nicht in Stücke, was evtl. nur an der totalen Übermacht der Katzen liegen mag. Wir wollen es jedenfalls nicht testen, die Womo-Tür bleibt zu.
Auf der Großbaustelle wird auch heute gearbeitet, zwar reduziert, ohne LKW oder schwerem Gerät, aber Männer werkeln herum, was uns aber nicht stört. Wir genießen die Sonne bei 18 Grad im Schatten und den ersten Campari dieser Tour und bleiben heute noch auf dieser Stelle. Tagsüber fahren viele Familien mit recht neuen großen PKW vor, die Frauen sind überwiegend europäisch gekleidet, tragen kein Kopftuch, die Kinder werden auf den Ponys herum geführt und haben Spaß auf dem Spielplatz. Wir gönnen uns nochmal ein leckeres Abendessen im Restaurant. Ein Tisch ist wie für ein Liebespaar eingedeckt und wird von den Angestellten fotografiert. Es stellt sich raus, dass es ein Tisch für den Valentinstag ist, der werben soll. Frank, der Patron, schenkt mir eine rote Rose aus seiner Deko und hält mit uns ein Schwätzchen, seine demente Ehefrau richtet immer wieder die Gedecke auf den Tischen und seine hochbetagte Mutter sitzt Brot essend in den Polstern. Aber sie werden geliebt und nehmen am Leben teil, egal wie. Das hat uns sehr beeindruckt. Morgen ziehen wir weiter.
Montag 10.02.2020
Gut ausgeruht und bei schönstem Wetter starten wir in den neuen Tag. Die Hunde schauen sich noch kurz den zweiten Teil der Tiersendung von gestern an mit Gänsen, Schafen, Ponys, Pferden, Gürteltieren und Katzen, mit denen sie eine Hass-Liebe verbindet. Sämtliche Samtpfoten finden sich wieder ein und dösen abwartend in der warmen Morgensonne unter der Mimose. Wir entsorgen und füllen Wasser auf. Dann kann‘s losgehen zunächst ein Stück weit über die N13. Tetouans weißes Häusermeer klebt an Berghängen und wird umfahren über prächtige palmengesäumte Straßen. Wir nehmen die N16 und folgen überwiegend der Küstenlinie hoch hinaus. Auch heute ist leider die Sicht getrübt, Meeres- und Himmelsblau kommen nicht so recht hervor. Dennoch bieten sich immer wieder begeisternde Blicke hinab in kleine Buchten, auf die schroffen Felsabbrüche, auf Dörfchen, die sich aus tiefen Taleinschnitten an den grünen steilen Hängen des Rif-Gebirges hinauf ziehen, als säße ein Klotz auf dem anderen. Menschen warten am Straßenrand auf Busse, Taxen oder Mitfahrgelegenheit, Schulbusse warten vor den Schulen, Müllcontainer stehen vor den Türen, zur Abholung bereit, Pferde, Ziegen, Schafe, Esel, alles grast zwischen Autowerkstätten und Reifenhändlern direkt an der Straße, als sei es das Normalste auf der Welt. Und Moscheen verleiht die Sonne erst mal richtig Glanz. Der Arto muss ganz schön ackern, so ganz überzeugt sind wir nicht von der Leistungsfähigkeit, vor allem, wenn sich am Steilhang ein marokkanischer Kleintransporter fast wirkungslos die Lunge aus dem Leib hechelt und kaum von der Stelle kommt und an einen Überholvorgang nicht zu denken ist. Ach ja, man hat ja Zeit, noch keiner ist an einem Steilstück kleben geblieben.
Und der nächste Abhang kommt bestimmt, und zwar der hinab ins proppere Et-Tleta-el-Oued Laou. Wunderschön, wieder hier zu sein. Mit schwindenden Höhenmetern kommen wir dem Meeresblau immer näher. Die See strahlt, die weißen Häuser ebenso, die Promenade ist blitzsauber, rundum ebenfalls, Kinder spielen Fussball, auf der Geschäftsstraße herrscht reger Betrieb, die Straßencafes sind von Männern gut besucht, und die Frauen sitzen mit ihren Tischen in langer Reihe auf dem Gehsteig, und bieten ihre sorgsam gestapelten Fladenbrote an. Zum Anbeißen schön. Wir fahren ganz durch den Ort, vorbei an dem uns reinwinkenden Parkplatzwächter. Bis ans südliche Ende wollen wir, evtl. tut sich dort noch ein schönes Plätzchen auf. Am letzten Kreisverkehr, mehr ein Wendehammer, endet die Straße, einige Dorfköterchen erwarten uns schon an der Ecke einer kleinen Militärstation. Nur noch ein Sandweg führt an ein paar Fischerbehausungen am Strand entlang.
Eine schön gemachte Einfahrt fällt uns auf, ein Tor steht offen, „proprietee privee“ steht in großen Buchstaben auf der umgebenden weißen Mauer, rechts steht ein Wohnhaus und weiter durch sieht man ein Wohnmobil. Wim hält im Kreisel an, geht zu Fuß zum Haus und kommt kurz darauf wieder zurück. Schade, denke ich, scheint wohl nix zu sein. Aber ich irre. Zusammen schauen wir uns den Platz an, den Mubarak, wohl Hüter des Anwesens von Ahmed, uns zur Verfügung stellen will. Es sei kein Problem, er habe genug Platz, zeigt auf eine Stelle, die uns aber zu weich erscheint, zerrt einen riesigen Teppich aus seinem Garten herbei, legt ihn auf die Stelle, der Boden sei sehr fest und so mit Teppich bestünde keine Gefahr. Der französische Mitcamper schmunzelt. Ich verstehe nur, „Campingcar plus gros“ und „problematique“ und „merde“, ja, umgangssprachlich übersetzt: „Das Ding ist zu schwer, gibt nur Probleme und dann hat man die Scheiße!“. Wir lachen alle und nehmen eine andere Ecke in Ahmeds Garten. Er hat einen Brunnen, abenteuerliches Steckdosenkabel frei liegend im Garten, eine Toilette hat er schon fertig, Dusche baut er gerade, Kassette kann entleert werden, es würde nichts kosten, er wolle kein Geld, er würde sich so über unseren Besuch freuen. Ja haste Töne! Wir rollen rein, parken, stehen, Paradies mit Familien- und, wie sich später zeigt, Nachbarschaftsanschluss. Sofort schleppt Mubarak einen kleineren Läufer an und platziert ihn vor unserer Stufe. Man hat keine Gelegenheit, danke zu sagen, da kommt er schon mit einem Sonnenschirm an und rammt ihn zu unserem Schutz in seine Gartenerde. Wir atmen ein und aus, sind sowas von begeistert, das ist „unser“ Marokko. Während wir in unseren Stühlen die Sonne genießen, erscheint Mubarak erneut und stellt uns einen Tisch vor die Nase, verschwindet wieder und kommt zurück: It‘s Teatime ! Auf einem glänzenden Silbertablett serviert er einen köstlich heißen und zuckersüßen Minztee im silbernen leicht verplötchten Kännchen. Was soll man sagen? Herzerwärmend? Allumfassend! Während sein süßer, kleiner Welpe herum scharwenzelt und in gebührendem Abstand Bazou und Chianga zum Spiel auffordert, die liebend gerne folgen würden, aber angeleint bleiben, fallen Wim und ich erneut gerührt und emotional in kopfschüttelndes dankbar-fassungsloses Schweigen.
Beim Ankommen unterhalte ich mich mit einer Frau, die uns zuwinkt und gerade am Brunnen Wasser holt. Wir lachen und freuen uns über unsere Begegnung, ohne gegenseitig auch nur ein Wort zu verstehen. Einen kleinen Rundgang mache ich zu der gegenüber liegenden Militärstation und halte mit einem jungen Soldaten, der gerade Fisch für‘s Abendessen putzt, ein Schwätzchen. Sie beobachten hier, wie in geringen Abständen lückenlos überall an der Küste, die Geschehnisse auf See. Vorbei an den harmlos kläffenden Dorfhunden und den vielen kleinen im Sand liegenden Fischerbooten schlendere ich zurück zum Womo. Inzwischen ist die Tochter der Wasser holenden Nachbarin aus der Schule gekommen. Das Mädchen mit Kopftuch begrüßt Wim mit Handschlag, ich werde umarmt und geküsst. Wir versuchen, ein paar Worte zu wechseln, freundlich verabschiedet sie sich wieder. Es dauert nicht lange, und Mubarak bringt zwei seiner Gartenstühle. Und wenig später zwei Eier. Du lieber Himmel, wo sind wir hier gelandet. Darüber nachdenkend, sehe ich das Nachbarsmädchen über die Mauer blinzeln. Ich mache ein Foto von ihr und winke sie herüber. Strahlend betrachtet sie ihr Foto und auch andere aus meiner Marokko-Sammlung. Sie redet pausenlos mit mir, bewundert meinen Schmuck, streicht mir durch die Haare, erklärt mir irgendetwas vom Beten und Allah, beeindruckend alles. Ihre Mutter ruft, sie flitzt in ihr Haus und kommt mit einem Tellerchen selbstgeschnittener Pommes zurück. Das sei für uns. Damit nicht genug, ein erneuter Mama-Ruf und ein Teller voll gebackener Fische mit Oliven steht vor unserer Nase. Nur beschämt können Wim und ich die Köstlichkeiten essen, allerdings unter den wachsamen Augen der kleinen Nachbarin. Einige Schreibhefte und Stifte haben wir im Womo und ein paar Duftkerzen. Davon gebe ich ihr etwas und hoffe, sie freut sich darüber. Aber das ist offensichtlich keine Frage. Ein glückseliger Tag geht zu Ende.
Dienstag 11.02.2020
Ruhig vergeht die Nacht, wer soll hier auch schon fast am Ende der Bucht Radau machen. Ein Bauer zieht mit seinem Eselskarren vorbei. Ein Bauer führt sein Gespann aus Pferd und Maultier vor einem Pflug über den Acker. Hahn und Henne gackern herum. Der kleine Welpe ist flott unterwegs um alle Ecken. Mubarak winkt mich herbei. Er zeigt mir seine eiserne längliche Feuerstelle, die quasi nur noch vom Rost zusammen gehalten wird und lediglich in einem kleinen Bereich nicht durchgebrannt ist. Dennoch lodert Feuer, darauf ein brodelndes Minzteekesselchen. Er möchte Fisch für uns grillen, aber so zum Frühstück ist das so einfach gar nix für uns. Darauf gießt er mir ein Schälchen Öl ein, zaubert 2 Eier hervor, mit denen ich dankend abschiebe. Er saust mit seinem klapprigen Rad, das er uns zur Benutzung ebenfalls hingestellt hat, Richtung Ortsmitte, kommt mit einer Tüte Brot wieder, das er für uns an seinem Haus auftischt. Fladenbrot, knuspriges Griesbrot, Stangenbrot, hauchdünne mehrschichtige blättrige Fladen, von allem tischt er auf, dazu Öl und Minztee. Unser Frühstück, nachdem er mir einen Plastikstuhl mit dicker Decke zurecht gerückt hat. Da sitzen wir nun, morgens 9.00 Uhr, Welt in Ordnung? Das fragen wir uns. Er besitzt, aus unserer Sicht betrachtet, kaum etwas. Er haust, wohnen kann man es nicht nennen, in einem Anbau in einem dunklen Raum, Matratzen-Decken-Lager in einer Ecke, Klamotten über eine Schnur an der Wand geworfen, Haushaltsutensilien auf einer großen runden Holzplatte im Hof, eine Schaukel im Garten, 4 kleine Kinder, von einer Frau nichts zu sehen. Er hat sehr Vieles nicht, aber von einer Sache hat er viel: Herz. Er geht sehr liebevoll mit seinen Kindern um, um seine Tiere - ein Hündchen, Katzen, Hasen, Hühner, einen Hahn, 2 Enten, ein Schaf mit 2 Lämmern - kümmert er sich sehr, ebenfalls um seinen großen Garten, den er bepflanzt, Rasen mäht, beackert. Wem dieses große Grundstück und das recht schöne Haus hier gehören, werden wir wohl nicht erfahren. Besucher kommen vorbei, ein Belgier in marokkanischem Gewand begrüßt uns freundlich. Die Soldaten holen gelegentlich etwas bei ihm ab, leihen sich sein Rad. Warum halten wir das alles fest? Weil man solche Menschen niemals vergessen darf. Auch wenn Mubarak sich nun seine Haschisch-Pfeife schnappt, uns seine Mischung zeigt, und sich erstmal eine reinpfeift, im wahrsten Sinne des Wortes. Das Rif-Gebirge lässt grüßen und zieht alle Blicke auf sich.
Heute ist der Tag, der Tag an dem unser neues Rad „gepflückt“ wird. Ich hab ja schon Respekt davor, mit der neuen Hüfte will ich nicht gleich ‚ne Bruchlandung machen. Nicht auszudenken. Es soll ja flott unterwegs sein, dieses schwarze Ding, so sagt man. Hier ist die ideale Trainingsstrecke, hier wird es ausgefahren, für diesen Ort haben wir uns die Jungfernfahrt aufgehoben. Mobifun in Afrika. Die Promenade ist lang, Meerblick ins Blaue hervorragend, hier können wir es laufen lassen. Und es wird toll, einfach toll, nie hätten wir gedacht, dass es sowas von abgeht, abzischt quasi. Und das mit schwerem Gerät hinten dran, 50 bis 60 kg jeweils. Es fährt sich super leicht, egal ob man drauf sitzt oder schiebt. Man kann sehr gut rangieren, was mit Hänger wichtig ist. Man rollt dahin wirklich mit großem Spaß-Faktor. Und Aufsehen erregend ist es sowieso, was nicht nur an den breiten Schlappen liegt.
Die Hunde genießen den kilometerlangen menschenleeren Strand und wir unsere Hunde. Es ist uns allen Vieren immer ein großes Vergnügen.
In der Sonne lassen wir uns nieder und speisen. Einige Katzen schleichen heran und begutachten unsere Anhänger. Ein Strahlemann zeigt uns sein gesamtes Repertoire, köstlich alles. Er bringt uns: marokkanischen Salat, Brot, gegrillten Calamar, gebackene Sardinen, Tomatenpüree, selbstgemachte Pommes, Tajine mit Flossen vom fliegenden Fisch, eine Flasche Wasser, alles zusammen 140 DH = keine 14 €. Unglaublich. Der junge Mann ist Student „Wirtschaftsmanagement“, liebt die Freiheit, die ihm sein Geschäft am Meer gibt. Seine Schwester studiere in Duisburg, habe ein Stipendium vom deutschen Staat bekommen. Was man alles so erfährt! Auf dem Rückweg kaufen wir noch ein Brot, und die Bäckersfrau erzählt, dass ihre Tochter in Bonn lebt. So vergehen Tage, die einen aus dem Staunen nicht mehr rausbringen.
Mittwoch 12.02.2020
Den heutigen Tag wollen wir noch gemütlich hier verbringen. Die Sonne geht mit rotem Schein über dem Meer auf, das Wetter ist herrlich warm, sonnig und blau. Außerdem kann man sich hier in Oued Laou richtig wohl fühlen. Es ist windiger als gestern, dadurch aber auch klarer konturiert. Der Soldat leiht sich nochmal den alten Drahtesel und kommt mit Brot unterm Arm zurück. Die Bauern ziehen mit ihren Karren über den Sandweg am Strand zu ihren Feldern. Die Nachbarsfrau hat fürchterliche Zahnschmerzen, erzählt sie mir, als sie wieder Wasser im Brunnen holt. Ich mache einen kurzen Fotorundgang, auf dem mich Mubaraks Töchterchen begleitet. Ein süßes kleines Mädchen, das mir ein Blumensträußchen pflückt, mir auf Französisch stolz vorzählt und pausenlos in mir völlig unverständlicher Sprache plappert. Irgendetwas klingt wie ein Auszählreim, weil sie auch im Wechsel von sich auf mich zeigt. „Ibbe dibbe dabb und Du bist ab“ hat sie in wenigen Minuten perfekt gelernt. Lustig ist das.
Ein paar Klamotten könnte ich an solch einem Pausentag noch durchwaschen und hier in der Meerluft flattern lassen. Also ran. Ich wasche ein paar Sachen im Womo, nehm das nasse Bündel auf den Arm, gehe nach draußen, um mit Wim zu überlegen, wo wir das kleine ausklappbare Wäschereckchen, das man in ein Fenster hängen kann, hingeräumt haben. Durch unsere mausbedingte Umräumaktion hat manches einen anderen Platz gefunden, teuflisch. Wir sind noch nicht im Klaren, wo das Ding ist, da eilt Mubarak auch schon mit einer Leine heran, signalisiert, er werde sie gerne zwischen die zwei Bäumchen spannen. Ja, nun frag mich mal einer, woher er weiß, dass ich im Wohnmobil, im Verborgenen quasi, zwei Schlüpper und zwei Pullis gewaschen habe? Nicht mal mit einer Schüssel oder einem Eimer bin ich draußen herum gelaufen. Er wird mir langsam unheimlich, sympathisch unheimlich, dieser Mubarak. Er muss eine Kamera in unserem Womo installiert haben. Wir lachen. Seine Sorge um unser Wohl ist herrlich, versteht sich daher von selbst, dass er kurz darauf mit einem Beutelchen Wäscheklammern ankommt, unsere haben wir aber schon aufgespürt. Fast etwas geknickt trollt sich Mubarak wieder.
Stattdessen schießt sein kleiner Welpe um die Ecke. Er hat ja schon eine ganze Zeit aus sicherer Entfernung mit Bazou geliebäugelt, aber der Mut fehlte ihm noch. Chianga ist für so ein kleines Gemüse nicht zu haben, sie spielt ohnehin nicht gerne mit anderen. Das sandfarbene Kleinchen tapert heran, immer näher, immer demütiger, windet sich, immer verlegener guckend, Bazous Blick ausweichend. Und dann geht‘s los. Es überkommt beide. Der Kleine rafft allen Mut zusammen und Bazou verliert seine Großmeister-Rolle. Der Moppel wirft sich Bazou in die Arme, flitzt um ihn herum, greift wieder an, als gäbe es kein Morgen. Bazou liegt mittlerweile, so hat er noch mehr von den Angriffen des kleinen wildgewordenen Handfegers. Es ist zu süß, die beiden, wie David und Goliath. Und Fräulein Rottenmeier schüttelt uns zu Füßen auf ihrem Deckchen nur ihr Haupt. Anschließend frisst der Kleine mit gutem Appetit einen Rest Hundefutter und schaut staunend zu, wie wir Bazou und Chianga in die Fahrradanhänger verfrachten und eine Runde drehen.
Mein Gott, welch ein Wetter heute, alles strahlt, die Grills für die Tajinen qualmen, die Brotfrauen sitzen in Reih und Glied, überall wird gehandelt und gewerkelt, aber auch in den Cafes gefaulenzt. Wir radeln kreuz und quer durch die Gassen. Überall rufen und grüßen uns die Menschen hier, winken und strahlen uns an. Wir können sogar an einer kleinen Steigung einen Eselskarren überholen. Echt toll ist es mit dem neuen Rad, total handlich. Ich kann sogar im Sattel fotografieren. An der Markthalle besorgen wir etwas Gemüse, eine ganze Tüte voll für 23 DH. Eine alte Frau, bäuerlich bunt verhüllt mit Stock, ruft mir etwas zu und stampft mit dem Stock auf. Die jüngeren Brotfrauen winken und lachen mir zu. Daraufhin rufe ich zurück, was denn los sei. Sie ruft wieder etwas und zeigt zum Kopf. Aha, ob ich mich verhüllen soll, rufe ich ihr laut zu und wickele mir meine Weste um den Kopf, was natürlich schallendes Gelächter auslöst. Wir frotzeln noch etwas herum, die alte Frau kommt dann sehr nah zu mir, ich nehme alles vom Kopf, die Sonnenbrille von der Nase, sie lacht, ich ebenfalls, das war‘s. So sind sie hier, für jeden Spaß zu haben. Ob die alte Frau das aber nur spaßig meinte, wage ich zu bezweifeln. Sie verstand, dass ich aus Deutschland komme, und vermutlich auch meinen Ausdruck, dass ich mich nicht verhüllen werde. Ein Mann spricht uns an in gutem Englisch. Wir wechseln ein paar Worte. Er fragt, wo wir mit dem Womo stehen. Ah ja, den Platz kenne er, und Mubarak kenne er auch gut. Wo denn Mubaraks Frau sei, frage ich ihn. Ja, er hätte eine, vielleicht sei sie bei ihrer Familie, er habe nichts gehört und staunte, dass die Frau im Haus fehlt. Und das Haus, das Mubarak hütet und in Ordnung hält, gehöre einem Marokkaner, der in Belgien lebe. Na sowas, nun wissen wir das auch schon, waren wir doch bisher der Ansicht, dass wir das nie erfahren würden.
Wir radeln noch am Meer entlang über die herrliche Promenade, kaufen Brot und kleine süße Weckchen, die zu einem Gläschen Wein am Womo in der Sonne richtig gut schmecken. Wim verstaut schon mal alles, morgen wollen wir weiterziehen. Abends bruzzeln wir das Marktgemüse mit spanischem Schweinefilet, umwickelt mit deutschem Schinkenspeck. Lecker.