Tag 1 - 15.01.2023 Sonntag
Manchmal frage ich mich, ob noch irgendetwas im Haus vorhanden ist, wenn wir für die Winterreise packen. Obwohl unser Concördchen eigentlich immer reisefertig in unserem Garten steht, fehlt einiges. Da beneiden doch viele Mitcamper die Reisenden, die wochen-, sogar monatelang unterwegs sein können. Tja, nach einer Winterreisen-Womo-Aufrödelung hat man sich auch eine laaaaange Auszeit verdient. Fix und fertig macht die einen! Wenn ich so an Zeiten der Vollbeschäftigung denke, da habe ich für längere Urlaubszeiten ruck zuck in einer Aktion alles beisammen gehabt und ein gewienertes Haus verlassen. Und jetzt, mit mehr Zeit, mit mehr Lebensjahren, da trödele ich rum, da will man doch alles mit mehr Muße erledigen, man hat ja Zeit, bis sie einem durch die Finger rinnt und alles knapp wird. Aber frisch gewartet und ohne Probleme steht das Concördchen bereit. Und die bei unserem Liebchen Chianga vor Weihnachten entdeckte Verdickung an der Gesäugeleiste brachte nach Biopsie vor ein paar Tagen Entwarnung: „nur“ ein Lipom. Ich hab gebetet. Nicht auszudenken, es wäre anderes gewesen. Postnachsendeauftrag an unsere Jungs ist bestätigt, nichts Unerledigtes liegt auf dem Schreibtisch, Haussitting durch Schwester und Schwager dankenswerterweise geregelt, Mama mit 91 Jahren wohlauf. Alles in allem eigentlich perfekt, um sorglos aufzupacken. Aber: Es taucht doch immer wie aus dem Nichts Unvorhersehbares auf. Denn irgendwas ist immer. Da klemmt doch plötzlich das Oehlmühle-Zusatz-Schloss an der Womo-Tür. Und Chianga bricht plötzlich das Futter aus. Nein, das darf doch jetzt nicht wahr sein! Insgesamt einen Tag verbringt Wim mit Versuchen, ein neues Schloss zu beschaffen bzw. das vorhandene gangbar zu machen. Unser Tierchen wird gepäppelt mit Päppchen, und es bessert sich langsam. Auch das alte Schloss tut nach diversen Aktionen wieder seinen Dienst. Glück, denn ein neues wäre erst in einer Woche zu bekommen. Mann, Mann, Mann. Warum erzähle ich das? Weil ich annehme, wir stehen nicht allein mit dem Zustand: „Es ist doch immer irgendwas, irgendwas ist immer!“ So fahren wir mehr oder weniger ermattet los.
Die Nacht war für mich sehr sehr kurz, irgendwie beutelte mich das Reisefieber. Wim kann zum Glück über Schlafmangel nicht klagen, gut, er muss fahren, und da ist „gut geschlafen“ die „halbe Miete“. Es regnet, wie seit Tagen. Im Nachbarort sieht man, wie sehr die Kyll, eigentlich ein schmales Flüsschen, das sich durch unser Tal schlängelt, schon wieder hoch aufgewühlt und überrandvoll dahin donnert. Erinnerungen an das entsetzliche Hochwasser sind schnell wach. Die Leute bangen sicher schon wieder, denn mit einem Ende des Regens kann nicht gerechnet werden lt. Vorhersagen.
Über Bitburg, wo der Regen plötzlich sein Ende findet, ist Luxemburg blitzschnell erreicht. Locker bewölkt mit etwas Blau passieren wir das kleine Ländchen, nicht ohne voll zu tanken und Gesöff und Kaffee zu bunkern.
Und schon kommt Frankreich in Sicht. Über Metz und Nancy hangeln wir uns mautfrei über die A31 durch wasserreiche Landschaften Richtung Westen und legen am Canal de la Marne au Rhin in Pagny-sur-Meuse eine Kaffeepause ein. Hier könnte man auch übernachten, aber wir wollen noch ein Stück weiter bis Nähe Troyes.
Die N4 ist sehr gut ausgebaut, wir kommen zügig voran, muss auch sein, denn schon hat die „blaue Stunde“ uns, der Abend naht. Und wir mögen es nicht, im Dunkeln einen Schlafplatz anzusteuern, vermeiden es wenn‘s geht. Also ist Gasgeben angesagt! Dennoch genießen wir die wunderschön verschlafenen, so französischen Ansichten und Ortschaften hier im Land der Misteln, die scharen- und bündelweise über wehr- und harmlose Bäume herfallen und dann noch darauf bestehen, dass man sich unter ihnen küsst. Na ja, Weihnachten ist ja vorbei. Ohne Kuss geht‘s weiter.
Weiter bis Piney, das wir über die D385, D400 und D960 erreichen. Dort fahren wir einen Parksteifen an der Kirche bzw. am Friedhof an. Ausreichend Platz, ruhig und still, perfekt für Gassi und die Nacht. Und es wird dunkel. Der erste Tag wäre geschafft. Lief gut, richtig gut.
Tag 2 - 16.01.2023 Montag
Windbeutel gefällig? Nein danke, sind ohnehin nur Sturmsäcke im morgendlichen Angebot. Es schüttet und blästert nämlich schon die ganze Nacht, und eine Änderung scheint nicht in Sicht. Nebulös wie der Blick durch die Frontscheibe sind auch unsere Aussichten, das heutige Tagesziel in gut 400 km zu erreichen oder schon eher „aussteigen“ zu müssen. Denn auf den ersten Kilometern zeigt sich schon: das wird heute kein einfacher Ritt. Wahnsinnige Sturmböen beuteln das Concördchen auf schmalem Sträßchen.
Langweilig strecken sich die Weinberge der Champagne rechts am Hang entlang. Bonjour tristesse - woran auch die verlockend am Wegesrand aufgebockten übergroßen Flaschen des edlen Gesöffs nichts ändern momentan. Nein danke, ein Grog wäre aktuell passender oder zur Not ein Bronchialtee. Und Champagner schmeckt ohnehin im Negligé besser, und das gehört nicht zum Standard in unserem Womo. Also weiter, wobei wir ernsthaft erwägen müssen, irgendwo anzuhalten, da die endlose entgegen kommende Schlange der LKW schon bedrohlich saugt und zusammen mit dem Wind gemeinsame Sache zu machen scheint. Das Concördchen und Wim haben jedenfalls zu tun, alle Hände voll, es wankt und wringt wie wahnsinnig. Ansonsten wäre die tadellose Strecke absolut zügig zu befahren. Aber aber … es ist doch immer was, wir sprachen davon. Winterreisen haben auch Schattenseiten.
Vereinzelt durchfahren wir kleine Straßendörfer. Alles wirkt wie ausgestorben. Einige wenige Menschen schleichen mit gesenkten eingezogenen Köpfen ohne Hälse über schlammige Gehstreifen mit knöcheltiefen Pfützen. Die wunderschönen stark gestutzten Platanen wirken geisterhaft, und nur gelegentlich schafft es Farbe ins Spiel, wenn nämlich ein sattes Verkehrsschildblau oder Postreklamengelb zwischen den morbide-charmanten Häuserzeilen aufleuchtet. Über die Loire hinweg, deren Lieblichkeit in den Fluten, deren Farbe an extrem schlecht gemachte, verwässerte und mehrfach verlängerte Bratensauce erinnert, ertrunken scheint, meint man, eine leichte Besserung der Wetterlage zu erkennen. Jedenfalls bekommt der Himmel etwas Struktur, verliert das massige Einheitsgrau und pludert sich etwas gelockert in diversen Grautönen auf. Irgendwie mutet alles leicht englisch oder schottisch an, irgendwie stimmig, die Häuser, die Dächer, das Wetter, das Licht, und letztlich eine Dudelsack spielende Figur im Kreisverkehr. Wie der Ort heißt … geht im Moment im Kopf verloren.
Auch ein wenig ist die Orientierung plötzlich futsch, wir verfransen uns und nehmen eine nicht ganz navi-konforme Straße. Es scheint aber keine Auswirkungen zu haben, denn unser Navi-Rüdiger fordert kein „bitte wenden“ und die Kilometerzahl zum Ziel ändert sich nur unwesentlich, also ohne „kehrt marsch“ weiter. Allerdings ist die Route nun sehr schmal, führt durch Wälder und Moore, schnurgerade, keine Kreisverkehre, keine - und wir fragen uns: „Sind wir nun in Lettland gelandet?“. Hin und wieder liegt versteckt ein Häuschen, eine Ortschaft, sonst nur herrliche Natur. Eine kurze Pause gönnen wir uns, da sich der Wind fast ganz gelegt hat und sich tatsächlich die Sonne blicken lässt.
Irgendwo kommen wir zur mautfreien A20 und dürfen sie mautfrei für gute 130 km befahren. Tut jetzt sehr gut und garantiert, dass wir unser geplantes Tagesziel vor dem Abend erreichen werden. Klappt, trotz widrigster Umstände tagsüber.
Nach einem kurzen Tankstopp in Bellac erklimmen wir mitten in Val-d‘Issoire unseren Nachtplatz, drehen eine kleine Runde und freuen uns, es bis hierher schadlos geschafft zu haben. Denn umgestürzte Bäume und massenweise Geäst säumte die Ränder der heutigen Route. Aber, wie sagt der Kölner: Et hätt noch immer joht jejange. Und wir können nun Schäfchen zählen.
Tag 3 - 17.01.2023 Dienstag
April ? Oder was ? Jedenfalls bietet dieser Tag vorweggenommen rückblickend alles an Wetterkapriolen, die einem April alle Ehre machen würden. Gut geschlafen, ausgeruht und munter starten wir für unsere Verhältnisse quasi „im Frühtau“. Um 9.36 Uhr rollt das Concördchen vom asphaltierten Acker, verlässt die Schäfchenherde und das erste Foto des Tages entsteht. Auf Nachfrage bei „unserem Apotheker“ versichert uns dieser anhand seiner Leuchtanzeige vor seiner Pharmazie eine Außentemperatur von +5 Grad, frisch, wie das strahlende Blau des Morgenhimmels. Die Bauern sind auch schon emsig unterwegs, während wir gut gelaunt das Örtchen verlassen.
Große Herden glücklicher Kühe sieht man auf weiten Weiden zwischen einzeln verstreut liegenden großen Gehöften. Friedlich fressen sich unzählige Schafe durchs Wiesengrün. Die Landschaft wirkt urig. Haine mit uralten Bäumen und Hecken grenzen große Parzellen ab, da wo keine Zäune stehen. Flüsse durchziehen die Gegend, je nach Himmel mal kräftig blau oder aufgewühlt und schlammig braun. Es macht Spaß, auf der gut ausgebauten Strecke unspektakulär dahin zu reisen.
Ein weites Stück vor Bordeaux ist die Route autobahnähnlich aber mautfrei ausgebaut und die Landschaft ändert sich. Man sieht Rebenäcker und die veränderte Vegetation durch die Meernähe. Kiefernwälder und riesige Pinien prägen nun das Bild, statt sattem Wiesengrün nun eher sandige Waldböden. Reichlich eingenistet im Kieferngeäst hat sich schon dieses gemeine Volk der Prozessionsspinner. Die könnten auch zu spät kommen! Glücklicherweise blieben wir und die Hunde bisher ohne Begegnung mit diesem hinterlistigen Raupengesindel. Und das Wetter ändert sich ebenfalls. Es fallen literweise Schauer vom Himmel, teils Regen, teils Hagel, teils Schnee. Die Ausblicke von den gewaltigen Brücken über Dordogne und Garonne haben wir teilweise auch schon mal auf früheren Reisen freundlicher erlebt.
Irgendwo leitet uns das Navi vor einer Mautstelle wieder auf eine Landstraße. Im nächsten Örtchen legen wir eine Kaffeepause ein, da auch gerade wieder die Sonne scheint. Kurzes Vergnügen, denn bald prasselt es wieder vom Himmel. Und der Regen wird stärker und stärker, stürmischer Wind kommt dazu. Nehmen Sie reichlich, scheint genug da zu sein. Wir entschließen uns, die verbleibende restliche Strecke bis zum heutigen Schlafplatz hinter Bayonne doch auf der AB zurückzulegen. An das Gedränge und die vielen Baustellen in Bayonne und drumrum haben wir noch gute Erinnerung. Und das heute noch bei diesem Weltuntergangswetter, das muss nicht sein. Während ich den sich verabschiedenden und wahnsinnig rumflatternden „Morts“-Aufkleber unter meinem Fenster versuche, während der Fahrt wieder anzupappen, was aber misslingt und ich ihn abziehen muss, warnen mehrfach fahrspurüberspannende Leuchtanzeigen vor starkem Wind aus Spanien. Olé! Sind wir auch echt froh, die AB gewählt zu haben und nicht ein Zuckeln über Land, so vermiest uns die Höhe der fälligen Maut doch etwas die restliche gute Stimmung für heute. Knapp 30 € werden fällig für rund 50 km (Einstufung Fahrzeugklasse stimmte)! Wenn das noch Spaß ist !? Dafür hätte man auch trockene Fahrspuren erwarten können. Also wirklich.
Vergessen und weiter. Ein paar Kilometer nämlich, die aber sofort und ungebremst ins Hügelland führen. Schmal, fransig, aufstrebend. Und zu Überflutungen neigend. Eine wunderschöne Gegend, ja, das Licht ist nur nicht ganz so optimal. Aber dann tun sich die gewaltigen Brocken auf, die verschneiten Grade der zum Atlantik hin auslaufenden Pyrenäen. Zack, eben noch im Pinienhain, jetzt schon auf den Almwiesen.
Almwiese ist es zwar nicht so ganz, hier wo wir schnell und grenznah zu Spanien landen. Aber egal, den festen Asphalt unterm Concördchen begrüßen wir heute sehr. Wir parken ein, windgeschützt gequetscht an die Böschung, die Kirche über uns, passt gut und wackelt hoffentlich nicht. Die Pizzeria um die Ecke hat geschlossen, macht nichts, Teile einer Pute mischen sich in bunten Salat und munden. Und ab morgen knöpfen wir uns Spanien vor … aus Burgos wurde Schneetreiben vermeldet. Dann ziehen wir das Concördchen eben wärmer an.
Tag 4 - 18.01.2023 Mittwoch
Eine sehr stürmische Nacht, die letzte auf der Durchreise durch Frankreich, die aber auch wirklich alles im Angebot hatte, liegt hinter uns. Also einen falschen Eindruck will ich jetzt nicht erwecken, alles spielte sich über der Bettdecke ab, komplett außerhalb und ohne unser Zutun. Wind, Regen, Hagel, Gewitter waren die Bespaßer und gaben ausdauernd alles. Dennoch haben wir sehr gut geschlafen, und der strahlende Morgen entschädigt für das nächtliche Gedonnere und Getobe. Unser französischer Nachbar, der uns am Abend vorher riet, besser etwas näher an der Böschung zu parken, hatte recht und grüßt freundlich rüber. Er kennt wohl die Gegebenheiten und ahnte es. In meiner Facebook-Gruppe warnt Erika dankenswerterweise vor Wintereinbrüchen im nord-östlichen Teil Marokkos. Es soll Mengen Schnee fallen und auch Regen. Das kann unter Umständen sehr arg werden und bedeutsam sein, denn z.B. unsere Route war zu Beginn für diesen Bereich geplant. Tja, solche Touren müssen Platz für Umplanungen haben. Bei so vielfältigen Klimazonen wie in Marokko kann immer eine andere Richtung plötzlich besser und passender sein als die andere, können Straßen durch Sturzbäche nicht mehr passierbar oder weggerissen sein oder Schneefall im Atlas das Weiterkommen unmöglich machen. Und den Spielraum und die Flexibilität muss man sich lassen, im Fall des Falles die günstigere Route zu wählen und Pläne über den Haufen zu schmeißen. Deswegen sind wir für solche Informationen sehr dankbar und geben Warnungen weiter. Aber Marokko sieht uns ja erst in ein paar Tagen wieder, hoffen wir das Beste und ziehen jetzt erst mal weiter Richtung Süden.
Aus der hügeligen Welt hier unmittelbar an der Atlantik-Küste mit den immer wieder aufblitzenden weißen Gipfeln der Pyrenäen und dem unaussprechlichen Wortschatz verabschieden wir uns und rollen hinab ins sehr geschäftige Gewusele an der Grenze zu Spanien in Saint-Jean-de-Luz.
Auf jeder Winterreise über diese Route hatten wir exakt dieses Wetter, das die wunderschönen Häuschen leuchten lässt. Eine einzigartig tolle Ansicht, hier an den weiß-roten Fachwerkhäusern vorbei zu ziehen. Alles wirkt so propper, so einheitlich, und dennoch zeigt jedes Haus sehr individuelle Details. Zum Verlieben. Man müsste mal anhalten … auch an den schönen Hafenanlagen und am Flussufer in Hendaye. Aber jetzt erstmal „rübermachen“ nach Spanien … und damit zum nächsten Punkt im Menü.