Tag 4 - 18.01.2023 Mittwoch
Stramm bergauf geht es von der französischen Grenze kommend Richtung Vitoria-Gasteiz. Spanien hat uns. Und wie! Von schmucken Orten keine Spur mehr. Es ist schon ein gewaltiger Unterschied zwischen den französischen mondänen Badeorten und der rauhen Bergwelt hier im spanischen Grenzland. Hier wirkt alles ziemlich abgewrackt. Die Menschen tun einem leid, die in solchen Siedlungsbauten leben müssen. Viel Gemäuer steht auf wenig Raum, und dazwischen Unternehmen und Gewerbebauten und unzählige PKW auf Halden in den Tälern, die auf irgendwas wohl warten.
Wir klettern - und mit uns die Winterräumfahrzeuge. Die AB ist kaum befahren. Es läuft gut, egal wie weiß die Welt auch wird. Und sie wird wirklich schneeweiß. Hier ist einiges gefallen an Flocken. Bei Temperaturen um +2 bis +4 Grad muss man aber keine Sorge haben. Es läuft.
Um Burgos herum schneit es kräftig. Aber so war auch die Vorhersage. Wir fahren ja auch auf 700 bis gut 1000 m Höhe. Da darf es auch mal Winter sein. Und die vielen Schneepflüge sorgen auch für ein gutes Gefühl.
Nähe Valladolid bessert sich das Wetter, wird richtig sonnig, Grün kommt ins Spiel und Wim die schlechte Erinnerung an diese Stadt in den Kopf. Auf einem öden Parkplatz mitten in der Stadt verbrachten wir auf unserer ersten Reise mal eine Nacht. Passiert ist nichts, alles verlief gut, aber er hat eine Antipathie gegen diese Stadt. Komisch, aber egal. Lust und Nerven sind gegeben, einfach ein Stück weiter zu fahren und dort nach einem Schlafplätzchen Ausschau zu halten. Dabei überqueren wir den Douro, diesen irgendwie geheimnisvollen Fluss, dessen Ufer wir im begeisternden Porto vor Jahren schon bewundert haben, und die ersten Obstbaum-Plantagen und Rebenäcker tun sich auf. Viele werden auf der morgigen Etappe folgen.
Höhe Alaejos sehen wir links in den Feldern die Eremitage Ermita de Nuestra Senora de la Casita liegen, die wir als Nachtlager ausgewählt haben. Eine Runde durch den Ort drehen wir. Ein paar Dinge müssten wir einkaufen. Aber „Alimentation Perez“ hat leider geschlossen. Schade. Der Einkauf wird auf morgen verschoben, und wir fahren zum kleinen Parkplatz mit Picknickstelle hinter der Eremitage. Von hier aus hat man eine perfekte Aussicht. Die nahe AB stört nicht. Hier stehen wir gut. Und einen grandiosen Abendhimmel gibt‘s gratis dazu.
Tag 5 - 19.01.2023 Donnerstag
Klirrende Kälte, blauer Himmel. Frosty, the Snowman, hätte seine Freude. Ich las, dass die Winter in dieser Region sehr kalt sind und im Sommer brütende Hitze herrscht. Wohl kein Wunder in dieser ewig weit scheinenden fast baumlosen flachen Gegend auf gut 1000 m Höhe. Nach einem schnellen Gassi-Gang am hinter uns liegenden Hügel mit Pinienwäldchen sind wir flott startklar und brechen wieder zeitig auf. Ein schönes Plätzchen war das hier für die Nacht. Genau nach unserem Geschmack.
Wir tanken noch voll für 1,73 € pro Liter, was nicht so günstig ist wie erwartet. Bisher haben wir noch keinen besseren Preis erwischt, obwohl Mitcamper von 1,50 € berichten. Und die gähnend leere AB in der gähnend leeren Landschaft hat uns. Guckten auf der gestrigen Etappe noch hin und wieder Kirchtürme aus dem Boden, so sieht man heute, dass man nichts sieht. Ein paar Höfe, ein paar Hütten, ein paar Masten, und ansonsten Getreideäcker bis zum Horizont und zurück. Unaufregend und perfekt für unaufgeregtes Kilometerfressen. Heute wollen wir es rund 450 km weit bis möglichst in die Nähe von Sevilla schaffen. Mal sehn. Ohne Wind, ohne Regen, ohne Schnee, so wie es sich anlässt, dürfte das gar kein Problem bereiten. Flach geht es dahin, der Name ist wohl Programm: „Autovia Ruta de la Plata“ („Plata“ wird wohl „platt“ bedeuten ;-), machen wir also „Platte“.
Allerdings muss zwischendurch immer mal wieder geklettert werden. Es wird um Bejar und Plasencia herum gebirgiger und interessanter. In der Ferne liegen die mit Schnee gepuderten Gipfel der Sierra da Malcata, dem Grenzgebirge zu Portugal. Zeitweise fahren wir auf bis zu 1200 m, und Temperaturen schwanken zwischen Minusgranden und +14 Grad. Verstreut wachsen alte Olivenbäume und Korkeichen still vor sich hin. Am Himmel kreisen unzählige Greifvögel in Scharen. Wir fragen uns, was sie wohl suchen. Ob es ein Balzgehabe ist? Oder nur perfektes Futterrevier, das von oben beobachtet wird? Jedenfalls trudelt ein riesiger Vogel plötzlich wie ein Pfeil vor unsere Frontscheibe. Auge in Auge können wir sein wunderschön gefärbtes Gefieder bewundern. Er breitet seine Flügel voll aus und schafft es wirklich im allerletzten Moment aus dem Sog des Concördchens heraus. Das war knapp. Um Haaresbreite knapp. Es wäre fatal gewesen und extrem schade für diesen tollen Raubvogel. Ansonsten hält das Federvieh der Gegend die Bälle flach. Die vielen Störche sind beschäftigt in ihren Nestern überall auf Masten und Reklameschildern und mit der Futtersuche auf den feuchten Wiesen. Scheint ein sehr gutes Revier für sie zu sein. Vereinzelt hängt auch der Himmel voller Störche. Es sind wohl welche, die hier noch nicht sesshaft werden, sondern weiterziehen.
Vor Cacares überqueren wir die beiden Flüsse Tajo und Almonte. Immer ist dieser Anblick grandios. So auch heute wieder, weil auch das Wetter passt. Alles wird milder, die Gegend und die Temperaturen. Man sieht schon die Teppiche aus gelben Blütchen zwischen den Olivenbäumen, und die Tamarisken zeigen schon einen Hauch von Frühling. Einzelne Männer stehen auf den endlos weiten Rebenäckern und machen sich an den Rebstöcken zu schaffen. War das Land vor etlichen Kilometern noch voll in Getreidehand, so gehört die rötliche Erde jetzt voll und ganz der Traube. Macht ja auch Sinn. Was wären Brot und Oliven denn ohne Wein? Die Frage des Tages.
Die wird beantwortet auf unserem Nachtplatz in Monesterio. Gut, an Heimeligkeit wäre er fraglos schnell zu überbieten. Aber er hat etwas, was für uns heute äußerst reizvoll und sehr praktisch ist: einen Spar-Markt im Rücken. Und nebenbei erspäht: einen Döner-Mann gegenüber. Na wer sagt‘s denn. Wim besorgt ein paar Leckereien und Filtertüten, kredenzt danach ein paar Häppchen und ein Glas Wein. Chianga spielt eine Runde mit schon geparkten, überwiegend französischen Womo-Besatzungen auf vier Pfoten, die alle als Ziel Marokko haben. Puuuh, wir sind froh, den Ritt bis hierher im Sack zu haben. Morgen ziehen wir an Sevilla vorbei bis Algeciras, keine volle Tagestour mehr. Anstrengend war es alles in allem nicht - und auch wieder doch. Wie es halt so ist … auf Anreisen im Winter.
Tag 6 - 20.01.2023 Freitag
Gespenstig. Es begann an einem nebelverhangenen Morgen, nicht mal ein Hahn krähte, da irgendwo im Nirgendwo, in einem irgendwie erstarrten Dorf und seiner wenig einladenden Mehrzweckhalle. Ach, Quatsch beiseite, wir haben an diesem Platz gut genächtigt, alles bestens. Kostenlos dürfen wir auch noch V+E erledigen, selbst an den Strom hätten wir uns kostenfrei hängen können. Schon sehr liebenswürdig vom spanischen Dörfchen an der AB, den Campern so etwas zur Verfügung zu stellen. Zeitig knöpfen wir uns die letzte Etappe der Anreise vor und verlassen das Örtchen, das schon eher ein ausgewachsener Ort ist.
Kaum auf der AB, schon lockert sich der Nebel, wabert nur noch in den höheren Lagen und gibt sich irgendwann der Sonne geschlagen. Die Autopista del Sur ist kaum befahren, und wir erhaschen ein paar tolle Ansichten auf die Landschaft Nahe Sevilla. Manche Flächen sind übersät mit weißblühenden wilden Narzissen. Auch an einigen Sträuchern wagen sich schon weiße Blüten hervor. Aber auch kein Wunder. Unterwegs steigen die Temperaturen aus frostigen Tiefen bis hinauf auf 21 Grad. Schon moppelig.
Ein wenig mehr Verkehr erwartet uns um Sevilla herum. Über die hoch ansteigende Brücke über den Guadalquivir hinab blicken wir auf den großen Parkplatz mitten im gewerblichen Hafengetriebe, auf dem wir zur Besichtigung von Sevilla vor ein paar Jahren perfekt genächtigt haben. Immer wieder umkreist von riesigen Storchschwärmen am Himmel ziehen wir Richtung Jerez de la Frontera über fast plattes Land. Gelegentlich blitzen die für Andalusien typischen Pueblos Blancos, die weißen Dörfer, auf, die sich um kleinere Huckel in der Landschaft winden und von allgegenwärtigen riesigen schwarzen furchteinflößenden Pappkameraden offensichtlich behütet werden.
Im Zuge einer Besorgung lotst uns unser Rüdiger durch Algeciras. Warum auch über seitliche Zufahrten? Ja, die Frage stellt sich, als wir uns wie häufig mittendurch an Hauswänden und Blumenkübeln privater Anwohner vorbei und unter dem Geäst Früchte tragender Apfelsinenbäume über enge spanische Gassen entlang quetschen. Und das auch noch bergauf und bergab. Unfassbar. Ich denke, ich muss Rüdiger einfach weniger vertrauen, ich darf ihm nicht alles abkaufen ohne Hinterfragen. Manchmal ist der nämlich die totale Niete. Aber schön war‘s trotzdem.
Und nun aber ab, auf die Stadtautobahn, die blauen Hafengiraffen grüßen schon vor dem Fels von Gibraltar weit übers Häusermeer hinweg, Ausfahrt 112, Carlos besuchen, Tickets fassen, Parkplatz stürmen. Alles verläuft wie gewohnt zügig und perfekt. Carlos betreut die in Schlange vor seinem kleinen Büro wartenden Kunden. Seine Familie regelt die Formalitäten, informiert sehr freundlich, verkauft die Fährtickets (Open Ticket Tanger Med 310 € / Ceuta 260 €) und händigt die legendären Präsentchen gut geschnürt in einer Plastiktüte aus. Schön, wenn mal etwas einfach „wie immer“ ist. Man erzählt uns, letzte Woche haben die Kunden rund um das ganze Carrée für die Tickets angestanden. Es seien sehr viele Camper unterwegs nach Marokko. Jawoll … da wird‘s an den Hotspots auch Geknubbele geben. Wir werden sehen, denn morgen um 10 Uhr geht die Fähre, eine Stunde vorher muss man da sein. Obwohl wir alles kennen, ist doch wieder etwas wie Reise-/Lampenfieber da, das während des Einkaufs im Carrefour abgelenkt wird und sich nicht sonderlich ausbreiten kann. Wir nehmen eine Parkplatzlücke ein, brechen mit der Tradition, etwas vom MacDo gegenüber zu holen, verzehren stattdessen ein Grillhähnchen aus dem Supermarkt und freuen uns auf morgen.
Aufgeregt … Afrika … Marokko …