Tag 86 - 09.04.2023 Ostersonntag
Heute ist es soweit. Heute wird es gelb. Aber als wir zeitig aufpacken und erst später sehen, dass die Fähre blöderweise erst um 12 Uhr geht, wir aber schon um kurz nach 8 soweit sind, wissen wir das noch nicht. Egal, sind wir eben zeitig genug im nahe liegenden Hafen Tanger Med. Wir verabschieden uns vom schönen passend liegenden Plätzchen in der Bucht, sicher werden wir hier nochmal unsere Zelte aufschlagen. Geheimtipp ist es zwar nicht mehr, und wenn, dann einer, den viele kennen. Denn am Abend flogen noch einige Womos ein. Mit einem Blick zum schönen Anwesen oberhalb der Bucht, das durch seine Bauart auf Spanien schon perfekt einstimmt, klettern wir auf die höher gelegene Hauptstraße und ziehen Richtung Hafen, zunächst zwar in falsche Richtung, da man mit Womo bzw. mit über 3 m Höhe nur über die Autobahn hinkommen kann. Also kleine Ehrenrunde, dann klappt‘s auch mit dem Einlaufen, und wir gelangen vorbei am für uns wohl letzten Kreisverkehrhund Marokkos auf das Hafengelände.
Menschenleer ist fast alles. Einzelne Beamte weisen uns die passenden Wege zum Einchecken bei der Fährgesellschaft, Prüfen der Fahrzeugpapiere, Prüfen der Pässe, Prüfen des Womos inkl. Abschnüffeln durch deutschen Schäferhund, Prüfen des Womos durch Röntgen, irgendwelche Papiere für Chianga will man nicht sehen. Waren wir auch früh hier, so hat man mit Vorziehen, Warten, Schalterabfertigungen, Warten, Schleifen fahren, Warten, Spur einnehmen, Warten etc. genug zu tun. Gerade ist es noch möglich, eine Tasse Kaffee reinzupfeifen, und schon gucken wir in das weit aufgerissene Fährenmaul. Knallgelbe Streifen und ein farblich passender Warnwestenmann, übrigens wie seine Kollegen alles Menschen aus Asien, lotsen uns in den Schiffsbauch und eine Rampe hinauf. Wie üblich Zentimeter genau werden etliche Womos platziert, auch Kolonnen von spanischen bis über die Ohren eingesauten Geländewagen, deren Besatzungen sicher Spaß hatten, werden lückenlos geschichtet. Fast auf die Minute genau legt die 12-Uhr-Fähre um 12.04 Uhr ab. Bedauerlicherweise ist es auch, wie auf der Hinfahrt, nicht möglich, auf ein Außendeck zu gelangen. Alles zugerammelt. Das ärgert mich sehr, aber was will man machen. Evtl. müssen wir beim nächsten Mal bei Carlos nachfragen, ob FRS da Besseres möglich macht. So hocken wir uns abseits in eine Sitzecke, Blick aufs Meer durch eingesaute Scheibe, Chianga-Mäuschen schnarchend zu unseren Füßen. Ja, nachdem häufig zu lesen war, dass Mitcamper ihre Hunde mit an Deck nehmen, wollen wir das auch mal testen. Und ja: es war kein Problem, niemand fühlte sich gestört, niemand fragte nach.
Unproblematisch rollen wir nach gut einer Stunde, wieder an knallgelben Streifen vorbei, auf den festen Boden der iberischen Halbinsel. Europa hat uns wieder. Und der erste Trillerpfeifenpfiff einer spanischen Uniformierten mit verkniffenem Gesichtsausdruck gilt uns, scheinbar nähern wir uns zu zögerlich der Spur Richtung Ausfahrt. Ihr genervter spanischer Redeschwall auf meine Nachfrage braucht keine Übersetzung. Wir zuckeln weiter, und mir fliegen die Bilder der lächelnden Gesichter und galanten Gesten, oft mit Hand aufs Herz, der marokkanischen uniformierten Ordnungshüter vor das geistige Auge, Bilder, die Leben leicht machen. Aber die folgende hellblaue Farbe hat auch etwas Leichtes, obwohl Schweres gestemmt wird. Kenner meiner Tagebucheinträge ahnen, dass ich das Blau der Kräne im Hafen Algeciras meine, die ich so gerne „Hafengiraffen“ nenne. Ich könnte sie stundenlang beim Spielen mit den bunten Klötzchen beobachten. Irgendwie freut mich ihr Anblick heute sehr. Er macht deutlich, wir sind wieder wohlbehalten auf unserem Kontinent angekommen und trotz wunderschöner Reisetage im wirklich geliebten Marokko froh, dass es wieder gen Heimat geht.
Kurz winken wir mit einem „bis nächstes Jahr“ in Palmones am Carrefour vorbei zu Carlos Ticketbude rüber, bevor es am Meer entlang geht, ja auch an dem aus Wasser, dazwischen an dem Häusermeer aus Beton und Stahl und Glas. Der Wahnsinn immer wieder, so aus Marokko kommend. Das Grauen für uns, wobei ich nicht verkenne, dass andere Menschen es lieben, erstreben und schätzen und es für sie Glück bedeutet. Gut, jeder Jeck ist anders, jeder so wie er mag. Rosinen wollen gepickt werden.
Zum „Rosinenpicken“ gehört jetzt auch das Dahinschnurren auf der Autobahn. Wir fahren bewusst nicht küstennah, sondern schlagen uns etwas durchs Inland. Frei, kaum Verkehr, im zum Glück nicht mangels Nutzung eingerosteten sechsten Gang wird sogar gefahren, oha, hatten wir lange nicht mehr dieses gleitende sanfte genussvolle Dahinschlürfen. Die extrem aufgeräumt wirkende Landschaft mit ihren sich bis zum Fels hinauf ziehenden Olivenplantagen beruhigt zusätzlich. Gebirgig ist es, Gehöfte und Örtchen liegen einsam verstreut, ein Hauch einer Parallele zu Marokko, auch weil das Gelb der blühenden Ginsterbüsche leuchtet.
Gegen 18 Uhr erreichen wir das Ziel für heute, einen SP im Städtchen Loja. Neu bei park4night gelistet und noch nicht genehmigt, sind wir gespannt, ob das alles so ok ist. Der Ort liegt unweit der AB am Berg, der Platz unterhalb an einer Mehrzweckhalle am Flüsschen Genil. Das Knallgelb der Halle macht schon Laune, sich davor zu klemmen und die Nacht zu verbringen. So schließt sich der Kreis für den heutigen Tag, der mit Gelb begann und mit Gelb endet, wozu auch das knusprige Goldgelb der Tapas-Variationen gezählt werden darf, die Wim irgendwo ergattert und über die wir lustvoll herfallen, während ein Hirte seine Zicklein über die Uferböschung führt. Ja, sind wir denn noch in Marokko. Ach Marokko … ja … ich könnt‘ schon wieder … niemals geht man so ganz …
Tag 86 - 10.04.2023 Ostermontag
Dottergelb um uns. Ei ei ei … ein sonniger Tag beginnt. Für uns allerdings spät, wir schlafen noch nach Marokko-Zeit, aber hier in Spanien ist halb 8 schon halb 10. Frühstart damit ausgeschlossen. Nach V+E verlassen wir unser wie aus dem Ei gepelltes feines Plätzchen und machen uns durchs Städtchen auf den Weg zur Autostrada.
Hier tut sich zunächst wenig, es läuft, bei dem auf einem schnöden Autotransporter vor uns recht unelegant hängenden norwegischen Bentley tut sich quasi nichts, er lässt fahren, lässt einen fahren, will sicherlich nicht die ganzen Kilometer auf dem Tacho haben, von Andalusien bis Norwegen ist ja schon ein Pfädchen, schmälert den Wiederverkaufserlös, hat man nicht gerne.
Dann wird‘s aber um Granada herum doch noch spektakulär. Die Sierra Nevada mit ihren steinernen schneebedeckten Riesen schiebt sich seitlich ins Bild. Gigantisch schöne Aussicht, obwohl es leicht dunstig und verhangen in der Luft ist, der Himmel nicht ganz blitzeblau und die Konturen leicht suppig verschwimmen.
Hinunter geht es ins Gebiet der Höhlenwohnungen und Felsenhäuser. Ein Hauch Kappadokien liegt über dieser Landschaft, aber auch wirklich nur ein Hauch. Weite Ebenen mit Obstbäumen tun sich auf. Die Blütezeit ist vorbei, einheitliches Frühlingsgrün zieht sich exakt über die Flächen, geht über in dunkleres Grün der riesigen Brokkoli-Felder und silbriges Grün ebenso großer Artischocken-Äcker. Hin und wieder stehen brav verhüllte Weinreben herum.
In Totana nehmen wir die Ausfahrt. Unser Navi-Rüdiger ist ja ab Algeciras wieder zugestiegen, die Straßenkarte Marokko weggepackt. Der Urlaub vom Lotsen ist ihm scheinbar gut bekommen, zweifelsfrei und gut macht er seine Ansagen, und wir erreichen nach 12 km an schmucken Eigenheimen in sonnigen Lagen vorbei über ein sich am Ende durch lichten Pinienwald nach oben schlängelndes Sträßchen unser Tagesziel für heute. Schön wie erhofft liegt vor uns ein großer sehr fein und ordentlich gestalteter Parkbereich, auf dem schon ein paar Mitcamper locker verteilt stehen. Wir gesellen uns dazu.
Aber das eigentliche „Aha“, das ich mir direkt mal zu Gemüte führe, gilt „Santa Eulalia“. Nein, es handelt sich dabei nicht um einen hier komponierten Song aus der Feder des Senor Iglesias, nein. Es ist ein im Jahr 1574 mit den Almosen Gläubiger errichtetes Heiligtum, eine Enklave von großer Bedeutung für die Bewohner Totanas. In dieser natürlichen Umgebung in den Ausläufern der Sierra Espuña feiern sie jedes Jahr Anfang Dezember und am 7. Januar die Wallfahrten, an denen ganz Totana hierher zieht, um die Schutzpatronin anzubeten. Gegründet wurde der Wallfahrtsort von den Rittern des Ordens von Santiago im 13. Jahrhundert. Sie bauten es zu Ehren von Santa Eulalia de Mérida, die hier der Legende nach erschienen sein soll und seitdem viele Kranke durch das Trinken des Wassers aus dem Brunnen geheilt wurden.
Ich schlendere durch die beeindruckend gepflegten Höfe, Gärten und Anlagen, kaum jemand ist unterwegs, ein Gesumme von Tausenden Bienen, die im Blütenmeer der Bäume baden, begleitet mich. Ein paar Tauben wackeln, ein paar Katzen hängen herum.
Leider ist das schwere Tor zur Kirche verschlossen, aber ein Schild zeigt, dass ab 17 Uhr geöffnet ist. Da habe ich ja Glück. Und paar Minuten später tönen vom Glockenturm fünf Glockenschläge, ein älterer mürrischer Mann öffnet grußlos die Pforte, ich kann hinein. Ein im Moment des Betretens des Kirchenraums wirklich überflutendes und quasi erschlagendes Bild tut sich auf. Sprachlos steh ich rum, muss erstmal sortieren.
In heutiger Form wurde die damalige Einsiedelei im 16. Jahrhundert wieder aufgebaut und mit der Kassettendecke im Mudéjar-Stil geschmückt. Die Wandgemälde stammen aus dem Jahr 1624 und spielen auf das Leben von „La Santa“ an, von Jesus Christus und den Franziskanern. Es gibt 48 Szenen, in zwei Streifen unterteilt, mit 216 Figuren, wobei witzigerweise eine barbusige Dame von einem Maler „angekleidet“ wurde. Ich wäre gerne dabei gewesen, als er sie evtl. noch unter dem Geschmunzele seiner Kollegen züchtig mit Pinsel verhüllte. Die hatten sicher Spaß, ob mit oder ohne vorgehaltene Hand.
Prunk und Pracht und Glanz und Gloria verströmt in geballter Ladung der Altar in der im 18. Jahrhundert hinzu gekommenen Grotte. Er steht an der Stelle, an der Santa Eulalia de Mérida erschienen sein soll. Es riecht typisch nach kühlem Kirchenraum mit einer deutlichen Note „Blumenvasenwasser“. Viele Sträuße frischer Blumen reihen sich im Altarraum aneinander, reichen aber an die Strahlkraft des aufwändig gearbeiteten Schreins nicht heran. Ich sitze eine Zeit lang in der ersten Bank. Zeit für einen Dank für eine glückliche Reise, Zeit für Gedanken an meine Liebsten, um mich und im Jenseits.
Ein schöner Tag geht zu Ende, bleibt harmonisch, auch die Flimmerkiste trägt später einen Teil dazu bei, da sie verschiedene Bauern in ihrem Glück zeigt, wir mögen die Sendung. Und wir mögen auch „Häppchen-Time“. Auch dafür ist heute mal wieder seit langem Zeit. Dem Wunsch einer einzelnen Dame (vorne mit „H“, hinten mit „eidemarie“) würden wir ja gerne entsprechen und ihr die Platte kredenzen … aber uns trennen zuuuu viele Kilometer. Deswegen müssen wir leider leider alles alleine verputzen, zusammen mit den zwei allerletzten Büchsen Bier aus dem Marokko-Vorrat. Timing ist alles.
Tag 87 - 11.04.2023 Dienstag
Unter der Rubrik „kein Tag wie der andere“ ist der heutige schnell abgehandelt. Frohgemut verlassen wir unser lauschiges Pinienplätzchen am heiligen Gemäuer. Schlagartig ändert sich die Gemütslage, da wir uns durch spanische Gassen und über Ramblas am Flüsschen entlang auf der Suche nach einem Supermarkt quetschen müssen. Bedrohliche Lage für mich als Navigateuse, denn das Innenleben spanischer Orte ist mir nicht geläufig. Italienische und französische Verhältnisse keine Frage, aber wie sieht Spanien „innen“ aus, bauen die mit Balkonen, hängen Leitungen über Straßen, und wenn ja, wie tief. Ja, alles Fragen, die mich nerven im Moment. Sehr.
Wir finden einen Markt, kaufen ein, die Preise scheinen mir sehr niedrig zu sein, wenn ich mir die deutschen so in Erinnerung rufe. Nach Volltanken machen wir uns auf den eigentlichen Weg. Es gibt nichts Bewegendes zu berichten, außer dass wir uns ein Stück weiter nach Norden bugsiert haben. Die Gegend ist eintönig, eintönig wie das Autobahnfahren. Wim sieht es etwas anders, muss er doch nicht wie ein Schießhund aufpassen und kann laufen lassen.
Nach rund 300 km fahren wir vor Valencia Richtung El Saler ab. Hier standen wir mal zwecks Besuch von Valencia auf einem SP. Die Stadtbesichtigung fiel aber ins Wasser, es regnete aus Eimern, und wir zogen weiter. Das soll nun nachgeholt werden. Lt. p4n gibt es ein paar Parkplätze am Meer, wo man übernachten kann. Etwas zweifelnd angesichts der sich immer weiter zuspitzenden Lage was Übernachtungsplätze angeht, fahren wir einen Parkbereich am Strand an. Und siehe da: sehr sehr gut belegt mit Womos aller Arten. Ein deutscher Mitcamper berichtet, die Polizei fahre jeden Abend herum, Campingverhalten dulde man nicht, aber sie und viele andere stünden tagelang hier. Gut, dann parken wir auch mal ein und freuen uns über das strandnahe Plätzchen. Stühle bleiben erstmal drin. Wir gucken etwas herum und essen ein leckeres Schinkenbrot (spanische Güteklasse).
Ein deutscher Mitcamper fährt vorbei, ein Polizeiwagen kommt entgegen. Der Camper steigt aus mit einem Zettel in der Hand, zeigt diesen den Polizisten, sie reden und kopfschüttelnd steigt der Camper wieder in sein Womo. Ich frage ihn, ob er ein Knöllchen bekommen habe. Ja, habe er, aber für die ausgefahrene Markise, die habe er nur ein Stück zum Trocknen ausgefahren, aber Bußgeld sei fällig, deswegen müsse er nun zu irgendeiner Stelle nach Valencia. Als die Polizei nach ihrer Runde wieder bei uns vorbei kommt, frage ich nach. Nein, Camping sei verboten, Übernachten auch, stehe aber nirgendwo, sei egal, es sei unser eigenes Risiko. Meine Frage, ob sie denn heute nochmal vorbei kommen, fanden die beiden Beamten nicht spaßig. Gut, ob sie nun abends oder nachts die locker mal 30 Womos, Tendenz steigend, mit Knöllchen versehen oder nicht, wird uns verborgen bleiben. Wir schließen nämlich die Luken und verlassen den Ort, drehen genervt eine Runde, finden einen CP, der uns trotz offenbar Übergröße unseres Concördchens eine Lücke verhökert, parken zwischen zwei Bäumen mit Blick auf sehr in die Jahre gekommene „Reihenbungalows“ ein und erfreuen uns an der Geräuschkulisse, ausgehend von der unmittelbar angrenzenden stark befahrenen Stadtautobahn und der Einflugschneise über uns zu irgendeiner Landebahn. Eine Nacht kriegt man mit jedem Platz um, so wie einen Tanz, wie meine Oma immer sagte, den man auch nicht ausschlagen sollte und mit jedem umkriegt. In einer Art Laube gegenüber findet sich derweil eine ganze Sturm-und-Drang-Gruppe halbgarer Burschen und Mädels zusammen, willens und in der Lage, sich lautstark balzenderweise anzunähern. Was geht Alter … werde ich morgen berichten können.
Tag 88 - 12.04.2023 Mittwoch
Was geht? Die Frage von gestern ist flott beantwortet: hier in dieser Ecke auf diesem CP geht nix mehr. Valencia wird erneut verschoben. Es ist uns zu ungemütlich hier. Begründet oder unbegründet spielt eben manchmal keine Rolle. Die Tagesform rät: Zelte abbrechen, weiterziehen. Wir kehren den gammeligen schmuck- und reizlosen Mobilhomes den Rücken, schwingen uns über den breiten Kanal der oder des Turia, erhaschen noch ein paar Blicke auf die futuristischen Bauten im Hafengelände und Hochhaussiedlungen am Stadtrand von Valencia, bevor wir an terrassierten Weinhängen vorbei unser nächstes Ziel CP Tauro in Benicassim erreichen.
Wir freuen uns, auf Schwester und Schwager zu treffen, die mit ihrem Wohnwagen auf dem mitten in Wohnvierteln gelegenen CP aufgeschlagen haben und sind gespannt, wie wir so miteinander zurecht kommen. Ausgesprochen freundlich begrüßt uns eine junge Frau an der Rezeption, markiert auf einem Lageplan die freien Plätze, erschreckt sich zunächst beim Anblick der Concördchen-Front und stammelt, dass dafür kaum Platz sei. Immer wieder das gleiche, obwohl unser Concördchen ja echt nur Zwergenformat hat, aber auf den ersten Blick aufgebläht daher kommt, eine Mogelpackung dieses Ding. Klar passen wir, auch wenn die beiden Sträßchen recht eng sind und die Camper ihre Parzellen über die Randsteine hinaus bis zum letzten Millimeter bündig mit dem etwas maroden Asphalt ausfüllen. Da blinzeln schon tief so etliche silberne Kuppeln von Deichseln in die Fahrspur, tückisch, ebenso wie die übers Ziel hinausschießenden Metallstangen von Vorzeltkonstruktionen in einer Höhe, die für aufgeschlitzte Außenhaut am Concördchen herhalten könnte. Aber schadlos fummelt Wim unser Gefährt am tollen Pool vorbei in eine Lücke direkt hinter den Wowa meiner Schwester. Kurz rangieren, passt, keine Frage, wunderbar. Stühle raus. Außerdem bocken wir, zur allgemeinen Erheiterung der Verwandtschaft, die nicht zuhause ist, weil man uns erst morgen erwartet, sämtliches echtes Camping-Equipment auf, also Tisch und gleich 2 Beistelltische, Fußauflagen, Räder und Hänger raus, Auslegware, schön positioniert, und selbstverständlich Tischwäsche, unbedingt Tischwäsche, Tischwäsche mit Solarlämpchen. Ja, wir können auch Camping, nicht immer nur spartanisch Flodder-like. Und natürlich versteht meine Schwester sofort den Hintergrund unseres schön arrangierten Außenbereichs mit Deko, nachdem sie eintrudeln, wir uns freudig begrüßen und sie sich schon beim Anfahren auf den Platz sehr darüber aufgeregt haben, dass sich nun blöderweise irgendein Typ ausgerechnet auf den freien Platz hinter sie gestellt hat, obwohl doch noch einige andere frei sind. Als das Abendrot die Häuserzeilen der Nachbarschaft abzufackeln scheint, haben wir uns längst eingelebt.
Tag 89 - 13.04.2023 Donnerstag
Die Gegend hier fordert auf zum Radfahren. Wir kennen sie von vorhergehenden Reisen, immer auf Durchreise auf unserem Weg nach Marokko. Nach dem Besuch des heutigen Wochenmarkts, auf dem uns bisher noch nie gesehene lustige Zipfeltomaten anlachen, biegen wir auf der Promenade ab Richtung Süden. Castellon steht auf dem Programm. Statt durch felsige tiefe marokkanische Schluchten radeln wir vorbei an Häuserschluchten sehr gepflegter unterschiedlichster Appartmenthäuser, die fast menschenleer in den blauen Himmel ragen und auf Belebung warten. Leidlich interessant ist es, aber der Blick auf den langen schönen Strand und das Meer entschädigt und macht die Radtour im lauen Lüftchen auf absolut holperfreier Promenade so richtig zum Vergnügen. Ein kleiner Einkehrschwung in einem Strandcafé im Sand rundet das sonnige Feeling ab, bevor es an einem kurzen unbebauten Strandabschnitt vorbei geht, auf dem sich etliche Kitesurfer vergnügen.
In Castellon passieren wir den Golfplatz und einen sehr außergewöhnlichen halbrunden Wohnkomplex. Nach einer alten Parkanlage mit wunderschön blühenden Bäumen erreichen wir die Hafenpromenade mit Casino, Leuchtturm, Plätzen und Wasserspielen und vielen Lokalen und Buden. Letztere haben leider noch nichts im Angebot, wir sind zu früh. Also genehmigen wir uns in einem Restaurant eine Stärkung. Tintenfischringe sind gut, ebenfalls die kleinen, im Ganzen gebackenen Tintenfischchen. Die Paella trifft aber so gar nicht unseren Geschmack. Sie schmeckt sehr nach „muss heut mal schnell gehn, da hau ich mal den Rest Bratensoße von Sonntag mit dem Rest Reis von Samstag in die Pfanne, lasse das Ganze ordentlich anbrennen und lösche mit Salzwasser ab“ und „puuuh, fast vergessen, die 9 weißen Bohnen aus der Dose noch flott unterrühren, das gibt den besonderen Kick“. Aber das Bierchen ist so, wie es sein soll, frisch und lecker.
Die Rückreise verläuft entspannt und fröhlich. Und da auch in unseren Vorräten noch Reste dümpeln, finden sie in Häppchenform den Weg in unsere Mägen, sind um einiges köstlicher als die Reispampe in spektakulärer Pfanne. Und wieder brennt der Himmel - und unserem ohnehin miesmuscheligen Nachbarn die Sicherung durch. Kurz nach 22 Uhr verliest er uns die Hausordnung, wir sind zu laut. Ohweh. Wären wir nicht derart perplex, ich hätte ihn auffordern wollen: „Trink doch ene mit, stell Dich niet esu an“. Morgen, ggf. morgen, ist ja auch noch ein Tag, ein Abend …
Tag 90 - 14.04.2023 Freitag
Obwohl wir den Radweg über die Via Verde nach Oropesa vor Jahren schon einmal gefahren sind, machen wir uns heute nochmal auf den Weg dorthin. Richtig warm ist es, obwohl der Himmel leicht verhangen ist. Immer an der Küste entlang über die Klippen ziehen wir dahin auf der ehemaligen Bahnstrecke, die mir dieses Mal erheblich kürzer vorkommt als beim letzten Mal. Oropesa begrüßt uns mit bunten Häuschen. Man glaubt, ein Riese habe seine Spielsteinchen vom Monopoly abgestellt. Schlossallee gibt‘s jedenfalls hier, zwar ohne Schlösschen, dafür mit gepflegten Blumenbeeten, feiner Promenade, toller Bucht mit türkisfarbenem Meer, das gerade von einem Haufen wildgewordener Jetski-Fahrer unter ohrenbetäubendem Lärm durchgepflügt wird. Dazu wird die Gegend beschallt mit wummerndem Bass aus riesigen Boxen. Aber Zuschauer und Teilnehmer eines offensichtlichen Rennens haben Spaß. So soll es sein. Etwas abseits lassen sich die älteren Herrschaften aus ihren Sätteln fallen und platzieren sich in zweiter Reihe zu einem Stückchen Knusperkuchen mit allen möglichen Nüssen auf Honiggelee. Powerriegel im Blechkuchen-Design. Dazu lassen wir uns Kakao servieren. Lauwarme Todsünde in Tassen. So dickflüssig und zähfließend vom Löffel fallend, dass kein Nusskrümel die Chance hat, aus der Mundhöhle in den Schlund geschwemmt zu werden. Vielmehr gleitet er geschmeidig schokoladig umhüllt in die Tiefe. So sitzt man plötzlich da, im Sonnenschein, genießerisch, zeitvergessen, Kaffeelöffel ableckend und Tasse auskratzend, lediglich unterbrochen von einem gehauchten „boah ey“ oder „mmmmmhhh“ unter verheißungsvollem Augenaufschlag. Für einen ewigen Moment war auch das Bassgewummere weg, einfach weg, verdrängt von Schokolade, ersäuft quasi. Ohne Anhalten ziehen wir die Rückfahrt durch. Muss sein, mit freundlichen Grüßen an die Blutzuckerwerte. Und morgen verlassen wir die Touristenmeile, die Natur ruft.
Tag 91 - 15.04.2023 Samstag
Gute 100 km trennen uns vom Ebro-Delta. Wir haben Glück, da unser Schwager sich auch breitschlagen lässt, eine nächste Etappe mitzuziehen. Wir freuen uns auf das Delta, googeln einen schönen CP, hoffen auf tolle Eindrücke und ziehen los. Sehr küstennah führt die kaum befahrene Route durch schöne Landschaft mit vielen Hügeln und Kuppen und Burgruinen.
Die Sonne strahlt warm und fällt hinter La Rapita auf tellerflaches Land, hellbraune, bewirtschaftete Ackerflächen mit verstreut darauf liegenden kleinen Gehöften und Häuschen. Die „Reiskammer Spaniens“ hat uns. Je nach Lichteinfall könnten die Äcker auch Wüstenflächen sein, vor allem, wenn ein Häuschen im maurischen Stil darauf steht. Zahlreiche Kanäle ziehen sich durch die Flächen, mit Wasser gefüllt oder ohne. Es wird vermutlich nach einem System bewässert. Irgendwann geht die jetzt noch braune, künftig aber durch die sprießenden Reispflanzen wohl knallgrüne Ackererde über in Sand, Rinder stehen bis zu ihren Hälsen in Meerwiesen, und wir erreichen unser Tagesziel.
In Eucaliptus nisten wir uns auf gleichnamigem, sehr ansprechend angelegten CP ein. Wim schneidet erstmal einen auf dem Dach hängenden Ast ab. Hier herrscht Ordnung, alles ist vorgerichtet, und dennoch sitzt man sehr natürlich auf dem Waldboden zwischen hohen Eukalyptus-Bäumen mit Blick auf Meerwiesen, hinter denen irgendwo in der Weite Strand und Meer liegen.
Weite, ja, die Weite kann man hier wirklich perfekt erleben. Kurz durch ein Törchen über einen Holzsteg und schon hat sie einen. Hier stört niemanden nichts. Man sieht kein Ende, man sieht keinen Anfang, einfach Weite.
Wenn man so auseinander zu fallen droht, ein Phänomen der Weite, braucht der Mensch etwas, das ihn zusammenhält. Da haben meine Schwester und ich schon mal vorgesorgt: 2 Lümmel für Mannsbilder, 2 Damen-Schnittchen. Letztere aber nur deshalb, weil der Supermarkt nur noch 2 Lümmel in der Theke hatte. Heute wird gegrillt. Lecker ist‘s.
Tag 92 - 16.04.2023 Sonntag
Wir wollten Natur - wir bekommen Natur. Und wie! Wir satteln auf und schwenken hinter dem CP nach rechts ab in Richtung der Insel La Banya, die größere der beiden Nehrungen, die südlich und nördlich der spitz zulaufenden Mündung des Ebro wie Flügel in die Küstengewässer ragen. Erstmal ist die knüppelharte Sandpiste an der Reihe. Trabucador nennt sich die schmale trockenliegende Sandbank, die Verbindung zwischen der Delta-Ebene und der Insel. Breit, weit, schier endlos. Man könnte in weiter Ferne das Ende der Landzunge und die zur Lagune gelegenen Salinen erreichen, aber wir bevorzugen heute die sumpfigen gefluteten Bereiche mit ihren abwechslungsreicheren Bildern, tollen Farbspielen und hoffen auf beste Ansichten vielfältiger Bewohner.
Und es gelingt. Wie bestellt, zeigen sich die ersten Exemplare der graziösen langbeinigen Vögel, stolzieren gelassen in kurzem Abstand in kleinen Grüppchen durch die Sumpf- und Feuchtgebiete des Deltas, das 1983 zu einem Drittel mit 80 qkm als Parc Natural del Delta de l‘Ebre ausgewiesen wurde. Hier bietet sich den Flamingos, die zu der Gruppe der Stelzvögel gehören, wen wundert‘s, ein perfekter Lebensraum. Während Jungvögel noch ein weißes Daunenkleid mit grauen Flecken tragen, zeigen die älteren Tiere wunderschön rosa oder lachsfarben gefärbte Beine und Gefieder, da sie spezielle Carotinoide mit ihrer Nahrung aufnehmen, die dafür sorgen. Und mit Nahrungfassen sind sie fast dauerhaft beschäftigt, indem sie mit ihrem kräftigen Schnabel unter der Wasseroberfläche gründeln, Wasser und Matsch aufnehmen, diesen durch die Seiten ihres sogenannten „Seihschnabels“ hindurch pumpen und so kleine Krebstierchen und Algen herausfiltern.
Zwei der eleganten Vögel üben sich im Synchron-Gründeln. Mag sein, der Wettbewerb läuft auch schon, denn unermüdlich und unerschrocken stelzen sie in fast exakter Körperhaltung und mit identischer Entschlossenheit durch die Fluten. Wenn die 2 nicht den ersten Platz machen, dann geht irgendwas nicht mit rechten Dingen zu. Flamin go go go …
Unterdessen hat im Becken nebenan Frau Möwe zur nächsten Yoga-Session gepfiffen. Ja, sie macht den Eindruck, als verstehe sie wenig bis keinen Spaß, und gutmütig gibt eine Flamingo-Schar ihr Bestes. Auch wenn bei der sehr schwierigen Yoga-Position „Einbein-Federball aufrecht“ in Kombination mit „Schlangenhals gewickelt eingedreht“ noch nicht so ganz alles fluppt, einige Teilnehmer in leichte Schieflage geraten, sogar das zweite Stützbein einsetzen müssen oder sich verlegen am Kopf kratzen, so sieht es doch im Gesamtbild schon recht passabel aus. Ein zwei Lektionen, und Frau Möwe wird die Körper schon zurecht gebogen haben.
Nach diesen aufregenden Studien zieht es uns nach El Poble Nou del Delta, langer Name, kleines Örtchen, langer Kirchturm, keines Päuschen. Hier munden Tapas und Weinchen in der Sonne. Flamingos am Morgen, vertreiben Kummer und Sorgen. Wie wahr!
Und weiter geht es auf unserer Tour de Vogelkunde. Die Kanäle, Pfützen, Weiher, Seen und Sümpfe hier im Schwemmland des Ebro sind ein sehr artenreiches Brut-, Rast- und Überwinterungsgebiet für viele Vogelarten. Man zählte 300 verschiedene Arten. Wir freuen uns jedenfalls über jeden Piepmatz, der uns begegnet, egal ob Stelzer, Schreiter, Schnäbler, und was auch immer so zwischen Acker, Sumpf, Iris und Calla herum spaziert. Sie machen die Runde sehr erlebnisreich und entspannend.
Lustig sind aber auch Beobachtungen zwei besonders auffälliger Typen. Mal abgesehen davon, dass sie wenig Scheu haben, sehr unhektisch auf uns reagieren, ist ein größerer dunkler Vogel durch seinen Gang und sein Gepicke so trollig, eine andere Art durch ihre Zerbrechlichkeit mit den grazilen feinen Beinchen so lustig. Es macht einfach Spaß, sich von ihnen unterhalten zu lassen.
Der Rückweg durch die Felder ist ebenso herrlich wie die Hinfahrt. Letztlich kommen heute fast 50 km im Sattel zusammen, die fetten Tapas dürften wir rausgefahren haben.
Aber einen hab ich noch, von dem ich das Objektiv nicht lassen kann. Er steht allein, alleinstehender Herr evtl., ich erkenne es nicht, jedenfalls scheint er seine Ruhe zu brauchen, mal Zeit für sich, obwohl Flamingos ja gerne in Kolonien leben, die sogar aus über 10.000 Vögeln bestehen können. Fein, ich banne ihn. In Marokko war es mir leider „mangels Masse“ nicht vergönnt, aber heute! Sonntag eben.
Tag 93 - 17.04.2023 Montag
Das Glück der Erde, liegt auf dem Rücken der Pferde. Daher reiten wir nochmal los. Hunde in den Kutschen immer hinten dran, problemlos, welch ein Glück! Heute schlagen wir die andere Richtung ein. Im Ebro-Delta sollte man den Ebro wenigstens mal gesehen haben. Ab durch kleine Orte mit üppigen Gemüsegärten und weite Felder, die vorbereitet noch bis Juni auf die jungen Reispflänzchen warten müssen, ziehen wir dahin durch sehr ländliche Gegend. Alles wirkt einfach, bodenständig, verwurzelt, aber auch verschlafen. Dieser Eindruck wird sich vermutlich nicht halten können, sobald es um die Ernte der rund 90.000 to Reis auf 22.000 Hektar Fläche, immerhin Dreiviertel der Delta-Ebene, geht. Erste Versuche des Reisanbaus gehen zurück auf das Jahr 1609, allerdings wurde die Ebene erst Mitte des 19. Jahrhunderts nachhaltig für den Reisanbau erschlossen und gehört heute zu den größten Reisanbaugebieten Spaniens. Verschiedene Sorten Rundkornreis baut man an, der ausschließlich in Güteklasse A verkauft wird und von weltweit einzigartiger Qualität ist. Und bevor im Oktober diese für die traditionellen spanischen Reisgerichte, von denen die Paella das bekannteste ist, besonders geeigneten Sorten geerntet werden können, wird sich über die Landschaft ein dichter grüner Rasenteppich ziehen. Das sieht ganz sicher herrlich unwirklich aus. Und zu zum Ohrwurm mutierenden „Ein Bett im Reisfeld …“ in meinem Kopf, mischt sich ein Gesumme von Moskitos und die Frage bzw. die Sicherheit, dass es zu bestimmten Zeiten wohl Unmengen geben muss. Dann aber reißaus …
Hinter einem gefluteten und mit den dicken braunen Vögeln bevölkertes Ackerstück erblicken wir den Ebro. Breit und still schiebt er sich kaum merklich durch sein gut gefülltes Bett. Parallel zum Ufer folgen wir nach links abbiegend dem tollen Radweg, der hier beginnt. Sehr idyllisch ragen kleine Stege in den Fluss, es gibt einige Sitzgruppen mit Mülleimer und immer einen schönen Blick auf Ufer und Fluss unter leicht bewölktem blauen Postkartenhimmel.
Bald erreichen wir die Brücke „Pont lo Passador“, die sich elegant in Weiß über den breiten Fluss schwingt und uns hinüber nach Deltebre bringt, wo man - ich vermute mal extra für uns - den roten Teppich schon ausgerollt hat.
Nach einem Stück an diesem Flussufer entlang biegen wir ab ins Städtchen. Alles ist geschlossen, kaum Menschen unterwegs. Aber auch wenn Bewegung wäre, wirkt der Ort recht uninteressant. Nach einem kurzen Kaffee-Kuchen-Päuschen treten wir die Rückreise an.
Heute kommen gut 30 km Radstrecke zusammen. Allerdings war die gestrige Tour unzweifelhaft erheblich interessanter, einmaliger und absolut wiederholenswert. Ein kleines Nest versüßt die Eindrücke etwas, bevor wir den Feierabend am Womo einläuten.
Tag 94 - 18.04.2023 Dienstag
Heute trennen sich unsere Wege. Meine Schwester will noch einen Markttag im Ebro-Delta erleben, wir müssen allmählich ernsthafter den Heimweg antreten. Ein lang vereinbarter unaufschiebbarer Arzttermin will/muss wahrgenommen werden. So ist das eben mit dem Älterwerden. Man kann zwar lange verreisen … aber quasi nur bis der Arzt kommt (oder ruft). Da braucht uns gar kein jüngerer Werktätiger, noch in Lohn und Brot stehender und mit ein paar Jahresurlaubstagen herum jonglierender Mitcamper zu beneiden. Ich sag das gerne immer mal wieder, wenn uns die jüngere Riege sehr beneidet. Wer lange Winterreisen machen darf, ist - in der Regel - älter, und wer will das schon?! Sinnieren hin oder her, wenn‘s heute läuft, wollen wir evtl. schon Frankreich erreichen. Und so verabschieden wir uns von unserer leicht traurigen Verwandtschaft, immer weniger schön, wenn‘s schön war und einer geht. Wir flitzen über den Ebro, tauchen auf mautfreier, sehr verkehrsarmer Strecke ein in eine Landschaft, die einem mit ihren fetten gelbblühenden Feldern und knallrotem Mohn schnell wehmütige Gedanken vertreibt. Kurz vor der Grenze wechseln wir auf die Maut-AB, reine Vorsichtsmaßnahme, da uns unser Rüdiger vor Jahren bei mautfreier Vorgabe durch finstere Gebirgsnischen abseits jeder vernünftig befahrbaren Straßen durchs Grenzland und weitläufig um Perpignan herum lotste. Also das brauchen wir nicht mehr. Als Rebenfelder sich auftun und sich die Bergmassive der Pyrenäen zeigen, flutschen wir sang- und klanglos komfortabel hinein in die „Grande Nation“, zahlen irgendwo noch 7,90 € Maut, und das war‘s.
Einen SP in einem Hafen peilen wir an in Le Barcares. Die Gegend kennen wir noch nicht. Er liegt günstig zur AB, und wir rollen nach 12 km hinein in das Hafenstädtchen. Und wirklich sofort überfällt einen südfranzösisches Flair, diese Mischung aus kapriziös und leicht lässig bis nachlässig, so beschwingt und unkonventionell, leicht, locker, fluffig. Ich kann gar nicht genau sagen, woran es auf den ersten Kilometern liegt, wodurch dieses Gefühl genau ausgelöst wird. Evtl. liegt es an den Farben, dem Licht, an unseren in vielen Urlauben gesammelten sehr wundervollen Erinnerungen an die Cotê d‘Azur, die sofort losgetreten werden. Es ist auch egal, einfach schön, hier einzutrudeln und den perfekt ausgeschilderten SP an einem der vielen Hafenarme zu erreichen und eine Lücke am Wasser zu ergattern.
Herrlich, solch ein Himmelblau und Frühling überall hatten wir nicht erwartet. Und obwohl es schon später Nachmittag ist, nimmt Wim Räder und Hänger aus der Heckgarage. Da wollen wir doch noch eine feine Runde drehen. Vorbei am Eincheck-Automaten und einem Info-Point mit vielen Prospekten und Plänen über die Gegend und sogar Schließfächern radeln wir zunächst Richtung Fischereihafen, biegen dann ab in den langgezogenen Ort, der voller Überraschungen steckt.
Einen Abzweig zum Meer nehmen wir am Ortsende und machen am Strand und einer vorgelagerten Lagune im Südsee-Style an der Mündung des Flusses Agly eine Pause. Viele Menschen nutzen wie wir die Frühlingssonne und freuen sich miteinander.
Die Rückfahrt führt uns auf anderer Route durch den Ort, der durch seine vielfältige Bebauung und variantenreichen Fassaden älterer Häuschen aller Arten, Gassen und Neubauten, stylischer Stadtmöblierung, und Kunst und Farbe mächtig Eindruck macht. Es ist ein Vergnügen, wirklich, zum Aufsaugen schön, ja, eigentlich noch besser als das Schoko-Croissant, das wir uns unterwegs reinpfeifen.
Die folgenden Fotos schaffen es, ein gutes Bild der Objekte zu liefern, die den ganzen Ortsbereich bereichern. Man kann sich phantastisch daran erfreuen, die Farben und Verspieltheit genießen, die die blechernen Container, die als „Leinwand“ herhalten mussten, fast zum Schweben zu bringen. Street-Art ganz besonders individuell und sehenswert.
Ein rotgoldener Abendhimmel beendet den Tag, ein Reisetag eigentlich, der aber noch mächtig was aus der Tasche zauberte. So mog wi dat …
Tag 95 - 19.04.2023 Mittwoch
Neuer Tag - neues Reiseglück. Etwas mit Wehmut und der Erkenntnis, uns diese Gegend hier aber wirklich mal näher anzuschauen, verlassen wir den vorzüglichen Platz, entdecken beim Rausfahren noch eine spezielle Hundedusche und im Verlauf weitere tolle Objekte der Street-Art. Außerdem wird klar, warum es die ganze Nacht irgendwie wummerte, Motoren und Signaltöne zu hören waren, LKW-Verkehr herrschte. Die Fahrbahndecke dem SP gegenüber ist flammneu, keine 10 Stunden alt.
Unser Rüdiger navigiert uns auf der D627 über die schmale Landnase zwischen Lagune und Mittelmeer Richtung Leucate. So kommen wir noch in den Genuss herrlicher Meeransichten, sehen viele Flamingos und tolle ursprüngliche Natur, in der aber auch reichlich Wein gedeiht, um den sich die Weinbauern mit ihren kleinen Traktoren mit allen möglichen Aufsätzen um die Rebenpflege kümmern.
Mautfrei geht es weiter, links der gebirgige Parc naturel regional du Haut-Languedoc, vor uns bald zur Rechten die Cevennen und die Auvergne. In einem Ort fährt vor uns plötzlich ein Kleinwagen mit russischem Kennzeichen, silber glänzt in dicken Lettern „Wagner“ am Kofferraumdeckel. Der Wagner? Dieser Wagner? Gedanken und Bilder aus meinem Kopf. Makaber. Aber er wird wohl eher nicht mit solch einer kleinen Sardinenbüchse in Frankreich unterwegs sein. Nicht überall, wo Wagner draufsteht, ist auch Wagner drin. Und die Fahrt geht weiter.
Die A75 schwenkt bald vom Meer weg quer durchs Land. Wunderschöne Wolkenformationen ziehen über mehr und mehr auftauchende Berge und Ackerflächen in vielerlei Grün auf den Ebenen.
Und dann erscheint sie, lange ist es her, dass wir sie gesehen haben, letztmals vor Jahren in den frühen Morgenstunden leicht nebelverhangen. Zunächst schauen ein paar weiße Spitzen aus der Landschaft, dann erkennt man Pfeiler, mehr Pfeiler, Streben, mehr Streben: Viaduc de Millau, ein Bauwerk der Superlative, die längste Schrägseilbrücke der Welt, mit 343 m Pfeilerhöhe die größte Brücke der Welt, das höchste Bauwerk Frankreichs und die höchste Brücke in Europa. Die Brücke spannt sich knapp 2,5 km über den Tarn in 270 m Höhe und wurde nach einer Planungsphase von mehr als 20 Jahren 2004 eröffnet. Maut ist dafür fällig, umgeht man doch ein sehr sehr abschüssiges und nach dem tiefen Tal wieder stark ansteigendes Kurven durch den Ort Millau, in dessen Genuss wir auch mal mit Womo und PKW auf Hänger gekommen sind. Da zahlen wir jetzt mal gerne die 31,80 € und schweben dahin.
Und ab geht es Richtung Zentralmassiv und Clermont-Ferrand. Die Aussichten werden immer spektakulärer unter dramatisch schönem Himmel. Etliche Ausbremsspuren an besonders abschüssigen Stellen deuten darauf hin, dass das Fahrzeug schon intakt sein sollte auf dieser Bergetappe. Und hier oben fallen dann auch die ersten paar Regentropfen nach vielen vielen Tagen und Wochen.
Sie sind aber nur von kurzer Dauer, denn bei Abfahrt von der A75 zu unserem Nachtplatz in Espalem sind sie schon wieder verschwunden. So können wir unser Plätzchen zwischen den Wiesen auf einem kleinen Parkplatz vor dem Ort gegenüber dem Friedhof genießen, sogar noch draußen sitzen. Was will man mehr?
Tag 96 - 20.04.2023 Donnerstag
Heute sieht es schon etwas grauer aus. Die Nacht war gut, obwohl sich spät abends ein PKW mit laufendem Motor hinter uns stellte. Nach einiger Zeit lassen wir Chianga mit dem Hinweis darauf, dass „die Bösen kommen, guck mal“ aussteigen, was sie sofort mit langen Sätzen prüft, weniger gelassen, nein, echt mit Schwanz pfeilgerade in die Luft, aufgestelltem Kamm und drohendem Bellen. Ob es nun Jugendliche waren, die uns nur etwas aufmischen wollten, oder was anderes, jedenfalls ergriffen sie die Flucht, und nichts war mehr zu sehen, zu hören und zu erleben in der Nacht, so dass wir jetzt zufrieden weiterziehen und ein Stück der A75 folgen, in Clermont aber abfahren, weil es mautfrei weitergehen soll. Auf der D2009, D984, D906, D2209, D6 - irgendwann verliere ich den Überblick -, führt die Route über Riom, Vichy, Digoin, Chalon-sur-Saone, Dole bis zu unserem nächsten Schlafplatz in Velesmes-Echevanne. Auf dieser Route begegnen uns viele Womos, LKW, Busse und Schwertransporte, so dass wir davon ausgehen, dies ist eine perfekte mautfreie Alternative zur Maut-AB. Und vorweggenommen können wir sagen, dass es optimal läuft und auch weiter perfekt zu fahren ist, Kreisverkehre groß und breit sind, absolut problemlos wie auch die Ortsdurchfahrten. Es ist eine tolle Strecke, 100 km am Ende weiter als die AB, aber um einiges interessanter. Die Schlafplätze liegen sehr nah an der Route und sind kostenlos. Eine Empfehlung also, wenn man sich etwas Zeit lassen will.
Im Bauerndörfchen Velesmes trudeln wir am späteren Nachmittag ein. Durch eine schmale Einfahrt, vorbei an einem Pizza-Automaten, der abends noch gut besucht wird, fahren wir einen kleinen Stich nach oben auf den großen gepflegten Vorplatz der Kirche. Ein langer umgebauter LKW in Tarnfarben steht schon auf einem der Plätze, die für Womos bereit stehen. Scheinbar hält sich der Insasse auch für unsichtbar getarnt, denn er erwidert keinen Gruß und entleert seine Abwässer in der vorhandenen Entsorgungsstelle. Ja, selbst das gibt es hier kostenlos, E+V und eine extra für Camper gekennzeichnete riesige Mülltonne. Ja, das ist doch mal eine Gemeinde, sehr sehr lobenswert, wofür man sich direkt mal im bereitstehenden Gemäuer der Dorfkirche bedanken kann. Leider werden im Verlauf des Abends die drei noch freien Womo-Plätze von PKW zugestellt, so dass mehrere spät anreisende Mitcamper enttäuscht wieder abziehen müssen.
Tag 97 - 21.04.2023 Freitag
Nach guter Nacht im Schutze der Kirche verlassen wir das gastfreundliche Örtchen und starten zur letzten Etappe. Heute Abend werden wir Let‘s dance im heimischen Wohnzimmer verfolgen können. Jetzt folgen wir erstmal der mautfreien Route weiter Richtung Luxemburg durch ländliche Gegend über Vesoul und Epinal.
Vor Nancy können wir rauf auf eine mehrspurig ausgebaute E-Straße, ab Nancy auf die mautfreie AB und locker flockig an Metz vorbei nach Luxemburg ziehen.
Nach Durchfahren des kleinen Ländchens wählen wir den Grenzübergang in Echternach, das mit herrlichen Tulpenrabatten und herrschaftlichem alten Stadtbild aufwartet, tanken noch und laufen wohlbehalten kurz danach durchs Kylltal in unserem Heimathafen ein.
Unser Häuschen steht noch … alles Weitere wird sich finden, zuerst schon mal der Schalter „Full Power“ an der Heizungsanlage, denn es ist eiskalt im Haus. Aber als parallel zur Heizung die ersten Holzscheite im Kamin lodern, wird‘s uns schon ganz warm ums Herz. Zuhause ankommen ist immer wieder wundervoll. So sieht das unser Chianga-Mäuschen ebenfalls, sie gräbt sich - wie gewohnt - unter ihren Kissen- und Deckenberg auf der Couch. Daheim.
... und noch ein paar Zahlen zum Schluss:
9.339 gefahrene Kilometer
98 Reisetage
42 Übernachtungsplätze
14.597 Fotos
16.596 virtuell Mitreisende auf unserer Website
1.228 neue Follower in Facebook
1.000 mal mindestens danke an alle Interessierten
und für die unzähligen lieben eMails, PNs, Kommentare !
!! Es war uns ein Vergnügen !!